Geburtstage sind üblicherweise ein Grund, gute Wünsche und Geschenke auszutauschen, sich an gemeinsam erlebte Zeiten zu erinnern und einen über den Durst zu trinken. Manchmal aber sind sie auch Anlass, einem Freund offen und ehrlich die Meinung zu sagen. Also, liebes "Traumschiff": This is an intervention.
Seit nunmehr 40 Jahren schipperst du im Zweiten durchs Seichte, tust niemandem weh, keinem was zuleide und brauchst dich dabei nicht um die Plausibilität von Dialogen oder lästige Gegenwartsbezüge zu scheren. Du warst Gernsehfernweh, eine nostalgische Erinnerung an Zeiten, in denen Serienepisoden statt Cliffhangern abgeschlossene Handlungsstränge hatten, und liefertest die Gewissheit, dass die Welt schon wieder in Ordnung kommt, sobald sich ein einzelner weiß uniformierter Mann darum kümmert. (Notfalls, indem er sich beim Landgang eine Lederjacke überstreift und auf ein Motorrad steigt.) Darüber, dass du lange nach deiner Jungfernfahrt zum Posterprogramm für eine stetig wachsende Kreuzfahrtindustrie geworden bist, die aufgrund ihrer Klimaschädlichkeit zunehmend kritisch gesehen wird, konnte der Sender all die Jahre geflissentlich hinwegsehen – Nachhaltigkeitsgelöbnis hin oder her. Schließlich hast du nicht nur die Kritik an deiner Trivialität immerzu mit guten Quoten in den Wind geschlagen und versucht, dir stets treu zu bleiben.
Aber, und da will ich ehrlich mit dir sein: vielleicht ist genau das dein Problem. Zumindest wirkst du, wenn an diesem Ostersonntag deine 90. Episode im Programm läuft, mehr noch als bisher wie ein Relikt aus der Vergangenheit, dessen größer werdende Risse im Bug nur noch mühsam zu überpinseln sind.
Wie ein televisionäres Schiffeversenken
Für mich warst du all die Jahre in erster Linie ein Guilty Pleasure, das sich einzuschalten lohnte, um in der ersten Viertelstunde möglichst treffsicher zu erraten, für welche Abfolge wiederkehrender Ereignisse sich die Verantwortlichen dieses Mal entschieden hatten. Wer würde ein dunkles Geheimnis aus seiner Vergangenheit lüften, welches ungleiche Paar zueinander finden, welche alte Liebe würde neu entfachen, welche Fehde durch Missverständnisse so lange befeuert werden, bis kurz vor Schluss mit einem Schnips die Vernunft siegt? Deine Fahrt durch bekannte Story-Gewässer war wie ein televisionäres Schiffeversenken: Geschichte erraten, Treffer, versenkt!
Leider ist mir diese Freude schon seit längerem abhanden gekommen, und Corona hat dem früheren Spaß endgültig den Rest gegeben. Wobei es unfair wäre, für das langsame Absaufen eines Klassikers nur die Pandemie verantwortlich zu machen. Obwohl natürlich ein gehöriger Teil des Zaubers schnell dahin ist, wenn man zuhause auf dem Sofa in einer Tour Szenen serviert kriegt, die auf einem fest an Land vertauten Schiff vor der Greenscreen gedreht wurden, um nachher das wogende Meer hinein zu kleben; oder solche, die – wie diesmal – vorrangig in der Kabine, an der Bar und im Fitnessraum spielen, weil in Emden im Dezember draußen so schlecht Ferien-Feeling aufkommt.
So schnell wird sich daran vermutlich nichts ändern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich schon vorher nur noch mit großer Mühe über zahlreiche Unzulänglichkeiten hinwegsehen ließ: die vermeidbaren Anschlussfehler, die dramaturgischen Lücken, vor allem jedoch die völlig aus der Zeit gefallene Angewohnheit, ferne Länder immerzu als Paradies grenzdebil gut gelaunter Exotinnen und Exoten zu inszenieren, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als ein paar aus Langweilistan herbeigeschipperten Sandalettenträgern zur Begrüßung ein lokales Brauchtum in bunter Klamotte vorzutrommeln und den Fremden später zur Austragung ihrer lächerlichen Scheinkonflikte ein paar kühle Drinks zu servieren.
Silbereisens pastorale Abmoderationen
Ein Jahrzehnt, nachdem Christoph Maria Herbst seine zwischen zwei Buchdeckel gepresste Aufarbeitung eines "Traumschiff"-Drehs per einstweiliger Verfügung teilgeschwärzt bekam, scheint es so, als bestehe das Erbe des Serienerfinders Wolfgang Rademann vor allem aus einem groß angelegten Test, wie wenig Mühe man sich eigentlich geben muss, um dreimal im Jahr sechs bis sieben Millionen Menschen zu unterhalten.
Die Antwort darauf wirkt von Mal zu Mal ernüchternder, und daran kann der vor zwei Jahren hastig als Kapitän Max Parger eingewechselte Florian Silbereisen auch mit seinen pastoralen Abmoderationen wenig ändern. "Den größten Schatz tragen wir in uns, und er wird im Laufe des Lebens immer größer: unsere Erinnerungen", salbadert Silbereisen diesmal und glaubt: "Das Schöne ist: es kommen immer wieder neue hin zu." Beim "Traumschiff" gilt das leider nur noch für die Vielzahl an Gastrollen, mit denen die Produktion offensichtlich auszugleichen versucht, dass die Riege bekannter Schauspieler, die den Kahn bisher über Wasser gehalten hat, nach und nach in Rente geht. Für den Dienst an Deck muss inzwischen niemand mehr auch nur ansatzweise schauspielerisches Können mitbringen, sondern im Zweifel – nur sich selbst.
