Wenn Maischberger, Plasberg und Will das nächste Mal in die Sendepause gehen, hoffe ich wirklich arg, dass man in der Programmdirektion in München die Geistesgegenwärtigkeit besitzt, als Ferienvertretung ein neues Talk-Format auf den Sender zu nehmen, das gerade freundlicherweise schon mal von der "Zeit" pilotiert wurde: "Schlesinger gegen Söder". In dem Streitgespräch (Abo-Text) haben die ARD-Intendantin und der nebenberuflich als bayerischer Ministerpräsident agierende Journalismus-Experte jedenfalls schon mal sehr anschaulich das Potenzial einer solchen Konstellation demonstriert (DWDL.de berichtete).
Das liegt auch an Schlesingers Schlagfertigkeit und der unbestrittenen Kernkompetenz, von ihr verantwortete bzw. vertretene Medien in Interviews verbal derart auf Hochglanz zu polieren, dass man gar nicht anders kann, als ihr zuzustimmen. (Auch wenn das an der gesendeten Realität oft mit größerem Abstand vorbeigeht; der RBB ist der tägliche Beweis dafür.)
Söder jedenfalls hatte diese Fähigkeit bei der Zusage für das Interview ganz offensichtlich unterschätzt und musste zwischendurch eingestehen: "Tapfer verteidigt, Frau Intendantin."
Herunterbeten beliebter Forderungsklassiker
Als seine Gesprächspartnerin dann aber auch noch listig einforderte, zu benennen, an welchen Stellen genau Söder zuletzt die von ihm behauptete Einseitigkeit zu Ungunsten des bürgerlichen Parteienspektrums im Programm wahrgenommen habe ("[W]erden Sie doch mal konkret: Was genau stört Sie?"), war's aus. Söder antwortete ausweichend, selbst die "Zeit"-Journalisten sahen sich deshalb zur Zwischenbilanz genötigt: "Offenbar kriegen wir die Vorwürfe hier von Ihnen nicht konkreter." Was auch daran liegen könnte, dass Söder – wie er zum Schluss eingestand – "generell mehr BR als Das Erste" sieht.
Es war ein durchaus unterhaltsamer Schlagabtausch, und leider ist darüber ein bisschen verloren gegangen, wie denn jetzt die Antwort auf die darüber geschriebene Frage lautet: "Was muss sich an der ARD ändern?"
Söders Position ließe sich vermutlich zusammenfassen mit: angenehmere Berichterstattung über die Union und weniger Unterhaltungsshows. Aber das Herunterbeten beliebter Forderungsklassiker an ARD und ZDF aus dem konservativen Milieu hat ihn leider versäumen lassen, mit einer Reihe valider Argumente in die Auseinandersetzung mit Schlesinger zu ziehen. Dabei gäbe es die ja tatsächlich. Und obwohl mir nichts ferner läge als mich mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zu versödern, wäre es doch fein, wenn manche davon in der Diskussion um die Neuformulierung des Rundfunkauftrags eine Rolle spielten.
Denn selbst als Befürworter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lässt sich so einiges auflisten, das einen an der ARD stören kann. Deswegen, Frau Schlesinger, werden wir doch mal konkreter.
1. Festgefahren im Programmschema
Dass ARD-Chefredakteur Oliver Köhr nach fünf Wochen intensiver Berichterstattung zum Ukraine-Krieg am Wochenende eine Art Sondersendungs-Moratorium ausgerufen hat, weil die Zuschauerinnen und Zuschauer sich sonst von der Fülle der Informationen überfordert sähen, war vielleicht kein idealer Moment für diese Feststellung – kurz bevor am Sonntag die Gräueltaten von Butscha bekannt wurden und nach der "Tagesschau" dann (völlig zurecht) doch wieder ein "Brennpunkt" lief. Köhrs Feststellung demonstriert aber auch, wie wenig Bestand eine solche Äußerung in der aktuellen Zeit hat.
Natürlich kann man sagen: So, wir haben ganz schön viel berichtet, jetzt muss auch mal wieder was anderes laufen – zum Beispiel, wie am Tag darauf im Ersten, als die ganze Welt über die Konsequenzen aus Butscha sprach: ein Film über Haie.
