Am vergangenen Wochenende moderierte Ross Antony zum ersten mal eine Show, die ganz alleine seinen Namen trug, und dass er sich das verdient hat, steht wohl außer Frage. Auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht ganz dem entsprach, das man sich für ihn gewünscht hätte.
Der 46-jährige Brite mit deutscher Staatsbürgerschaft ist der inoffizielle Gute-Laune-Quirl der TV-Branche, eine Art Perpetuum Mobile des Quasselns und Tanzens, aus dem Energie heraussprudelt wie Wasser aus einer Quelle: sie kann halt nicht anders.
Kennengelernt hat ihn das deutsche Publikum 2001, als er Teil der "Popstars"-Siegerband Bro'Sis wurde; lieben gelernt hat es ihn, als Antony sich wenige Jahre später bei RTL durchs Dschungelcamp zitterte und dabei für alle sichtbar an sich selbst wuchs. Seit 2013 ist er festes Ensemble des Schlagerzirkus, der regelmäßig durchs Dritte Programm des MDR zieht und alle paar Wochen auch im Ersten Station macht. Trotzdem haben ihn die Sender bislang erstaunlich oft in der zweiten Reihe rumstehen lassen.
Stimmvariation im Flamingo-Kostüm
Das hat sich dieses Jahr, pünktlich zu Antonys 20-jährigem Bühnenjubiläum im deutschen Fernsehen, schlagartig geändert. Gerade führt er in Sat.1 leicht unterfordert durch das Vorabend-Quiz "Rolling" und verteilt Freundlichkeiten an Kandidatinnen und prominente Paten: "Es ist schön, dass du da bist, mein Lieber!", "Du siehst fantastisch aus heute", "Wahnsinn, was du tragen kannst."
Davor sang er sich in einem riesigen Flamingo-Kostüm mit blauer Schmuckfeder auf dem Haupt auf ProSieben durch die vierte Staffel von "Masked Singer" und durfte dabei eine stimmliche Variation demonstrieren, die man als als ausgebildeter Sänger nunmal hat – und leider die meiste Zeit, die er sonst im deutschen Fernsehen verbringt, nicht braucht. Als die Zuschauerinnen und Zuschauer ihn nach dem untypisch rockigen Auftritt mit Bon Jovis "You Give Love A Bad Name" direkt ins Finale wählten, hüpfte Antony in seinem schweren Vogelkostüm mit wedelnden Armen so enthusiastisch um seine Wettbewerber und Moderator Matthias Opdenhövel auf der Bühne herum, dass völlig klar war, wie sehr ihm dieser kleine Erfolg eine große Freude bereitet hatte. Eine Woche darauf trieb seine bibbernde Stimme bei Calum Scotts "You are the Reason" der Jury die Tränen in die Augen und selbst Rea Garvey musste zugeben: "Alle haben das gefühlt!"
Vielleicht ist es deshalb um so ärgerlicher, dass ausgerechnet sein Haussender MDR nicht so richtig zu kapieren scheint, wo die eigentlichen Stärken dieses Manns liegen, den man immerzu aufs Publikum loslassen kann – das dummerweise halt gerade nicht da sein kann.
Standardsätze vom Teleprompter
Als Co-Co-Moderator der "Schlagerchampions" im Ersten stand Antony vor wenigen Wochen verloren am Bildschirmrand der Kongresshalle in Suhl herum und hatte neben Beatrice Egli und Florian Silbereisen so wenig zu tun, dass der langen Abend wenigstens ab und an mal mit ein paar verrückten Tanzmoves dekoriert werden musste. Und in der "Ross Antony Show", die der MDR vor einer Woche zeigte, bestand seine Hauptaufgabe darin, auf dem eilig mit Schaustellerwagen und Stadtfestbühne dekorierten Leipziger Sendegelände einen Schlagerauftritt nach dem nächsten anzusagen und dafür Standardsätze vom Teleprompter abzulesen: "Sie hat das feurige Temperament von ihrer ungarischen Großmutter", "Mit seinem Dritten Studioalbum hat er seinen ganz eigenen Stil gefunden" und – als zwischendrin ein nicht singender "Fleischsommelier" untergebracht werden musste: "Die Grillsaison ist in vollem Gange, am Rost sind die Deutschen echte Weltmeister."
Irgendwann wurde "Der Schatz im Silbensee" gespielt, für das Satzbestandteile bekannter Schlagersongs notdürftig an alten Pappboxen getackert worden waren, um sie in die richtige Reihenfolge zu bringen. Und das war alles nicht nur wahnsinnig läppisch, sondern auch meilenweit an den Talenten des Gastgebers vorbei geplant.
