In zweieinhalb Monaten übernimmt Louis Klamroth bekanntlich die Moderation von "Hart aber fair" im Ersten, und freundlicherweise hat ihn sein bisheriger Auftraggeber ProSieben gerade, zusammen mit Linda Zervakis, schon mal dafür proben lassen: montagabends zur besten Sendezeit, mit Werbeunterbrechung zwar, dafür ein bisschen früher (und ein bisschen blauer) als das Original, das parallel dazu lief.
Und nach zwei Ausgaben der "ProSieben Politik Show" lässt sich konstatieren: Selten ist Politiker:innen außerhalb von Wahlkampfzeiten im deutschen Fernsehen soviel Ratlosigkeit, Wut und geballtes Unverständnis entgegen geschlagen, wie in der vergangenen Woche auf dem einstigen "Big Bang Theory"-Sendeplatz, als Klamroth und Zervakis Bürger:innen und Unternehmer:innen ins Studio geladen hatten, die den dazu geholten Parteivertreter:innen erklärten, wie brenzlig ihre Situation angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise ist: und zwar jetzt, in diesem Moment. Nicht erst nächstes Jahr im März, wenn die Politik auf die Gaspreisbremse treten will.
Eine ALG-II-Empfängerin erläuterte, wie sie inzwischen beim Einkauf im Supermarkt auf den Cent genau rechnet, um die Kinder satt zu kriegen; Bäckereibetreiber berichteten von ihrem nächsten Termin bei der Bank, die den Kredit verlängern muss, weil die Öfen sonst ausgehen; ein Intensivpfleger erläuterte, was die bislang in Gang gebrachten Reförmchen seinem Berufsstand gebracht haben: nichts.
Ein großes Aneinandervorbeigerede
Die Damen und Herren aus Regierung und Opposition haben sich alles geduldig angehört und zu erklären versucht, warum das mit den versprochenen Hilfen alles so lange dauert bzw. wer wann was wo versäumt hat. Aber so richtig zufrieden war hinterher keine Seite mit der anderen.
Es war ein einziges großes Aneinandervorbeigerede, mit dem ein Jahr nach der Bundestagswahl eigentlich Bilanz gezogen hätte werden sollen: Was hat die Ampelkoalition von ihren Vorhaben und Versprechungen umsetzen können – und was nicht? "Ich hoffe, es ist uns einigermaßen gelungen", verabschiedete sich Zervakis am Schluss vom Publikum. Aber um ehrlich zu sein: nee, ist es leider nicht. Weil in der Redaktion eigentlich jemandem hätte auffallen müssen, dass es nur so eine mittelgute Idee ist, eine Regierungs-Zwischenbilanz mit Energiekrise und Pflegenotstand in einer Sendung zusammenzupferchen, die auch noch von Ukraine-Konflikt und den Protesten in Iran eingerahmt werden sollte. Klassischer Fall von Überambition, oder wie Klamroth zwischendurch (an)merkte: "Das ist so ein großes Thema, dass man dazu eigentlich eine eigene Sendung machen müsste."
Das wird er vermutlich bald, nur halt auf einem anderen Sender. Auch wenn sich das dann nicht grundlegend anders anfühlen dürfte, denn die "ProSieben Politik Show" hätte in dieser Form, ihrer Inszenierung auf großer Bühne zum Trotz, wohl genauso gut auch im Ersten laufen können. Und ProSieben muss sich die Frage gefallen lassen: wieso?
Es reicht nicht, die Lightshow einzuschalten
Dass auch die Privatsender in der Information (wieder) ernst genommen werden wollen, hat sich herumgesprochen und ist – mit Ausnahme von Christian Lindner – bei zahlreichen Zuschauer:innen angekommen. Aber wenn das Ergebnis ähnlich oder fast genau so aussieht, wie das, was die öffentlich-rechtlichen Kolleg:innen bereits anbieten, stellt sich die Frage, ob diese Ambition nicht ins Leere läuft. Es reicht halt nicht, im vollbesetzten Studio die Lightshow von "Masked Singer" einzuschalten, Politiker:innen mal mit dem Rücken zum Saalpublikum zu setzen, damit sie den nach vorne an den großen Moderationstisch geholten Bürger:innen ins Gesicht sehen müssen, per Handzeichen abzufragen, wer sich neuerdings mit Waschlappen wäscht anstatt zu duschen, und das Ganze dann "Show" zu taufen, um damit zu überzeugen.