Aber es ist schon erstaunlich, wie groß die Sehnsucht innerhalb der ARD zu sein scheint, möglichst schnell zum über Jahrzehnte erprobten Programmschema zurückzukehren, das gegen die aktuelle "Zeitwende" offensichtlich immun ist – anstatt grundlegend darüber zu debattieren, ob das Viertelstündchen Nachrichten zur Hauptsendezeit mit spontan dazu beordertem Anhängsel noch dem selbst proklamierten Informationsanspruch gerecht wird.
Schlesinger würde vermutlich anführen, dass in der "Tagesschau" am Montagabend ja auf eine direkt im Anschluss laufende Sondersendung bei Tagesschau24 verwiesen wurde. Wenn dort aber gleich nochmal dieselben, eben schon gezeigten Berichte und dasselbe Korrespondenten-Statement laufen – immerhin mit einer ergänzenden analytischen Einordnung der Bilder aus der Ukraine –, dann fühle ich mich in meinem starken Bedürfnis nach ergänzender Einordnung nur so mittelernst genommen.
Das Hauptproblem scheint mir, dass man sich innerhalb der ARD durchaus der Notwendigkeit grundlegender Reformen bewusst ist, die auch das eigene Programm nicht verschonen dürfen – aber dass jede bzw. jeder darauf wartet, dass jemand anders schon mal damit anfängt.
2. Fehlende Impulse für die Unterhaltung
In der Unterhaltung, die von Teilen der Politik besonders kritisch gesehen und von der ARD zurecht verteidigt wird, ist diese Reformscheu besonders drastisch. Der Auftakt von Barbara Schöneberger als neue Moderatorin von "Verstehen Sie Spaß?" vor einer Woche war eine eindrückliche Erinnerung daran. Mit unübersehbarer Lust am großen Auftritt intonierte die Neue zu Showbeginn tanzend "This is the greatest show", ohne dass sie für ihr Publikum wegen minutenlanger Tonprobleme zu hören gewesen wäre. Als der Ton wieder lief, machte die Show ("Verstehen Sie Spaß? – Jetzt geben wir Gas!") eine Vollbremsung, um die eigene Vergangenheit zu zelebrieren, bis nach knapp 30 Minuten der erste richtige Streich mit der Versteckten Kamera lief.
Anschließend moderierte sich Schöneberger tapfer durch eine Sendung, die so ähnlich vermutlich auch vor dreißig Jahren hätte laufen können – mit Filmchen über zu kurz angebundenes Besteck für die Jause auf der Skihütte, angeblichen Strafzahlungen fürs Zulangsamfahren auf der Piste und Bäckerei-Kundschaft, die statt einem halben Streuseltaler bloß ein Achtel bekam, aber die Remoulade ganz obendrauf auf die belegte Mittagssemmel – bloß halt, dass für sowas heute erfolgreiche "Instagram-Zwillinge" als Lockvögel eingesetzt werden können.
Die ganze Sendung (TV-Kritik von DWDL.de) war so bieder und öde, wie es im Jahr 2022 wirklich nur noch selten im Fernsehen zu begutachten ist – aber mit über 4 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern halt auch äußerst erfolgreich. Beim jungen Publikum verbuchte das Erste an diesem Abend einen Marktanteil, der fast an "The Masked Singer" bei ProSieben heranreichte.
Und genau das ist das Problem: weil dieser Erfolg innerhalb der ARD als Bestätigung dafür begriffen wird, weiter so machen zu können wie bisher. Das Publikum goutiert es ja.
Köstlich, dieser zur Lynchjustiz bereite Dorf-Mob
"Mord mit Aussicht" ist – wenn wir die von Schlesinger als "Ablenkung von Lebensnot" definierte Unterhaltung mal etwas weiter fassen – ein ähnlich trauriges Beispiel: Nach langer Auszeit kehrte die Erfolgsserie im März mit neuen Episoden ins Programm zurück – offensichtlich ohne sich vorher beim damaligen Hauptcast zu erkundigen, ob der Lust auf eine Fortsetzung hätte. Stattdessen wurden die drei für die Serie zentralen Rollen mit neuen Charakteren (bzw. Darstellerinnen und Darsteller) besetzt, aber in fast exakt derselben Konstellation wie zuvor: Großstadtkommissarin wird in die Eifel beordert, um sich dort mit Hilfe eines leicht naiven, aber liebenswerten Teams um die Aufklärung von plötzlich zuhauf auftretenden Morden zu kümmern, während das Dorf ihre Engagiertheit mit großer Skepsis beäugt (TV-Kritik bei DWDL.de).
