6. Januar 2021
"heute journal", ZDF
Da schaltet man nichtsahnend den Fernseher ein und dann läuft da plötzlich amerikanische Geschichte live. Es ist früher Abend (deutscher Zeit), als sich die Meldungen über einen Marsch wütender Anhängerinnen und Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump aufs Capitol häufen und die Lage zu eskalieren droht. CNN zeigt Bilder, auf denen zu sehen ist, wie die Massen Polizeiabsperrungen durchbrechen, die Treppen hochstürmen, Fenster einschlagen und sich Zugang zum Gebäude verschaffen, um die dort laufende Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden zu verhindern.
Im "heute journal" schaltet Marietta Slomka live zu Elmar Theveßen vors Capitol, der berichtet: "Es sind Szenen, wie sie Washington ich glaube in seiner Geschichte schon seit 120 Jahren nicht mehr erlebt hat." Im Hintergrund trägt ein Demonstrant ein Schild mit der Aufschrift "The Democrats cheated. Trump won BIG!" durchs Bild. "Bitte auch vorsichtig sein in dieser aufgeheizten Stimmung", gibt Slmoka dem Studioleiter noch mit den den Weg – doch schon eine gute Stunde später, im "heute journal spezial", sitzt stattdessen Britta Jäger im Studio Washington, um die Lage einzuordnen, weil Theveßen "selbst neben anderen Journalisten attackiert wurde", wie Slomka berichten muss.
Die Redaktion blendet Szenen ein, wie ein wütender Mob die Ausrüstung mehrerer TV-Teams auf einen großen Haufen geworfen hat. Zwanzig Minuten später steht zumindest der telefonische Kontakt zu Theveßen, der berichtet, wie es zu dem Angriff kam: "Wir haben die Kamera noch mitnehmen können, alles andere ist zerstört." Es ist ein Abend, an dem man mit einen noch viel mulmigeren Gefühl ins Bett geht als ohnehin schon – weil völlig unklar ist, was da noch kommt.
22. März 2021
"Chez Krömer", RBB
Da schaltet man nichtsahnend den Fernseher ein und dann sitzen da plötzlich zwei Komiker und unterhalten sich ganz ernst über ihre Depression. "Ich hab schon den ganzen Tag Bauchschmerzen, weil ich hab'n bisschen Schiss, darüber zu sprechen", sagt Kurt Krömer zu seinem Gast Torsten Sträter. "Wir haben beide schwere Depressionen gehabt". Und Sträter, der im Gegensatz zu seinem Gastgeber schon öffentlich darüber geredet hat, sagt: "Ja. Haben wir." Dann folgt ein Gespräch, wie es im deutschen Fernsehen sonst nie passiert.
Krömer erzählt von seinem achtwöchigen Klinkaufenthalt und davon, wie er vorher lange gar nicht wusste, was mit ihm los ist, bis ihn selbst der Einkauf im Supermarkt überfordert hat. Er fragt sich, wie man einen normalen Scheißtag eigentlich von der Depression unterscheidet – "Ja, man ist permanent in Lauerstellung", bestätigt Sträter – und von seiner Angst, außer der Krankheit auch seine "Vollmeise" wegtherapiert zu kriegen, auf die er angewiesen ist, um seinen Beruf weiter auszuüben. Sträter hat mit alldem überhaupt nicht gerechnet, aber er weiß sofort, was das für ein wichtiger Moment ist: "Wir sind jetzt schon zwei, die darüber reden." Dann geht es darum, warum die Krankheit immer noch tabuisiert wird. "Die Leute sehen lieber 'nen Gips bis zum Oberschenkel als sich erklären zu lassen, dass man 'ne Depression hat", sagt Sträter, und: "Es liegt in der Natur der Dinge, dass du schwer vermitteln kannst, wie es ist." Aber an diesem Abend im RBB, wo Krömer seine Gäste sonst eigentlich zum heiteren Frotzelduell bittet, gelingt es vielleicht ein klein bisschen besser als sonst, weil sich zwei unterhalten, die beide ganz genau verstehen, wie es sich anfühlt: "als würde dir jemand eine dunkle Jacke überlegen, sobald du von der Bühne kommst".