Dabei war der Klamroth'sche Polit-Talk ja gar nicht schlecht, im Gegenteil. Beim ProSieben-Publikum ist er trotzdem durchgefallen, was schlicht und einfach daran liegt, dass er keine einzige gute Idee enthielt, wie sich eine sonst auf leichtere Kost am Montagabend eingestellte Zielgruppe hätte ködern lassen, um dranzubleiben.
Und: nein, es geht gewiss nicht darum, aus Politik eine Gameshow zu machen, zumal Themen wie der Umgang mit dem Krieg in der Ukraine völlig ungeeignet sind, um sie in einer derartigen Atmosphäre zu verhandeln. Aber es ist schon bemerkenswert, wenn sich ein Sender wie ProSieben, dessen Unterhaltung ja auch nicht aussieht wie "Verstehen Sie Spaß?" oder "Das große Deutschlandquiz", ausgerechnet im Gespräch über relevante Themen der Zeit so sehr der etablierten TV-Norm anpasst.
Oder, anders formuliert: Die unterhaltsame Vermittlung von Politik scheint für das Fernsehen bislang eine unlösbare Aufgabe zu sein.
Einladung zum Populismus
Fast genau zehn Jahre ist es her, dass auf ProSieben die erste Ausgabe von "Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen" lief, erfunden und moderiert von Stefan Raab, der damit das Ansinnen verfolgte, wieder mehr jüngere Zuschauer:innen für politische Diskussionen zu begeistern. Zu diesem Zweck durfte das TV-Publikum rundenweise darüber abstimmen, welcher Gast sich seiner Auffassung nach argumentativ am überzeugendsten schlug; die Gewinnerin bzw. der Gewinner sackte, im Falle des Erreichens der absoluten Mehrheit, 100.000 Euro ein und konnte sie einem ausgewählten Spendenzweck zuführen. Das war eine ziemliche Schnapsidee, weil das Konzept im Kern vor allem eine Einladung zum Populismus und zu leicht zustimmbaren Allgemeinplätzen war, anstatt sich um Aufklärung oder Entlarvung ebensolcher zu bemühen.
Und aus heutiger Sicht kann Raab froh sein, dass ihm sein Talk von damals nicht grundlegend um die Ohren geflogen ist – zum Beispiel als er damit beschäftigt war, Teppichwitze über Dirk Niebel zu reißen, während die Runde dem frischgebackenen und auf die Zuschauer:innen zunächst sehr konsensfähig wirkenden AfD-Gründer Bernd Lucke (43 Prozent in der ersten Runde) Kontra gab (die "WiWo" ätzte damals, es sei ein "plumper Versuch, die AfD in die rechte Ecke zu stellen").
Aber "Absolute Mehrheit" war immerhin ein ernst gemeinter Anlauf, ein unreformierbar scheinendes Genre so umzudekorieren, dass es für sonst eher politikferne Zielgruppen hätte interessant sein können, sich darauf einzulassen. Das gelang auch damals nur eingeschränkt: Nach fünf regulären und einer Spezial-Ausgabe zur Bundestagswahl 2013 war schon wieder Schluss.
Schwer aus der Reserve zu locken
Und so richtig hat sich danach niemand mehr getraut, Politik im Fernsehen ansehbarer für alle zu machen, denen die eingefahrenen Abläufe der Polittalks missfallen. Also, außer vielleicht das in dieser Kolumne bereits erwähnte "Der Raum mit Eva Schulz" für die ARD-Mediathek, das Gesprächspartner:innen mit unterschiedlichen Meinungen zu einem Thema verpflichtete, während des Austauschs ihrer Argumente miteinander zu kooperieren, um aus einer Art Escape Room wieder herauszukommen. Das scheint am Ende ein kleines bisschen zu verspielt gewesen zu sein, um fortgesetzt zu werden. (Dass die namensgebende Moderatorin außerhalb der Runde saß, um von Zeit zu Zeit Hinweise per Mikrofon hereinzureichen, hat wohl auch nicht geholfen.)
Aber heißt das, dass es zwischen "Anne Will" und "Maybrit Illner" auf der einen sowie den bislang gescheiterten Lockerungsversuchen auf der anderen wirklich keinerlei Zwischenlösung gibt, um aktuelle Themen im Fernsehen leichter zu verhandeln, ohne peinlich werden zu müssen?