Als Show verkleidete Landeskunde
Dabei müsste gerade der MDR die doch besonders gut kennen. Schließlich hat er Antony schon mal eine TV-Show auf den (zwischenzeitlich minimal fülliger gewordenen) Leib geschneidert. Zwischen 2015 und 2017 moderierte er gemeinsam mit MDR-Kollegin Mareile Höppner "Schlager einer Stadt", eine Mischung aus Musiksendung und Porträt malerischer Orte im MDR-Sendegebiet (in Anlehnung an ein ähnliches Format des früheren DDR-Fernsehens).
Das hatte einen besonderen Charme. Nicht, weil die üblichen Interpretinnen und Interpreten ihre wenig variablen Sangeskünste diesmal vor lokalen Sehenswürdigkeiten demonstrieren durften; sondern, weil das wunderbar miteinander harmonierende Duo Höppner/Antony zwischendurch mit ungespieltem Enthusiasmus interessante Lokalitäten der Gastgeberstadt aufsuchte, mit lokaler Prominenz plauderte und dem Publikum eine Vorstellung davon gab, wie (schön) es sich in der Region leben lässt.
"Schlager einer Stadt" war als Show verkleidete Landeskunde, und wer auf YouTube in alte Sendungen reinschaut, merkt sofort den Aufwand und die Sorgfalt, mit der die Reihe produziert wurde – vor allem im Vergleich zu vielen runtergesendeten MDR-Shows der zurückliegenden Monate.
Mit Bratwurstsenfbierpralinen bewaffnet
Nach nur neun Ausgaben war Schluss. Und das ist auch deshalb so schade, weil Ross Antony bei der Erkundung von Köthen, Pößneck, Sangerhausen und Meißen im Fernsehen einfach er selbst sein durfte.
Er traf sich auf ein Schwätzchen mit der örtlichen Töpferinnen-Gruppe, um dabei seine eigene Tasse zu fertigen; laut kreischend ist er Rallye Car durch hübsche Ortsstraßen mitgefahren ("Ich hätte vorher auf Toilette gehen müssen!"); er hat sich einen mit Strasssteinen beklebten Bauarbeiterhelm aufgesetzt, um sich unter Tage mit einem früheren Bergmann über dessen Arbeit zu unterhalten ("Erich? ERICH! Bist du daaa?") – und aus Versehen einen Presslufthammer zu bedienen.
Beim Radballspielen stellte er fest: "Ich sehe aus wie eine gestorbene Ente." Auf dem Marktplatz ist er älteren Herrschaften nachgejagt, um sie mit Rosen zu beschenken und sich zu erkundigen: "Ich hab gehört, es gibt Dinosaurier hier. Und ich hab nicht dich gemeint." Er hat versucht, eine ganze Fußgängerzone mit selbst gemachten Bratwurstsenfbierpralinen zu vergiften. Und ist dabei von den Bürgerinnen und Bürgern so offen aufgenommen worden, weil die gespürt haben, dass er sich mit seiner Herzlichkeit dafür nicht verbiegen muss.
Eine seltene Entertainer-Qualität
Ross Antony hat die – auch im deutschen Fernsehen – seltene Entertainer-Qualität, ganz selbstverständlich mit ihm völlig wildfremden Leuten ins Gespräch zu kommen. Die ihm alles anvertrauen würden und sogar bei einem Scherz auf ihre Kosten mitlachen, weil Antony sich im nächsten Moment schon wieder selbst auf die Schippe nimmt. So lange sich Corona nicht endlich verdampft, lässt sich diese Fähigkeit besonders schwer ausspielen. Trotzdem ist unübersehbar, dass einer wie er nicht vor den Teleprompter gehört.
In der Mitte der MDR-Show, die nun seinen Namen trägt, hat er in der vergangenen Woche – wie zur Belohnung – auch kurz selbst singen dürfen: "Der Weg nach Amarillo", eine aufgeschlagerte Coverversion des Tony-Christie-Klassikers. Und gleich seinen nächsten Einsatz angekündigt: im Juli, auf der Bundesgartenschau in Erfurt. Man kann nur hoffen, dass die Lage es bis dahin wieder zulässt, neugierig guckenden Rentnerinnen und Rentern mit Blumengeschenken nachzujagen.
Und natürlich, dass im MDR demnächst noch mal jemand merkt, was man an dem Mann hat, der als Flamingo verkleidet mehr Variation zeigen durfte als in den vergangenen Monaten im deutschen Schlagerfernsehen.
Und damit: zurück nach Köln.
Die erste "Ross Antony Show" ist in der ARD Mediathek abrufbar; "Rolling – Das Quiz mit der Münze" läuft werktäglich um 18 Uhr in Sat.1.