Wissen Sie noch: vor 25 Jahren, als deutsche Feuilletons der Ansicht waren, das größte Problem dieser Gesellschaft sei, dass sie sich zu sehr amüsiere? Sigrid Löffler hatte in der "Zeit" das "Spaßdiktat" der "Erlebnisgesellschaft" als Übel identifiziert und die "Süddeutsche" kurz darauf den Schuldigen ausfindig gemacht: "unser liebes Fernsehen". Dieses befeuere "hingebungsvollen Massenjubel um eine Zeiterscheinung namens 'Comedy' (…), welche schlechten Geschmack und schrille Gags zum 'Kult'" erhebe und dem "alten, aufklärerischen Witz" den Garaus mache. Comedy (in den Analysen meist in Anführungszeichen gesetzt) sei ein "Hedonismus des Oberflächlichen", lehrte die "SZ": so wie bei "RTL Samstag Nacht".
Über dessen "ominpräsente Quälgeister", die "unüberhörbar und unerbittlich" Karriere gemacht hätten, schäumte die "taz" kurze Zeit später, es sei wohl "kein Zufall, daß sich niemand fand, die Jubiläumssendung für die taz zu kritisieren", und urteilte: "100 Folgen sind genug." Der "Spiegel" kritisierte: "Die neue deutsche Spaßgesellschaft verdrängt allenthalben Umweltsorgen und Angst vor Arbeitslosigkeit, Frust und Rentennot", um sich vom Kultursoziologen die Symptome des "Fiebers" diagnostizieren zu lassen: Nervenkitzel, Spannung, heftiger Sinnesreiz, rascher Genuss, krasse Komik, Action.
Immerhin kann man mit zweieinhalb Jahrzehnten Abstand nun bilanzieren, dass in der Gegenwärtigkeit des Jahres 2022 vermutlich nichts davon zu unseren vordringlichsten Problemen gehört. Eher im Gegenteil.
Ignorieren oder Auslagern?
Die "Spaßgesellschaft" der Neunziger, von der Kritik schon vor vielen Jahren in die Kiste gesteckt und beerdigt, wird so schnell nicht mehr exhumiert. Der Lacheskapismus von früher ist passé. Dafür sind die Zeiten mit Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimakrise einfach zu düster. Und alle, die den beruflichen Anspruch haben, trotzdem ein Publikum mit mehr oder weniger humorvollen Inhalten zu entertainen, müssen sich irgendwie dazu verhalten. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Strategien:
Erstens: Ignorieren. Effektiv, aber langweilig – und deshalb an dieser Stelle kein Thema.
Zweitens: Auslagern. Joko und Klaas zum Beispiel halten nach wie vor am Grundversprechen der Unterhaltungsbranche fest, ihren Zuschauerinnen und Zuschauern eine Auszeit vom Alltag zu gönnen und vorrangig eine gute Zeit zu bescheren. Gleichzeitig nutzt das Duo seine Entertainment-Prominenz regelmäßig für 15 Minuten, die ihnen ihr Sender nach einer gewonnenen Ausgabe "Joko und Klaas gegen ProSieben" schenkt hat, um dort separat ernsthafte Anliegen zu thematisieren und Probleme unserer Zeit in den Vordergrund zu rücken (was nicht selten mit der Tonalität des Nachfolgeprogramms kollidiert).
Am interessantesten ist aber die dritte Strategie, die im Wesentlichen darin besteht, das Problem zu umarmen. So wie Carolin Kebekus in ihrer Spätshow im Ersten ("DCKS"), wo zwar reichlich Platz für Klamauk und Spiele veranschlagt wird, zwischendurch aber Themen Platz haben, um die Comedians lange Zeit einen großen Bogen machten.
