War ja klar, dass das funktioniert: Seit diesem Freitag zeigt RTL für zwei Wochen wieder täglich seine Urwald-Olympiade prominenter (und sich Prominenz erhoffender) Menschen beim Insektenanbaden, Alligatorensynchronschwimmen und Schafsaugenverzehr. "Der richtige Dschungel ist wieder da", tönte Tarnhemdmoderator Daniel Hartwich zum Auftakt. Und nachher war die Quote zwar nicht ganz so hoch wie in den Jahren zuvor, 35 Prozent Marktanteil sind aber natürlich immer noch eine Bank.
Und mal abgesehen davon, dass es in diesem Januar wirklich ausreichend Gründe dafür gibt, sich mit Elan in den Reality-Eskapismus zu stürzen, ist es natürlich kurios, dass erst eine internationale Pandemie notwendig war, um "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" raus dem gepflegten Trott zu bringen – und rein in die südafrikanische Echtholzkulisse. Die ja auch schon all die Jahre zuvor eine Option gewesen wäre, um dort ein bisschen frischen Canyon-Wind durch den Formatklassiker wehen zu lassen: mit neuen Tier-Trennern, Rippchen vom Impala und angestrahltem Wasserfall.
Aber in Australien war's halt so schön bequem, und die Leute haben trotzdem artig eingeschaltet.
Dieses Privileg können nicht alle lang laufenden TV-Unterhaltungsformate für sich in Anspruch nehmen. Weil früher oder später auch der größte Show-Erfolg Abnutzungserscheinungen aufweist, wenn er sich jährlich wiederholen muss, um das Publikum – oft über sehr viel längere Strecken – zu entertainen. Genau an diesem Punkt scheinen viele Sender mit ihren einst sicheren Format-Hits gerade angekommen zu sein.
Die Trickkiste mit den Auffrischern
Als Sebastian Krenz kurz vor Weihnachten zum Sieger des ProSieben-Sat.1-Dauerbrenners "The Voice of Germany" gekürt wurde, hatte sein Team-Chef Johannes Oerding zuvor versprochen: "Heute wird Musikgeschichte geschrieben" und bekam von Coach-Kollegin Elif sekundiert: "So geil war das Finale noch nie." Im Nachhinein weiß man: so egal aber halt auch nicht – zumindest den Zuschauerinnen und Zuschauern, von denen so wenige eingeschaltet hatten wie bei keiner anderen Staffel zuvor. Kein Wunder: Selbst zehn Jahre nach dem Start mag "The Voice" immer noch ein tolles Format mit einer großartigen Grundidee, fantastischen Talenten und einer hervorragenden Inszenierung sein. Aber nichts davon wirkt mehr: neu.
Und so sehr das Publikum im deutschen Fernsehen sonst auch darauf pocht, seine Gewohnheiten bedient zu sehen – irgendwann ist's einfach mal gut mit den immer selben Ritualen.
Niemand weiß das besser als die Profis in den Produktionsformen und Sendern, wo man sich zahlreiche Strategien zurecht gelegt hat, um innerhalb eines Erfolgsformats für Abwechslung zu sorgen, ohne dessen grundlegende Prinzipien zu verletzen. Neue Drehorte, neue Gesichter und neue Spielregeln gehören in der Branche ganz selbstverständlich zum Auffrischungs-Repertoire. Nur ein besonders einfaches und zugleich effektives Mittel wird traditionell von allen Beteiligten verschmäht – die Pause.
Warten auf Murwillumbah
Man kann sich das ja heute kaum noch vorstellen, aber: Als "Deutschland sucht den Superstar" zum Jahreswechsel 2002/2003 zu einem der größten Hits in der Sendergeschichte von RTL avancierte, schob man in Köln reflexartig nur sechs Monate nach dem Finale bereits Staffel zwei nach – ließ sich anschließend mit der dritten aber fast anderthalb Jahre Zeit, um das Format einem Erneuerungsprozess zu unterziehen. Und nachdem der Sender 2004 mit "IBES" gleich zwei Teams in den australischen Dschungel geschickt hatte (eins im Januar, eins im Oktober), dauerte es anschließend schlappe drei Jahre, bis Sonja Zietlow und Dirk Bach wieder ins Baumhaus nahe Murwillumbah zogen. (2010 setzte die Show nochmal aus, weil – auch das wirkt aus heutiger Perspektive kurios – die Werbebuchungen ausblieben.)