Die Krankheit komme vielleicht nochmal wieder, warnt Sträter. "Aber du bist jetzt gewappnet." Und zum Schluss, bevor Krömer vor den wegen Corona leeren Sitzrängen in den Abspann hinein nuschelt, dass dreißig Minuten Sendezeit viel zu wenig für dieses Thema gewesen seien, sagt der Gast: "Du hast heute vielen Menschen einen ganz großen Dienst erwiesen." Auf YouTube ist die Sendung inzwischen über 2,5 Millionen mal abgerufen worden.
Wenn Sie ebenfalls unter Depressionen leiden, gibt es Menschen, die Ihnen helfen können, aus dieser Krise herauszufinden. Eine erste schnelle und unkomplizierte Hilfe bekommen Sie etwa bei der "TelefonSeelsorge", die kostenlos per Mail, Chat oder Telefon (0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222) erreichbar ist.
Sendung in der ARD Mediathek ansehen.
31. März 2021
"Joko & Klaas Live", ProSieben
Da schaltet man nichtsahnend den Fernseher ein und dann läuft da plötzlich die Dokumentation einer vollständigen Arbeitsschicht der Krankenpflegerin des Uniklinikums Münster im Hauptabendprogramm eines Privatsenders, um auf den Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern aufmerksam zu machen. Jeder Handgriff, jeder Arbeitsschritt von Meike Ista, die sich dafür eine Kamera hat anheften lassen, ist zu sehen: Blutdruck messen, Spritzen aufziehen, Einweghandschuhe über Einweghandschuhe stülpen, Bettpfanne leeren, das schnelle Gespräch mit der Patientin, bevor es ohne Pause weitergeht.
Im Splitscreen berichten Krankenschwestern und Intensivpfleger über ihre Alltagserfahrungen, insbesondere während der Corona-Krise, als das Personal an die Belastungsgrenze und darüber hinaus kam: über das Intubieren von Patientinnen und Patienten, von denen nicht klar ist, ob man sie wieder aufwachen sieht; über den Abschied von denen, die gestorben sind, ohne dass die Familie zu ihnen durfte. Es ist eine Mischung aus Verzweiflung und Wut, die durchschimmert: "Wir geben uns Mühe, aber wir können natürlich nicht zaubern." Am Bildschirmrand laufen die Kommentare der Zuschauerinnen und Zuschauer aus den sozialen Medien. Alle sind sich einig: Der Pflegeberuf braucht bessere Arbeitsbedingungen, muss besser vergütet werden, Corona sei "bloß das Brennglas".
Sechs Monate später gibt es für diesen ungewöhnlichen TV-Abend, der bis weit in die Nacht hineinreichte, den Deutschen Fernsehpreis. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn berichtet kurz darauf bei "Zervakis & Opdenhövel" eingeschnappt, er habe alles getan, um die Situation zu verbessern. Und die Krankenhäuser sind in der vierten Welle wieder in ihrem neuen Normalzustand angekommen: der permanenten Überlastung.
Sendung auf ProSieben.de ansehen.
22. Juli 2021
"Nach der Flut: Bettina Böttinger vor Ort", WDR
Da schaltet man nichtsahnend den Fernseher ein und dann steht da plötzlich Bettina Böttinger in einer Fußgängerzone, die aussieht wie die Kulisse eines Katastrophenfilms. Bloß dass die Zerstörung echt ist. Eine Woche nachdem das Hochwasser ganze Gemeinden in der Eifel und im Ahrtal verwüstet und von der Außenwelt abgeschnitten hat, sendet der WDR live aus Bad Münstereifel, das mit am härtesten von der Flut getroffen wurde. Mehr als ein paar Stehtische mit Pappbechern, Licht und zwei Kameras braucht es dafür nicht. Böttinger findet eine Stunde lang nicht nur die richtigen Worte, sondern mit ihren Fragen auch eine wohltuende Balance, um einzuordnen, wie die Katastrophe abgelaufen ist – und was wir daraus lernen müssen.