Eine nicht-resignative Alternative zum Klugscheißerkabarett
Mit betont feministischem Einschlag lästert Kebekus über den Gender Pay Gap, Abtreibungsgegner in den USA, sexistische Toilettenbeschriftungen und erklärt, warum sich Frauen viel zu oft für Dinge entschuldigen, die gar keine Entschuldigung bräuchten. Sie leiht Kathi, die sich über Instagram gemeldet hat, ein paar Minuten ihrer Sendezeit, um auf den Streik der Pflegerinnen und Pfleger an den Unikliniken in NRW aufmerksam zu machen, die einen Tarifvertrag zur Arbeitsentlastung erstreiten wollen. Sie veranstaltet ihr eigenes Festival, auf dem ausschließlich weibliche Acts vorm Mikrofon stehen, um Versäumnisse der Musikindustrie auszugleichen. Und sie legt sich gesanglich mit Spotify-Gründer Daniel Ek an, weil seine Plattform Kreativen zu wenig zahlt, beim Umgang mit Hassinhalten versagt und Ek sein Geld in umstrittene Waffentechnologie investiert. "Mittelfristig kommen wir an Streamingdiensten nicht vorbei", macht sich Kebekus hinterher ehrlich mit sich selbst, und bringt ihre Grundeinstellung auf den Punkt: "Gerade deshalb ist es wichtig, auf die Probleme hinzuweisen und Besserung zu fordern."
Es ist eine Comedy, die (noch) an die eigene Wirkung glaubt. Daran, dass sich Dinge, zu denen die Redaktion zuvor lustige Gags mit ernstem Hintergrund erdacht hat, ändern lassen – eine nicht-resignative Alternative zum Klugscheißerkabarett, das stets aufs Neue die Verkommenheit der politischen Klasse und der Großkonzerne beklagt, um sich dafür den Applaus seines in Bitterkeit ruhenden Publikums abzuholen.
Täglich auf uns einstürzende Weltlage
Kebekus ist nicht verbittert, sondern so realistisch-orientierungslos, wie viele aus ihrem Publikum: "All das Traurige, Schlechte, was so in der Welt passiert, ist irgendwie mit Alltag geworden", erklärte sie erstaunlich ernst zum Start der diesjährigen Staffel – und goss ihre Zerrissenheit angesichts der täglich auf uns einstürzenden Weltlage in einen Musikclip, in dem sie einfach alles wegzulächeln versuchte: "Klimawandel, niemand handelt / Flüchtlingscamp brennt, keine Chance auf Happy End / Aber: alles gut / Pandemie? Endet nie / Genozid, Homophobie, Kim, Trump und Xi / Aber: alles gut." Bis es irgendwann nicht mehr geht und ihr im Clip sprichwörtlich die Augen aus dem Gesicht schmelzen: "Ich sag euch, wie weh das tut / Wohin soll ich mit der Wut? / Es ist einfach gar nichts gut!"
Danach muss man sich erstmal kurz setzen.
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Am drastischsten ist der Wandel der deutschsprachigen TV-Comedy zum gesellschaftlichen Impulsgeber aber bei Jan Böhmermann. Der hat es sich mit seinem Wechsel ins ZDF-Hauptprogramm vor 51 Ausgaben zum Ziel gesetzt, jede Woche einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu liefern, der einerseits unterhaltend sein soll und sein Publikum zum Lachen bringen soll – aber mit klassischen journalistischen Mitteln recherchiert ist und im besten Fall aufklärerisch.
Böhmermann und die Missstände unserer Gegenwart
Vom Sender etwas unglücklich als "Late Night Satire" betitelt, verspricht das "ZDF Magazin Royale", "Unterhaltung und Relevanz in einer neuen Dimension" zu kombinieren: Mehr John Oliver als Jimmy Fallon, Finger in die Wunde statt leichter Plauderei, ein einziges "Eier aus Stahl" XXL. Mit seiner lustvoll zelebrierten Ambition, der ganzen Wucht und dem nicht unanstrengenden Böhmermann'schen Selbstgefallen ist das eine große Besonderheit im deutschen Fernsehen, weil die sich als Unterhaltung ausgebende Show auf diese Weise zu einem Polit- und Gesellschaftsmagazin für Leute wird, die (aus gut nachvollziehbaren Gründen) keine Polit- und Gesellschaftsmagazine sehen – aber sich sehr wohl darauf einlassen, von Böhmermann Missstände unserer Gegenwart erklärt zu kriegen, fortgesetzt mit vertiefenden "Expert*innen-Interviews" im Netz.