Vor neun Jahren versuchte Dschungel-Head-Autor Jens Oliver Haas im Interview mit Stefan Niggemeier den auch damals schon über viele Staffeln anhaltenden Erfolg von "IBES" zu erklären und nannte als einen Grund, dass das Format "sich seinen Event-Charakter bewahrt" habe, weil es die Sendung "wirklich nur [an] 16 Tagen im Jahr gibt" – und weil Auszeiten "wieder großen Appetit auf die Show" gemacht hätten.
Darin, ihren Zuschauerinnen und Zuschauern Appetit zu machen, sind die Sender seitdem leider so schlecht geworden wie Harald Glööckler bei der Kugelhängebrückenüberquerung. (Der das aber bislang mit erstaunlicher Empathie und Selbstreflexion auszugleichen weiß.)
Lass stecken, die Maske
Das beste Beispiel dafür liefert ProSieben gerade mit "The Masked Singer". Senderchef Daniel Rosemann versprach kürzlich, dass man "ein ganz waches Auge" dafür habe, "diese tolle Marke nicht [zu] überreizen" – während die Überreizungsfestspiele kurz vor ihrem bisherigen Höhepunkt standen. Keine acht Wochen nach dem Finale der fünften Staffel (der zweiten in 2021) sowie kurz nach dem Weihnachts-Special startete gerade die Formatauskoppelung "The Masked Dancer", bevor es im Frühjahr mit neuen Promis unter neuen Masken regulär weitergehen soll. "The Masked Singer" kommt mit jeder Staffel zwar lange nicht auf so viele Folgen wie andere Shows. Aber gefühlt ist ProSieben bereits über den Punkt hinausgeschossen, an dem man noch behaupten kann, dass die Raterei wirklich "etwas Besonderes bleibt", wie Rosemann es sich eigentlich wünscht.
"Das Schaf ist raus", erinnerte Moderator Matthias Opdenhövel am Donnerstag zu Beginn der dritten "The Masked Dancer"-Ausgabe "alle, die es nicht gesehen haben" – und, nun ja, das waren eine ganze Menge. Dass sich der Rateklon seit dem Start quotentechnisch im Sinkflug bewegt und es diese Woche gerade mal noch auf acht Prozent Marktanteil in der Zielgruppe schaffte, spricht Bände.
Dabei ist die Verlockung, dem Publikum mehr von dem zu geben, was es bereits mit breiter Aufmerksamkeit belohnt hat, natürlich nachvollziehbar: ProSieben hätte die Formatrechte an "The Masked Dancer" wohl kaum freiwillig an die Konkurrenz fallen lassen; und die Programmverantwortlichen aller großen Sender können auswendig rauf- und runterbeten, was es für eine irre Anstrengung bedeuten würde, über Wochen einen oder sogar mehrere Sendeplätze zu füllen, die sonst von halbwegs kalkulierbar zu produzierenden Castingshows belegt werden.
Erst mal verschnaufen
Dabei wäre eigentlich genau das ihre Aufgabe – einerseits, um Format-Hits mittelfristig nicht komplett zu verfeuern. Und andererseits, um neue Format-Hits überhaupt zu ermöglichen.
"Wenn man zu häufig Schnitzel isst, ist man es irgendwann gewohnt, aber man verdammt es nicht für alle Ewigkeit. Der Appetit kommt wieder", hat "DSDS"-Produzentin Ute Biernat gerade im DWDL.de-Porträt von Senta Krasser die Bandbreite kulinarischer TV-Vergleiche um ein paniertes Beispiel erweitert. Und vielleicht recht damit. Aber: der Appetit kann ja nur wiederkommen, wenn man vorher eine zeitlang auf die zur Gewohnheit gewordene Leibspeise verzichtet hat.
