Im Nachmittagsprogramm läuft's fürs Erste ja gerade nicht so wahnsinnig gut, aber vielleicht kann es den Verantwortlichen ein Trost sein, dass der Vorabend vor nicht allzu langer Zeit in ähnlich desolater Verfassung war. Bis die Tausendsassas von der ARD Werbung nach dem Start von "Wer weiß denn sowas?" zwei jahre später schon auf die zweite Goldader stießen, aus der sich bis heute – trotz zwischenzeitlicher Schlappe – ganz ordentliche Quoten abbauen lassen: die wiederholungsgeeignete Polizeiserie mit Lokalkolorit, die Familientauglichkeit und unersättliche Krimilust des Publikums miteinander zu kombinieren weiß.
Und die den ARD-Vorabend zwar weiterhin zur "Todeszone" macht, weil dort Woche für Woche erst gestorben werden muss, damit gut gelaunte Kommissarinnen und Kommissare die (vermeintlichen) Verbrechen nach der Werbeunterbrechung final aufklären können. Das allerdings hat ein ganz beachtliches Spin-Off-Potenzial.
Das ZDF mag seit Jahren auf seine "SOKOs" schwören (Leipzig, Kitzbühel, Köln, Wismar, Wien, Rhein-Main, Stuttgart, Hamburg, Potsdam, Linz) – aber die ARD kommt mit ihren "WaPos" gerade erst so richtig in Fahrt!
Nur noch schnell die Stadt retten
Seit 2017 schippert das Team um Floriane Daniel als Wasserschutzpolizei-Chefin Nele Fehrenbach, die nach der Trennung von ihrem Mann mit dem Sohn zurück zur Mutter in die Heimat gezogen ist, in "WaPo Bodensee" nun schon in bald sieben Staffeln über den drittgrößten See Mitteleuropas. Mit bewundernswerter Ruhe und in wie für das öffentlich-rechtliche Werberahmenprogramm geschaffener Landschaftskulisse klärt sie dort ein Verbrechen nach dem nächsten auf, damit sich hernach beruhigendes Abendrot über alles legen kann: Verdacht auf Totschlag, Erpressung, Vergiftung – das volle Polizei-Programm, aber aufgewertet mit Verfolgungsjagden über malerische Gewässer und durch blühende Blumenbeete.
Es sind allesamt Stories, die das Leben schreibt – aber halt bloß, um sich damit ein bisschen über das Publikum lustig zu machen, das sich schon zum Abendbrot die erste eigentlich überflüssige Leiche servieren lässt.
Der Chefgärtner der Insel Mainau ist nach einem überraschenden Durchbruch in der Gemüsezucht bei der Arbeit abgesoffen? Auf der Reichenau entpuppt sich ein Banküberfall als persönlicher Rachefeldzug mit anschließender Geiselnahme? Und die Schiffsführerin der "Konstanz" – Pardon: "Konschdanz" – kündigt an, ihre Fähre in die Konschdanzer Bucht hineinzusteuern, um auf diese Weise zu erpressen, dass die an Bord sitzenden Teeanger der vorher dazu gerufenen Polizei verraten, wie es neulich zum schrecklichen Unfall ihres Sohns kommen konnte?
Kommt ein Ermittler aus der Hecke
Alles kein Problem für die WaPo-Chefin, die auch im stressigsten Einsatz noch die Nerven hat, Mutters Geldanlage in diese neuen Kryptowährung kritisch zu hinterfragen, und den Klassenfahrtzuschuss des Supersohns zu organisieren, bevor der fernmündlich bei der Fall-Aufklärung hilft und dafür am Ende eine "Mitarbeiter des Monats"-Tasse überreicht kriegt.
Und wenn die Hauptdarstellerin gerade keine Zeit hat, weil sie vermutlich an einer anderen prägenden öffentlich-rechtlichen TV-Produktion mitwirkt? Dann ermittelt stattdessen halt Mutter Mechthild auf eigene Faust, wie neulich in dem Fall mit der Gangsterin auf Freigang, die ihren ehemaligen Komplizen unter Druck setzt, nachdem der die Tochter des gemeinsamen Entrführungsopfers geheiratet hat, um mit der erpressten Summe in dessen Firma einzusteigen. Wer kennt das nicht?
Es ist ein Paralleluniversum, in dem das Vorrücken auf der Liegeplatzwarteliste für das eigene Boot ganz selbstverständlich als Mordmotiv berücksichtigt werden muss, und bei der Ermittelnde jederzeit aus der Hecke auf Verdächtige zugelaufen kommen können: Huhu, mitgehört!
Mögen sich die Polizei-Nerds auf Wikipedia ruhig über die fehlerhafte Zuordnung von Dienstgraden mokieren: dem ARD-Vorabend-Plebs ist es egal, welche Fantasieabzeichen die Uniformen bei "WaPo Bodensee" zieren, weil die von besonders kernigen Team-Mitgliedern ja ohnehin beim Hemdsärmelhochkrempeln weggerollt werden.