Die Goldschmiedin beteuert, ihren zerstörten Laden wieder aufmachen zu wollen; der Winzer antwortet auf die Erkundigung nach seiner größten Sorge: "dass die Unterstützung irgendwann abnimmt"; ein aus Köln mit schwerem Gerät angereister Landwirt berichtet von der Belastung, Flutgebiete freizuräumen, in denen immer wieder vom Strom mitgerissene Menschen entdeckt werden; eine Traumaexpertin erklärt, wie sich ein Umgang mit der Situation finden lässt; und die aus dem ebenfalls schwer getroffenen Altenahr hergeholte Bezirksbürgermeisterin berichtet, dass sie von dem Erlebten nicht albträumt: "Ich kann ja nicht aufwachen."
Im Hintergrund laufen Bundeswehr und THW durchs Bild. Die Mauern haben Schlammränder, und statt Café-Tischen stehen Container mit Schutt vor den Häusern. "Als ich heute hier ankam, hab ich meinen Augen nicht getraut", berichtet Böttinger, die durch die Straßen gelaufen ist, um die Menschen ins blaue WDR-Mikrofon hinein erzählen zu lassen, was sie erlebt haben. Natürlich kennt sie jeder, das macht das Erzählen leichter. "Das war eine Sondersendung des WDR und des SWR Rheinland-Pfalz. Unterstützen Sie bitte die betroffenen Menschen", verabschiedet Böttinger zum Schluss ihr Publikum in einen Sommerabend, für den wieder Regen angekündigt ist.
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3. August 2021
"Wer stiehlt Bastian Pastewka die Show?", ProSieben
Da schaltet man nichtsahnend den Fernseher ein und dann läuft da plötzlich eine Show wie früher. Naja, fast wie früher: Bastian Pastekwa hat sich einen Smoking mit Fliege angezogen und kommt singend und – sagen wir: tanzend aus der Kulisse. "Ich glaub, ich hab den herrlichsten Beruf der Welt / Man tritt hinaus, Applaus, Applaus", schmettert er vor weiß gekleideten Tänzerinnen mit Federkopfschmuck. Tanzschritt, Pyrotechnik, Spotlight, plötzlich ist es kurz 1963, "Hier ist was los, Freunde" und dazu spielt das "Funkhausorchester unter der Leitung Kurt Edelhaben mit den Ute Mann Singers."
Dass die Gewinner von Joko Winterscheidts "Wer stiehlt mir die Show?" ihre Leihsendung nach dem Sieg über den Host auf den eigenen Leib geschneidert kriegen, war zu diesem Zeitpunkt schon bekannt. Aber wie sehr Pastewka Spaß daran hatte, seinen Ersteinsatz als Quizmaster in die Zeit der großen Samstagabend-Entertainer zurück zu verlegen, war dann doch eine sehr gelungene Überraschung – vom Glitzerintro über die als Reminiszenz an TV-Klassiker benannten Spielrunden ("Spaß am Dienstag", "Melodien für Millionen") bis zum Abspann, den Pastewka im Dieterthomashecktempo gut gelaunt von einer Moderationskarte mit dem alten ZDF-Logo ablas – vielleicht auch mit etwas Erleichterung, diese Show-Last kurz vorher im Finale wieder abgenommen bekommen zu haben.
"Entschuldigung bitte, ich bin doch nicht Peter Alexander", hatte er sich vor Show-Beginn noch in einer typischen "Pastewka"-Szene gegen die große Aufgabe gewehrt – aber für diesen einen Abend war er's halt doch. Und zwar so, dass der echte stolz gewesen wäre.
Und damit: zurück nach Köln. Kommen Sie gut ins neue Jahr!