Pausen wären ein ganz hervorragendes Mittel, um alle Beteiligten eines lang laufenden TV-Erfolgs eine Verschnaufpause zu gönnen – und sich darauf zu konzentrieren, wie sich eine Show verändern muss, um ihrem Publikum weiter ein gutes Schnitzel zu sein. Im Fall "Deutschland sucht den Superstar", das erstmals ohne seinen bissigsten Stammjuror auskommen muss, nun wahrscheinlich: ein vegetarisches.
Und ohne ahnen zu können, wie gut (oder schlecht) das wird: Wäre es nicht fantastisch gewesen, wenn sich Sender und Produktions-Crew ein Jahr länger hätten Zeit lassen können, um eine neue Besetzung zu finden, die wirklich Strahlkraft besessen und einen Neuanfang glaubwürdig hätte repräsentieren können – anstatt Florian Silbereisen zwischen Schlagerparty und "Traumschiff"-Dreh noch ein paar Tage im Kalender freischlagen zu lassen, um direkt wieder mit den Castings loslegen zu können?
Wie lange weg ist lange genug?
"Ich bin ein Star" hat diesen Prozess gerade quasi gezwungenermaßen hinter sich gebracht, weil die im Vorjahr geplante Australien-Staffel nicht umgesetzt werden konnte. (Über dieses vermutlich im Zeckenfieber entstandene Ersatzdings mit den Tiny Houses wollen wir den Mantel des Schweigens hüllen.) Klar, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer jetzt wieder neugierig auf die Show sind, und den neuen Dschungel noch dazu. Oder wie Anouschka Renzi das Format zusammenfasst: DBPSL – "Die blöden Promis sollen leiden".
Zugegeben: Ohne die beiden Dicken Ds wäre der Januar für RTL ein Monat des Grauens geworden; und ich will auch gar nicht behaupten, dass Pausen ein Allheilmittel sind, um sinkende Quoten von Erfolgsshows wieder ansteigen zu lassen – zumal es alles andere als einfach ist, die richtige Länge einer verordneten Bildschirmabwesenheit zu wählen.
Aber "Wetten dass..?", "TV total" und "Geh aufs Ganze" hat es gut getan, gleich mehrere Jahre aus dem Bewusstsein des Publikums verschwunden zu sein, um mit ihrer Wiederauflage Nostalgie-getunkte Neugierde zu wecken. Wobei sich bei den beiden zuletzt genannten Formaten ja bereits abzeichnet, dass sich der anfängliche Erfolg danach nicht in gleichbleibendem Umfang halten lässt.
Formatleichen pflastern ihren Weg
Und trotz Pausen ist die TV-Geschichte gepflastert mit Formatleichen: Als ProSieben "Popstars" vor zehn Jahren zu Gunsten von "The Voice" eine einjährige Auszeit verpasste, reichte das nicht aus, um nachher an alte Quoten anzuknüpfen. RTLzwei beerdigte das Ding mit der unerwarteten Neuauflage als ernst zu nehmendem Gesangswettbewerb 2015 dann endgültig.
Vielleicht ist es außerdem an der Zeit, der Normale-Leute-Version von "Big Brother", an der sich zuletzt Sat.1 erfolglos versuchte, ein für alle Mal adieu zu sagen, weil das Format seinen Zenit schon vor langer Zeit überschritten hat.
Aber alle Shows, für die das eben nicht gelten soll, hätten es womöglich leichter damit, neue Erfolge zu erzielen, wenn man ihren Zuschauerinnen und Zuschauern zwischendurch zumindest kurz die Gelegenheit gäbe, zu realisieren, dass ihnen was fehlt.
Und damit: zurück nach Köln.
"Ich bin ein Star" läuft täglich bei RTL, die neue Staffel "Deutschland sucht den Superstar" samstags um 20.15 Uhr (und ab Ende Januar zweimal am Dienstag).