Weil: dringend nötig hätte es das Medium nämlich schon.
Vor über zwanzig Jahren gelang es einem damals neuen Format im WDR namens "Hart aber fair" zumindest, Talk-Gäste mit passgenau vorbereiteten Recherchefilmen aus der Reserve zu locken. Das passiert heute viel zu selten – auch, weil die allermeisten Politiker:innen ihr eigenes Repertoire massiv erweitert haben. Viele von ihnen inszenieren sich (man muss sich bloß mal Markus Söder anschauen) selbst ein Stück weit als Entertainer:innen. Sie wissen ihre Wirkung sehr genau zu berechnen und arbeiten zum Teil mit denselben Methoden, die ihnen das Fernsehen über Jahre beigebracht hat.
Überall Brötchenpreisauskenner
Sie lassen sich auch nicht mehr von besorgten Bürger:innen aus der Reserve locken, sondern reagieren unisono mit Verständnis und der Beteuerung, sich in die Lage ihres Gegenübers hineinversetzen zu können: "Ich hab gerade im [niedersächsischen] Wahkampf einen Betrieb wie Ihren besucht. Ich versteh Ihren Punkt total", outete sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in der ersten "Politik Show" als Brötchenpreisauskenner, dicht gefolgt von Katrin Göring-Eckardt: "Auch ich habe mit vielen Bäckereien geredet!" Eine Woche später erklärte ihre Grünen-Kollegin Jamila Schäfer an selber Stelle gegenüber einer engagierten Ukrainerin, die über ihre Erfahrungen mit den jüngsten Angriffen berichtete: "Ich war im Juli auch in der Ukraine und wir hatten zwei Mal Luftalarm." Diesmal war Christian Dürr von der FDP dran mit Backbekundungen: "Ich bin jeden Tag genau mit Ihren Kollegen in Kontakt!" Und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil antwortete der Familie mit den hohen Vorauszahlungen: "Ich nehm das total ernst. Was Sie hier beschreiben, hab ich im Wahlkreis jeden Tag."
Das Fernsehen hat bislang noch keine passende Antwort auf diese Strategie der Vereinnahmung gefunden. Redaktionen schleppen weiter munter Betroffene an, um Politiker:innen mit Realitäten zu konfrontieren, auf die sich diese längst argumentativ eingestellt haben. Genau deshalb scheinen am Ende einer solchen Sendung alles so ratlos.
Ginge es auch anders? Vielleicht. In der ersten "ProSieben Politik Show" vor zwei Wochen, auch schon zum Thema Energiekrise, wollte Zervakis zwischendurch von ihren Gästen wissen, auf wieviel Prozent der deutschen Ackerflächen Solarzellen stehen müssten, um das Land mit Strom zu versorgen: 4, 14 oder 40 Prozent? Und Kühnert spottete, man könne ja "einen Telefonjoker nehmen", um die im Studio sitzende Energeiexpertin zu befragen, haha.
Das "ProSieben Politik Quiz" kann kommen
Aber, um ehrlich zu sein: Ein unterhaltsam ausgearbeitetes Quiz, in dessen Multiple-Choice-Fragen es ausschließlich um energiepolitische Themen gegangen wäre, die nachher von Expert:innen eingeordnet und mit der Politik besprochen worden wären, hätte ich tausend Mal lieber gesehen als den x-ten Aufguss des Spiels zwischen Moderator und Gast: "Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet" – "Hab ich wohl." – "Haben Sie nicht." usw.
Vielleicht wären an einem solchen Abend auch ein ganzer Schwung mehr junge Zuschauer:innen bei ProSieben hängen geblieben als bei dieser "Show", die trotz des Versprechens im Titel gar keine war, und die mit ihrer Abfrage der Gäste-Visionen für 2045 in der Schlussrunde durch Moderator Klamroth auch kaum hartaberfairiger hätte enden können.
Es wird höchste Zeit, dass sich das Fernsehen traut, alte Muster zu durchbrechen und politische Themen so vermitteln, dass auch die dranbleiben, die eigentlich für ein bisschen Unterhaltung eingeschaltet haben. "Das große ProSieben Politik Quiz" kann von mir aus kommen!
Und damit: zurück nach Köln.
Die aktuelle Ausgabe der "ProSieben Politik Show" ist auf Joyn abrufbar.