In der Neujahrsepisode 2021 ist Horst Lichter zwei Mal als Horst Lichter übers Deck gelatscht und hat die beiden denkwürdigen Sätze gesagt: "Ich bin aus dem Fernsehen, mich kennt jeder." Und: "Ich genieße jede Sekunde hier." Das war nicht nur gelogen, sondern auch totaler Bullshit, wurde aber trotzdem gesendet – zumal weder in der Produktion noch beim ZDF noch jemand zu glauben scheint, dem Publikum wenigstens minimale Anschlussfähigkeit schuldig zu sein.
Da war sie schon wieder weg
Als Sascha Hehn vor zwei Jahren – offensichtlich nicht in bestem beiderseitigem Einvernehmen – zum wiederholten Mal in seiner Karriere von Bord ging und per Interview später über die Drehbedingungen schimpfte, löste sich seine Serienrolle Victor Burger anschließend sprichwörtlich in Luft auf und alle taten so, als hätte es den Typen nie gegeben. Dem scheidenden Nick Wilder alias Dr. Wolf Sander war es zuletzt immerhin noch vergönnt, seine Nachfolgerin einzuarbeiten: "Bei Ihnen ist das Schiff in guten Händen", empfahl er dem Publikum die Neue, Dr. Julia Brandt (Sina Tkotsch) – die nun nach zwei Episoden ohne weitere Erklärung für Collien Ulmen-Fernandes Platz machen muss, damit die sich als Bordärztin mit einem knieoperierten Ex-Fußballstar in die Wolle kriegen kann, während "Let's Dance"-Moderatorin Victoria Swarovski als Tanzlehrerin einem Passagier den Kopf verdreht.
Den größten Gaga-Auftritt der vergangenen Episoden hatte jedoch Joko Winterscheidt als Max-Parger-Bruder Moritz, der von der südafrikanischen Hafenpolizei verhaftet wurde, weil er der örtlichen Shampoo-Mafia nachspionierte, die ihm einen Container Haarwaschmittel gemopst hatte – woraufhin Silbereisen ihn raushauen und deswegen das Schiffskommando an den Staff-Kapitän abgeben musste, in letzter Sekunde aber doch noch an Bord sprang und dem Kollegen später beim Captain's Dinner anerkennend aus der Kombüsentür zunickte. (Vollständige Plot-Wiedergabe.)
Mit diesem daheim nachgedrehten Logikspagath ließ sich zwar überspielen, dass Silbereisen im März vergangenen Jahres aufgrund der Corona-Krise nicht wie geplant an Bord geflogen werden konnte; die ganze Szene war aber zugleich der Punkt, an dem es sich endgültig nicht mehr ignorieren ließ, wie sehr es den Autoren inzwischen egal zu sein scheint, welchen Bumms sie ihren Zuschauerinnen und Zuschauern da vorsetzen.
(Davon, dass die Produktion für den erzwungenen Heimdreh exakt ein ausländisch aussehendes Kfz-Kennzeichen organisiert hast, das jetzt in jeder neuen Episode an ein anderes Fahrzeug geschraubt wird – letztes Mal einen VW-Bus, diesmal ein Taxi – fangen wir erst gar nicht an. Aber halten Sie heute Abend mal Ausschau nach "SHN852 GP".)
Die höchste Nonnendichte im deutschen Fernsehen
So lange der Unterhaltungsdampfer das ZDF-Feiertagsprogramm zumindest halbwegs erfolgreich gegen den "Tatort" der Konkurrenz zu verteidigen weiß, wird man sich beim Sender wohl genauso wenig davon beeindrucken lassen, dass scheidende Crew-Mitglieder berichten, wie sehr sie die "Fließbandarbeit" und die sich am Set abkühlende Stimmung leid waren. Vor zwanzig Jahren hätte man sich auf dem Lerchenberg aus Stolz und Größenwahn schließlich am liebsten ein bewohnbares "Traumschiff" auf den daneben liegenden Acker gebaut.
Und jetzt stellt man halt noch ein paar Greenscreens auf, bis die Kreuzfahrtbranche nach den Milliardenverlusten der vergangenen Monate mit steigender Impfquote wieder in Schwung kommt, um andernorts so routiniert wie früher weiterzufilmen. Am Ende sieht ja so ein Palmen-gesäumter Strand, ob er nun wie zu Neujahr auf den Seychellen oder wie zu Ostern auf den Malediven liegt, immer gleich aus, bevor sich einer der Charaktere laut Drehbuch wieder eine Scherbe in den Fuß laufen muss.
He "Traumschiff", ich geb mich geschlagen: Nach dem Ende von "Um Himmels Willen" bist du bald nicht nur die Sendung mit der wahrscheinlich höchsten Nonnendichte im deutschen Fernsehen, sondern scheinbar auch unkaputtbar. Allet Jute zum 40. Geburtstag.
Und damit: zurück nach Köln.
"Das Traumschiff: Malediven/Thaa-Atoll" läuft am Ostersonntag um 20.15 Uhr im ZDF.