Hengasch nochmal von Grund auf neu zu erzählen, hat man sich nicht getraut. Obwohl es durchaus nahe gelegen hätte, z.B. der großartigen Petra Kleinert als umtriebiger Polizistengattin Heike Schäffer (oder wie sie auf daserste.de heißt: "Heike Schäfer") ein Spin-Off mit ihr in der Hauptrolle als Landfrauen-Miss-Marple zu gönnen, weil sie schon immer gerne Ermittlungen auf eigene Faust anstellte und noch dazu bestens im Dorf vernetzt ist. Also liefert man dem Publikum jetzt nochmal dieselbe Geschichte in grün, nur sehr viel weniger pointiert.
In der Neuauflage werden die einstigen Hauptcharaktere nicht nur würdelos in einem Nebensatz beerdigt (Dietmar Schäffer kam wegen eines Versagens seiner Kollegin Bärbel Schmied bei der Verkehrskontrolle ums Leben, die danach den Dienst quittierte). Aus der charmanten Schrulligkeit der Dörfler ist inzwischen auch eine völlig überzeichnete Flitzpiepigkeit geworden, bei der Bierkastenstapelwettbewerb und jährliche "Kuchenkrone" über alles gehen.
Die Sippe hat Glück, dass ihre einstigen Mobbingopfer nicht wie geplant aus Rache den kompletten Hengascher Nachwuchs ins Jenseits befördern, und im Zweifel zieht der Haufen mit Rechen, Mistgabel und Flinte bewaffnet los, um vom Aberglauben besessen zur Lynchjustiz jener zu schreiten, die immer noch nicht in die Gemeinschaft passen wollen (wie in der sicher originell gemeinten und sensationell schief gegangenen Episode "Hackestüpp").
Für Mut sind die Quoten noch zu gut
"Was wollen Sie hier", ruft Kommissarin Marie Gabler dem Mob entgegen, den sie per Warnschuss vom Sturm zurückhalten muss. "Das wissen Sie ganz genau: das Monster!" Und wer sich in diesem Augenblick immer noch bestens unterhalten wähnt und nicht an Fackelzüge vor die Privatwohnungen von Volksvertreterinnen und -vertretern erinnert fühlt, deren Corona-Politik manchen nicht passt, der hat vielleicht schon zu viele ARD-Schmunzelkrimis gesehen.
Wohin genau sich während der "siebenjährigen Kreativpause" der Serie die Kreativität abgesetzt hat, behält das Erste vorsorglich für sich. Denn die Neuauflage von "Mord mit Aussicht" ist – wie viele Entscheidungen in den unterhaltendes Genres der der ARD – in erster Linie davon getrieben, dem Publikum nicht zu viele Neuerungen zuzumuten, um es keinesfalls zu irritieren.
So lassen sich ein paar schöne Quotenerfolge erzielen – aber keine neuen Impulse setzen, die der Senderverbund so dringend nötig hätte.
Am Dienstagabend läuft die vorerst letzte Episode der Staffel, in der Gablers angekündigter Abzug (wie bei ihrer Vorgängerin) natürlich in letzter Sekunde wieder abgeblasen wird. Eine Fortsetzung dürfte angesichts der guten Quoten längst beschlossene Sache sein. Dass seit dem Start bis zur vergangenen Woche rund eine Million "Mord mit Aussicht"-Fans abhanden gekommen sind, wird man bei den Verantwortlichen wohl kaum als Misstrauensvotum werten, sondern als natürlichen Schwund. Dafür sind die Zahlen schließlich noch viel zu gut.
Was auch das Problem der ARD als Ganzes und die daraus resultierende Mutlosigkeit manchmal treffend beschreibt. Konkret genug, Frau Schlesinger?
Und damit: zurück nach Köln.
"Mord mit Aussicht" und "Verstehen Sie Spaß?" sind in der ARD Mediathek abrufbar.