Vorsicht, paarungsbereiter Gerichtsmediziner
Vor zwei Jahren (und mittlerweile drei Staffeln) haben die Konschdanzer Ermittlerinnen und Ermittler Unterstützung vom Team der "WaPo Berlin" bekommen, die windschnittig mit dem Polizeiboot über die Wasserstraßen einer als Sonnenscheinmetropole inszenierten Hauptstadt zum Tatort düst, um dort ein paar Landratten zu überführen, oder zur Zeugenbefragung den Wachen-Hund Stulle Gassi führt. Die Grundalbernheit teilt sich "WaPo Berlin" zwar mit dem Vorbild, auch wenn der Vorspann nicht ganz dasselbe komödiantische Potenzial hat. ("We're building a team from rock bottom", röhrt der Schmuserocksänger darin, und dann versteh ich immer: "Gonna stand up together / Put on the handcuffs" – aber das muss ein Versehen sein.)
Gleichzeitig hat man sich beim zuständigen RBB aber sichtbar Mühe gegeben, die "WaPo"-Hauptstadtvariante deutlich diverser anzulegen als die arg in deutschen Wohlstandsmilieus kreisende Bodensee-Version.
Die iranischstämmige Kriminalhauptkommissarin Jasmin Sayed (gespielt von Sesede Terziyan) bekommt die Leitung der als "Pilotprojekt" angelegten neuen Polizeieinheit übertragen, muss sich fortan ständig von einem sehr paarungsbereiten Gerichtsmediziner anflirten lassen ("Sonst noch was?" – "Sex. Also: der Tote."), obwohl sie ja eigentlich mit der sympathisch berlinernden Paula aus ihrem Team liiert ist (und demnächst ein Kind bekommt), während Fälle aufgeklärt werden, die derart inklusiv sind, dass dort auch ganz selbstverständlich Protagonistinnen mit Multipler Sklerose verdächtigt werden dürfen ("Vielleicht haben wir sie unterschätzt wegen ihrem Handicap" – denn der Einsatz des Genitivs wäre wirklich zuviel des Guten gewesen).
Die bestaussehendsten Wasserleichen im deutschen TV
Das ändert nichts an der Tatsache, dass in "WaPo Berlin" die bestaussehendsten Wasserleichen im deutschen Fernsehen auftauchen – und wenn das Team sich fragt: "Tod durch Ertrinken?", dann ist das zwar: "Möglich!" Aber halt auch sehr unwahrscheinlich, weil die allermeisten Leblosen serienstandortübergreifend immer schon vor einem möglichen Ertrinken zu Tode gekommen sind, damit zu Beginn der Folge eine kreischende Jetski-Fahrerin auf ihnen landen oder ein nach dem Verlobungsring seiner Liebsten suchender Taucher ihre schon Jahre dort liegenden Skelette finden kann.
"Das war'n Fall, der hat damals relativ hohe Wellen geschlagen", heißt es dann. Oder: "Sie hatte kein wasserdichtes Alibi." (Zwinkersmiley.)
Unabhängig davon dürfte Sayeds Aufforderung an den Kollegen Malletzke mit "Herkunft aus dem Osten" (ARD-Protagonistenbeschreibung), das leicht in die Jahre gekommene Einsatzboot loszutauen – "Wolf, kannst du die Silbermöwe startklar machen?" – schon jetzt das neue "Harry, fahr schonmal den Wagen vor" sein. (Wenn Harald Schmidt das noch erleben könnte!)
Für alle, die sich an die Sauberkeit der wasserbasierten ARD-Abendbrotmorde gewöhnt haben, muss es ein mittlerer Schock gewesen sein, im Januar den neusten "WaPo"-Ableger vom Vorabendstapel laufen zu sehen. Denn im Pott läuft jetzt so einiges anders, und damit mein ich nicht bloß, dass die Dronen für die Zwischenschnitte in "WaPo Duisburg" (im Vorspann röhrt's: "Down at the waterfront") diesmal über malerische Industriekulissen brummeln.
Rustikaler Realismus aus dem Pott
Sondern auch, dass die diesmal nicht von Saxonia Media, sondern von Warner Bros. ITVP Deutschland produzierte Reihe zwar ebenfalls divers, aber – Bonus! – auch sehr viel erdiger daher kommt: Während am Bodensee und in Berlin in geräumigen, lichtdurchfluteten Räumlichkeiten an Designerschreibtischen ermittelt wird, auf denen immer ein frisches Schälchen mit Nüsschen zum Knabbern steht (Nervennahrung!) und gut gegossene Topfpflanzen für Wohlfühlamtmosphäre sorgen, bevor man über den Garten zur Anlegestelle eilt, sitzt man im Pott holzvertäfelt zwischen Aktenschränken und Wandtelefonen deutlich rustikal-realistischer.
Die Einheit, in der die per Rad in die Dienststelle eilende Neu-Kommissarin Arda Turan (Yasemin Cetinkaya) auf den degradierten Ex-Kripo-Chef Gerhard Jäger (Markus John) trifft, muss sich die Zuständigkeit für jede neu aus dem Hafenbecken gefischte Leiche in der ersten Staffel immer erst erkämpfen – im Zweifel, indem sie der Kripo erstmal nicht Bescheid gibt, was die freilich gar nicht gut findet.
