Falls Ihnen die Wette mit der Baggerfahrerin und den mit der Schaufel aufgepieksten Eiern in der Messe Friedrichshafen am gestrigen Samstagabend noch nicht genug Nervenkitzel beschert hat, machen wir an dieser Stelle einfach gleich weiter mit den spannenden Tippspielen: Der nebenbei als WDR-Intendant agierende Privatmann Thomas Buhrow aus Köln wettet bekanntlich, dass Deutschland den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang will (und auch finanzieren will), wie das bislang der Fall ist.
Er meint (u.a.): dass es dann vielleicht keine zwei bundesweiten, linearen Fernsehsender mehr parallel nebeneinander geben könnte. Top, die Wette gilt!
Wobei: so richtig festlegen wollte sich Buhrow ("Vor Ihnen steht ein Reformer") in seiner Rede im Hamburger Übersee-Club Anfang des Monats trotz des Plädoyers gegen "Denkverbote" da natürlich nicht. Und löste erstmal eine mediale Debatte darüber aus, wie sehr man einem Repräsentanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der während seiner Amtszeit als ARD-Vorsitzender nicht gerade durch übermäßigen Revolutionseifer aufgefallen war, die eigene Tombuhrowhaftigkeit vorwerfen kann. (Stand der Diskussion: kann man ganz gut.)
Die Politik beschäftigt sich derweil damit, in der "FAZ" auszuführen, wer die Namenskärtchen für den von Buhrow vorgeschlagenen Runden Tisch schreiben dürfte, der dann Lösungen finden soll, irgendwann. Was auch deswegen kurios ist, weil es doch eigentlich nahe läge, sich zuallererst einmal das große Ganze auszumalen – anstatt der bisherigen Debatte weiter fleißig Fußnoten hinzuzufügen.
Also, noch mal die konkrete Frage: Wollen wir ARD und ZDF zusammenlegen? Und: Was taugen die Ideen derjenigen, die das für sich schon mit ja beantwortet haben?
Das Supersender-Modell
Wer hat's erfunden?
U.a. die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) mit ihrem zu Beginn des Jahres diskutierten Reformkonzept.
Was soll passieren?
Die "Welt" zitierte aus einer Beratungsvorlage: "Es soll künftig nur noch EINE öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt geben. Die bisherigen Sender sollen unter diesem Dach fusionieren. Mehrfachstrukturen sollen entfallen." Dazu solle das Kultur- und Unterhaltungsangebot auf eine "Basisversorgung" reduziert werden.
Wie genau sähe das aus?
Das hat die MIT leider nicht dazu gesagt. Es gäbe aber im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder geht eines der beiden Hauptprogramme im anderen auf; oder es kommt zur Neugründung "einer großen Sendeanstalt", wie die "Welt" schreibt. Wobei es ziemlicher Quatsch wäre, einen völlig neuen Sender aufzusetzen, dessen Etablierung ja dann erstmal wieder massig Beitragsgelder verschling… – Sie wissen schon. Und welche Rolle die Unterhaltung spielen darf, dürfte auch nicht so leicht konsensfähig sein.
Konzentrieren wir uns deshalb doch erst einmal darauf, ob es überhaupt wünschenswert (und schlau) wäre, einen solchen Supersender zu schaffen, in dem dann – möglicherweise – "Tatort" und "Traumschiff" liefe, "Anne Will" und "Markus Lanz" statt "Maybrit Illner" und "Maischberger", "Klein gegen Groß" und "Wetten dass..?", "Frontal" statt "Panorama", "Wer weiß denn sowas?!" und "Die Rosenheim Cops", "Die Sendung mit der Maus", "Bares für Rares", "Sportschau", "Terra X", der "Istanbul-Krimi", Hirschhausen und Reportagen über europäische Königshäuser?
Dass ein solches Dauer-Best-of öffentlich-rechtlicher Programmmarken noch die fast 27 Prozent Marktanteil bei den Zuschauer:innen (ab 3 Jahre) erreichen würde, die ARD und ZDF im vergangenen Jahr kumuliert eingefahren haben, ist eher unwahrscheinlich. Die Privatsender hätten vermutlich trotzdem keinen Bock darauf, sich von einem derartigen Koloss tagtäglich das Publikum streitig machen zu lassen.