Damit erzielt die Redaktion regelmäßig eine Resonanz, die weit über die eigene Sendezeit hinausreicht. Recherchen wie die zu den Geschäftspraktiken des (jetzt: ehemaligen) Influencers Fynn Kliemann sind von zahlreichen seriösen Medien aufgegriffen und weiterrecherchiert worden.
Der unter dem Hashtag #Polizeikontrolle verbreitete Test, wie salopp Ermittlungsbehörden in unterschiedlichen Bundesländern teilweise mit Anzeigen gegen Hasskriminalität im Netz umgehen, hatte gerade eine konkrete Debatte über Aufgaben und Versäumnisse der Polizei zur Folge.
Und obwohl wahrscheinlich nicht mal Böhmermann behaupten würde, mit seinem vor einem Jahr gesendeten Beitrag zur "Türkisen Autokratie" des damaligen österreichischen Kanzlers aktiv zu dessen späteren Sturz beigetragen zu haben, war die schonungslose Ausleuchtung der vielen Misstöne und Skandale der Kanzlerschaft von Lieblingsgegner Sebastian Kurz nicht nur ein erhellender Beitrag zur Meinungsbildung; sondern auch eine inszenatorische Glanzleistung, weil sich das ganze Stück in seinem Verlauf durch eine zunehmend in Türkis getauchte Gleichmacherei selbst verschlang.
Aufklärung im Entertainment-Mäntelchen
Der vom Feuilleton einst gefürchtete "Hedonismus des Oberflächlichen" ist (teilweise) durch eine Art Public Impact Comedy ersetzt worden, die Entertainment vorgaukelt – aber Hintergrund und Aufklärung transportiert. (Im Zweifel halt auch dazu, wie sich das öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur Monopolisierung der Schlagervermarktung einspannen lässt.)
Und so sehr man das im Sinne einer Gesellschaft, die vor lauter Problemen die Mundwinkelelastizität nicht verlernen mag, auch begrüßen muss, ist es halt auch ein Fluch, Woche für Woche einen mühevoll dokumentierten Missstand kathartisch weglachen zu sollen – anstatt einfach ein halbes Stündchen sehr gut unterhalten zu werden.
Wie das geht, hat Böhmermann zuvor ja über viele Jahre in schöner Regelmäßigkeit bewiesen. Fürs "Neo Magazin Royale" hat er mit Dendemann die "History of German Rap" inszeniert, die "Fernsehnothilfe für Stefan Raab" ins Leben gerufen, bei "Varoufake" und "Verafake" Medienmechanismen enttarnt, mit Gastauftritten von Domian, Markus Lanz und Oli Schulz ein eigenes Musical für seine "kleine schmuddelige Sendung von Losern für Loser" durchtanzt, den Smash-Hit "Ich bin zu dumm für RTL" performt, Anne Will dazu gebracht, in seinem verstörenden Zeitschleifenalptraum aufzutauchen, und fast jeden Act mit popkulturellen Referenzen ausgeschmückt, von denen man auch nach mehrfachem Ansehen immer noch neue entdecken kann: beim "Kill Bill"-Klon "Kebekus' Revenge", "Menschen Leben Tanzen Welt", der Hymne an die Neunziger Jahre etc.
Nie mehr Mister 0,4-Prozent
Dass der wachsende Wunsch nach Weiterentwicklung nicht dauerhaft ignoriert werden kann, wenn man als Künstler mit seinem "Schmähgedicht" erstmal eine handfeste diplomatische Krise unter Einschaltung zweier Staatsoberhäupter ausgelöst hat, ist nachvollziehbar. Gleichwohl fehlt dem "ZDF Magazin Royale" aber die scheinbar mühelose Leichtigkeit, mit der Böhmermann einst als "Sparten-Spacken" ("Mir reichen im Schnitt 0,4 Prozent") durch sein wöchentliches TV-Bällebad tanzte.