Die Rivalität zwischen den arroganten "Kripo-Fritzen" und der verspotteten "Entenpolizei" fügt "WaPo Duisburg" eine durchaus charmante zweite Ebene – sogar mit horizontal bis zum Staffelfinale erzählter Hintergrundgeschichte – hinzu. Und da geht's dann auch in Ordnung, dass die Fälle zwischendurch nicht immer so ganz großes Kino sind. (Schnickschnackschnuck: Wer muss die Ehefrau vom toten Taucher benachrichtigen?)
Obwohl es natürlich einen gewissen Charme hat, dass der doofe Wildangler, der immer dann gejagt wird, wenn gerade noch keine neue Leiche in Sicht ist, in der Staffelmitte kurz eine durchaus erzählerisch prägende Rolle erhält.
Wolf trifft Jäger – beide wohlauf
Manchmal verlässt sich aber auch der schmutzige kleine Bruder der "WaPo"-Familie ein bisschen zu arg auf seine Lokal-Klischees zwischen Frikadellenbrötchenverzehr und abendlichem Biertülpchen mit Minischaumkrone am Tresen von Helga, bei der um Himmels Willen nicht gesiezt werden darf. Dialogtechnisch bestünde auch noch Luft nach oben, oder: "Wie sagt man so schön bei uns: Immer ne Handbreit Wasser unterm Kiel." Und natürlich kann man der neuen Kommissarin, die ständig von Mama verkuppelt werden soll, eine Vergangenheit als Olympionikin auf den Leib schreiben, damit die – wenn mal wieder die Tauchstaffel fehlt, um das abgesoffene Handy des Mordopfers zu bergen – rufen kann: "Kein Problem, ich bin Freitaucherin!" Ist halt ein bisschen albern dann.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass im direkten Vergleich so manche "WaPo Duisburg"-Episode tendenziell sehenswerter ist als zur Primetime mit großem Brimborium wiedergestartete ARD-Schmunzelkrimis.
Und natürlich, dass mit Jägers Tochter (die ihm noch zur großen Hilfe wird, wenn der Papa in Folge 8 beim LKA auf, ähem, "Hauptkommissar Wolf" trifft) von der Spurensicherung eigentlich gleich die Grundlage für den nächsten ARD-Franchise-Erfolg am Vorabend gelegt wird: weil sich mit der "Spusi" ja noch mal ganz andere regional durchgefärbte Fälle aus neuer Perspektive erzählen ließen!
"Spusi Oer-Erkenschwick" kann kommen!
Die erste Staffel von "Spusi Oer-Erkenschwick" kann also kommen – sofern die noch zu beauftragende Produktion ein paar unverrückbare Gesetze für ihre Bücher zu befolgen weiß. Erstens: Wer die ganze Zeit nicht verdächtigt wird, ist am Ende meist der Schuldige. Zweitens: So ein vermeintliches Geständnis mitten in der Folge muss aufhorchen lassen – ist ja noch so viel Sendezeit übrig! Dafür wär'– drittens – zum Beispiel egal, wenn derselbe Schauspieler, der eben noch als tatverdächtiger, aber unschuldiger Schrottplatzbesitzer bei "WaPo Berlin" in Erscheinung trat und später den tatverdächtigen, sehr schuldigen Reedereieigentümer in der Auftaktfolge von "WaPo Duisburg" mimte, nochmal als – sagen wir: tatverdächtiger Leiter des örtlichen Sauna-Wellness-Resorts in Erscheinung träte. (Gleich mal Drehtage beim Kollegen Patrick Joswig blocken!)
Bei den Episodentiteln – " Sprung ins kalte Wasser", "Stunde der Wahrheit", "Gefährliche Liebe", "Kalte Absage" – gilt es nicht mit unnötiger Kreativität zu glänzen.
Und, besonders wichtig: Zwischen Erpressung, Untreue und Kunstraub muss immer ein Momentchen Zeit bleiben, um die Teams übers Dating-Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen tratschen zu lassen. Wer schickt wem Blumen – und wie erfolgreich? Ist der Dings schon wieder bei der Bums abgeblitzt? Und hat Kommissarin Turan jetzt eigentlich einen neuen Freund oder nicht? Ja, sie hat, wie neulich bei "WaPo Duisburg" rauskam. Gerade waren die beiden zusammen im verlängerten Wochenende – am BODENSEE!
So schließt sich der Wasserkreis. Wenigstens bis demnächst "WaPo Elbe" übernimmt.
Und damit: zurück nach Köln.
Am Dienstag um 18.50 Uhr zeigt das Erste die letzte Folge der dritten Staffel "WaPo Berlin", anschließend laufen Wiederholungen. Bisherige Folgen von "WaPo Bodensee", "WaPo Berlin" und "WaPo Duisburg" lassen sich in der ARD Mediathek ansehen.