Schlimmer noch: Ein solcher Supersender wäre am Ende möglicherweise so vollgestopft mit etablieren Programmmarken, dass zwischendrin noch weniger Platz für Innovationen bliebe, als es bisher schon der Fall ist. Was weder im Sinne des Publikums noch der Politik wäre.
Das (ARD-)Regio-Modell
Wer hat's erfunden?
Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt, Medienpolitiker und Ritter der französischen Ehrenlegion. (Bundesfinanzminister Christian Lindner ist auch schon Fan.)
Was soll passieren?
Seit mehreren Jahren tourt Robra mit seiner Vision von der ARD als "Schaufenster der Regionen" durch die Medien. Bereits 2017 monierte er gegenüber der "Mitteldeutschen Zeitung" bei ARD und ZDF "Zuviel vom Gleichen" und schlug vor, das Erste zu einem ausschließlich von Regionalinformationen geprägten Kanal umzuwandeln: "Das Erste soll präsentieren, was in den Ländern läuft. Wenn man dafür mehr Freiraum schafft, gewinnt die Bundesrepublik Deutschland insgesamt." Und: "Die zentralen Einrichtungen der ARD wären im Wesentlichen nicht mehr erforderlich." (Anfang 2022 wurde das Schauspiel nochmal wiederholt.)
Wie genau sähe das aus?
Robra macht es sich einfach: Kanzlerduell und Spielfilme rüber ins ZDF, "Tagesschau" abschaffen, und im Ersten "das Beste aus Mitteldeutschland […], aus dem Norden, aus allen Ländern". Fertig!
Ich weiß ja nicht, wie's Ihnen damit geht, aber: Dass ein Medienpolitiker, der ernst genommen werden möchte, vorschlägt, teilweise über Jahrzehnte aufgebaute Programmmarken mir nichts, dir nichts ins Archiv zu verbannen, weil das halt praktisch wäre, ist schon rätselhaft genug. Noch rätselhafter ist nur, wie das von Robra vorgeschlagene Regional-Erste dann programmplanen soll: Darf jeder Landesrundfunksender an einem Tag pro Woche die Regio-Primetime bespielen? Wer muss in der harten Access Prime ran? Wechselt "Sturm der Liebe" am Nachmittag jede Saison das Bundesland?
Vor allem aber: Wer, bitteschön, soll das gucken? Den allermeisten Leuten ist's schon schnuppe, was im übernächsten Ort bzw. am anderen Ende ihrer Stadt passiert, weil sie da ohnehin nur selten hinkommen. Wieso sollte das im Fernsehen (im linearen, noch dazu) anders sein? Es ist ja Sinn und Zweck der ganzen Übung, einen Teil der Beitragsgelder dafür zu verwenden, über Ereignisse im Regionalen zu berichten. Aber wieviele Leute außerhalb der Nachbarschaft wird das interessieren, wenn Oberschöbling gerade Dorffest feiert, in Gersfeld die Schindeln in der Sonne glänzen und die Bremerhavener Fishtown Pinguins gegen den EHC München ranmüssen?
Vermutlich würde Medienpolitiker Robra auch nicht zu den Letzten gehören, die angesichts massiv einbrechender Marktanteile eines zum Regional- Schaufenster umfunktionierten Ersten fragen, ob sich der beitragsfinanzierte Aufwand denn noch lohnt, wenn "Herrliches Hessen", "Unser Dorf hat Wochenende" oder "Buten und Binnen" in der Primetime gar nicht zwanzig Prozent Marktanteil schaffen.
Aber gut, wenn die romantisierte Vorstellung eines 72-jährigen Juristen das Fantasievollste ist, was die deutsche Medienpolitik gerade in Bezug auf die Reformdebatte bei ARD und ZDF zu bieten hat, haben wir vielleicht auch nix anderes verdient.
Das Dritte-in-a-Box-Modell
Wer hat's erfunden?
Der SWR-Intendant, designierte ARD-Vorsitzende und Diener des Fernsehvolkes, Kai Gniffke ("Wir müssen uns der Gnade der Beitragsfinanzierung immer wieder als würdig erweisen").
Was genau soll passieren?
Erstmal: was nicht. Nämlich ARD und ZDF zusammenlegen, denn: "Da bin ich wirklich ein glühender Verfechter des Wettbewerbs", erklärte Gniffke im September u.a. der "Allgemeinen Zeitung" aus Mainz. "Ich möchte mir nicht vorstellen, dass wir eines Tages nur noch 'Tagesschau' oder 'heute' haben. So wie ich mir nicht vorstellen möchte, dass wir in Deutschland nur noch eine starke überregionale Zeitung hätten. Und die Konkurrenz von ARD und ZDF tut unserem Angebot in seiner gesamten Breite gut – nicht nur bei der aktuellen Information."