Die Zeiten von "Beefträger", "Prism is a Dancer" und "Trendvulkan Mitte" sind unbestreitbar vorbei. Aber mit seinem aufklärerischen Ansatz verlangt das "ZDF Magazin Royale" nicht nur der eigenen Redaktion wöchentlich Höchstleistungen ab, sondern auch seinem Publikum, das in der televisionären Verschnaufpause einfach noch einen weiteren Konflikt vorgesetzt kriegt, der on top of it all kommt.
Egal, wie konsequent man diese Linie als Redaktion durchzuhalten plant: schief gehen kann es allemal. Böhmermanns Versuch, die Kritik an der zum Urlaubsgiganten TUI gemorphten ehemaligen Preussag AG, ihrer problematischen Vergangenheit, den Greenwashing-Versuchen und Besitzverhältnissen mit lustigen Reisequiz-Raterunden zu unterbrechen, könnte der clever ausgedachte Versuch gewesen sein, die Verantwortung demonstrativ auf die Konsumentinnen und Konsumenten abzuwälzen, mit diesen Informationen umzugehen. Hat ja auch funktioniert: Am Ende musste Böhmermann den Quizsieger förmlich überreden, den von der Redaktion als Preis ausgelobten TUI-Reisegutschein anzunehmen, nachdem dieser erst konsterniert ablehnen wollte. Aber was genau soll das Publikum mit diesem Zaubertrick jetzt anfangen: Hier habt ihr euer schlechtes Gewissen, schöne Ferien?
Einwattiert in Stand-up und Spiele
Kebekus' Ansatz, die Relevanz in einen heiteren Stand-up und lustige Spiele mit Gästinnen und Gästen einzuwattieren, geht oft auch nicht so recht auf. Ende April stand die Namensgebern der Sendung übertrieben staunend vor ihrem eigenen Rant gegen die schon seit Jahren von zahlreichen Seiten problematisierten Thema der Lebensmittelverschwendung, ohne dass man richtig wusste: wieso? Im Mai stürmte sie in "Frau des Geldes" unnötig gehetzt durchs Thema "Female Finance", ohne dabei in die Tiefe gehen zu können, weil gleich noch Max Giermann zum Spielen kommen sollte. (Obwohl sich das zum Geschäftsmodell der kritisierten Femfluencerinnen geradezu aufgedrängt hätte.)
Vor allem ist es aber wenig konsequent, einerseits immer wieder den eigenen Auftraggeber, die ARD und deren Programmentscheidungen zu kritisieren, um etwa Ersatz-"Brennpunkte" zu aus Sicht der Redaktion vernachlässigten Themen zu veranstalten; und andererseits, wenn Programmverantwortliche wie WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni zu Gast sind, diese nicht konkret darauf anzusprechen, sondern freundlich-flötend Komplimente auszutauschen: "Ich hab tierischen Respekt vor deinem Job", "Ja, Wahnsinn, da muss man echt den Überblick behalten", und toll, dass du Tai Chi zur Entspannung machst. Weil einen das am Ende nämlich sehr, sehr unglaubwürdig wirken lässt.
Ändert aber ja nix: Der alte, aufklärerische Witz ist wieder da. Bloß besser gelaunt, moderner gekleidet und ohne sich in Selbstmitleid zu wälzen. Niemand braucht mehr zu fürchten, dass wir uns zu Tode amüsieren – und wenn, dann wenigstens im Wissen, dass es eigentlich nichts zu Lachen gibt. Ich glaube, das ist eine Verbesserung. Weniger beunruhigend ist es aber nicht.
Und damit: zurück nach Köln. Genießen Sie – ganz im Ernst! – den Sommer.
"Die Carolin Kebekus Show" läuft donnerstags ab 22.50 Uhr im Ersten; alle Folgen der aktuellen Staffel sind in der ARD Mediathek ansehbar. Gleiches gilt fürs bereits sommerpausierende "ZDF Magazin Royale" auf ZDF.de.