Angesprochen auf die Idee eines einzigen großen Dritten, das "mehrfach am Tag auseinander geschaltet werden kann", zeigte sich Gniffke hingegen offen: "Die Organisation eines Mantelprogramms für die Dritten mit höchstmöglichem Regionalanteilen ist aber in der Tat ein Gedanke, den wir in den kommenden Monaten und Jahren intensiv diskutieren sollten. Ich kann mir das jedenfalls gut vorstellen."
Wie sähe das aus?
Gar nicht mal so schlecht: Anstatt neunmal 24 Stunden lineares Programm füllen zu müssen und sich um "Tatort"-Wiederholungen und Schlagershows zu prügeln, könnte ein starkes Drittes ein relevantes Rahmenprogramm mit einem Best-of aus mehreren Regionen veranstalten. Und zu zentralen Zeiten am Vorabend und am Abend, wenn die meisten Zuschauer:innen vor dem Fernseher sitzen, für tagesaktuelle Informationen aus dem jeweiligen Bundesland, wirklich regionalspezifische Talks oder Reportagen auseinander geschaltet zu werden.
So wie es der SWR ja auch jetzt schon für "Landesschau" und "SWR aktuell" in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz macht, der RBB für Berliner "Abendschau" und "Brandenburg aktuell", der WDR für die "Lokalzeit" zwischen Aachen und Wuppertal, der NDR mit "Hallo Niedersachsen", "Schleswig-Holstein Magazin", "Nordmagazin" und "Hamburg Journal".
Bis 1992 wurde sogar das Erste im Vorabendprogramm in die Regionen getrennt (Werbepausen inklusive: Grüße an Äffle & Pferdle, Ute, Schnute, Kasimir sowie Onkel Otto!). Und es gab zeitweise sogar schon mal ein gemeinsames "Drittes Fernsehprogramm", nämlich von NDR, Radio Bremen und SFB für die Länder Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen sowie West-Berlin unter dem Namen N3 (bzw. "Nordkette").
Fraglich ist, wieviele Kosten sich dadurch sparen ließen; die Strukturen müssten ja im Wesentlichen dieselben bleiben. Und für Landespolitiker:innen wird ein gemeinsames Drittes womöglich nicht ganz oben auf der Reformliste stehen, weil jede:r "sein" Bundesland natürlich möglichst umfassend im Fernsehen repräsentiert sehen möchte; die Reaktionen auf Gniffkes Vorschlag, SWR und SR weitgehend zu vereinen, fielen vor zwei Jahren bereits entsprechend harsch aus.
Aber das macht die Idee ja nicht weniger diskussionswürdig, im Gegenteil. (Zumal RBB-Interimsintendantin Katrin Vernau gerade angesichts notwendiger Einsparungen in Millionenhöhe für ihren Sender gefragt hat: "Ist es noch sinnvoll, an sieben Tagen 24 Stunden lang ein Drittes Programm mit durchschnittlich 5 Prozent Marktanteil zu produzieren?")
Das "MoMa"-Modell
Wer hat's erfunden?
Ich. Jetzt gerade.
Was genau soll passieren?
ARD und ZDF einigen sich darauf, künftig im wöchentlichen Wechsel zu senden – so wie's bereits erfolgreich mit den "MoMas" am Vormittag praktiziert wird.
Wie sähe das aus?
In der einen Woche sendet das Erste seine besten Reportagen, Talks, Fernsehfilme und ist zuständig für Sportübertragungen; in der nächsten übernehmen die Kolleg:innen aus Mainz. Spart Geld, weil die meisten Redaktionen nur noch die Hälfte der Zeit besetzt sein müssten und die Sender sich nicht mehr direkt gegenseitig Konkurrenz machen könnten, falls Großbritannien irgendwann wieder ein royales Staatsoberhaupt beerdigt; erhält aber gleichzeitig die Vielfalt der Stimmen und Formate. Finden Sie undurchdacht und albern? Ja, okay. Aber was ist der Unterschied zu den meisten anderen bislang öffentlich gemachten Vorschlägen? Eben.
Und damit: zurück nach Köln.