Man hat ja nicht viele Verabredungen dieser Tage, aber versuchen Sie gar nicht erst, mich montagabends zu erreichen: Da bin ich zum "First Dates Hotel"-Gucken bei Vox geblockt. Ich kann auch nicht genau sagen, wie das über mich gekommen ist. Es ist einfach so beim Zappen passiert, und seitdem fühle ich mich – zusammen mit einer wachsenden Zahl an Zuschauerinnen und Zuschauern – gezwungen, jede Woche wieder einzuschalten.
"First Dates Hotel" ist sozusagen ein vorgespultes "Herzblatt": Auf der Suche nach der großen Liebe werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer – in der Regel ohne einander vorher zu kennen – direkt in ihr erstes Blind Date mit Urlaubsatmosphäre katapultiert. Statt Studio-Trennwand und vorformulierter Verbalflirts gibt es Rinderzunge aus der Sterneküche, eine Pool-Bar, unverstellt scheinende Kennenlernmomente und haufenweise Gründe, das alles zu mögen – alleine schon, weil "First Dates Hotel" im deutschen Lockdown-Winter ein Fenster in den kroatischen Vorjahres-Sommer öffnet, der wie ein permanenter Glücksfilter über der nach kleinem Dorf aussehenden Ferienanlage liegt, in der "First Dates Hotel" für die aktuelle Staffel Station macht.
(Imaginieren Sie bitte an dieser Stelle die Standardeinblendung, dass alle Teilnehmenden zuvor negativ auf Corona getestet wurden.)
TV-Amor in kurzen Hosen
Dazu kommt die abfärbende Entspanntheit des Gastgebers Roland Trettl, der – wie es bei Vox generell Einstellungsvoraussetzung zu sein scheint – im wahren Leben Sternekoch ist, aber seinen wahrscheinlich nicht ganz so arg anstrengenden Nebenjob als TV-Amor in kurzen Hosen und Kniestrümpfen ebenso zu genießen weiß.
Trettl spielt Begrüßungskomittee für seine Gäste ("Du bist so erfrischend!", "Du hast voll die rasierten Beine!"), trägt Damen die Koffer vor, spaziert durch die Anlage, trinkt zwischendurch einen Espresso, hält sich am Restaurantpult fest, verleiht seinen Blazer an Gäste, damit die beim Date ihre Schweißflecken überdecken können, spielt Federball mit der kecken Rezeptionistin Aline, stellt ein bisschen zu persönliche Fragen und sich scherzhaft als "Robert" vor, übt Golf mit dem Personal, trinkt noch einen Espresso, macht Abschiedspolaroids – und wirkt bei alldem so ausgeglichen, dass man für einen kurzen Moment auch gerne Roland Trettl wäre. (Ohne die Kniestrümpfe vielleicht.)
Der eigentliche Einschaltgrund sind aber natürlich die Situationen, in denen sich die füreinander ausgesuchten, oftmals leicht überambitioniert zurecht gemachten Gäste erstmals beim Essen begegnen – und die "First Dates Hotel" oft so hervorragend zu erzählen weiß, dass man zuhause vor dem Fernseher tatsächlich zu hören glaubt, wie es plötzlich „Klick" macht. Auch wenn man sich manchmal bloß aus Versehen auf die Fernbedienung gesetzt hat.
Krawall? Nein, danke
Aus der Masse der übrigen Reality-Formate sticht "First Dates Hotel" durch zwei Besonderheiten heraus. Die erste ist, dass Trettl auf seinem "Liebesareal" Gäste aller Altersgruppen und Couleur zum Flirten willkommen heißt: junge und junggebliebene, helle und nicht ganz so helle, auf Äußerlichkeiten bedachte und innere Werte Bevorzugende, tätowierte und nicht tä…. – nein, Pardon: Tätowierung ist glaub ich Voraussetzung.
Damit bildet die Produktion nicht nur einen interessanten Querschnitt durch die Gesellschaft ab, den es im Formatfernsehen sonst so eher selten gibt, zumindest nicht in ein und derselben Sendung. Zugleich demonstriert sie eine angenehm selbstverständliche Offenheit für Protagonistinnen und Protagonisten, die eher nichts ins Raster konventioneller Dating-Sendungen passen – etwa weil sie sich ihrer sexuellen Orientierung (noch) nicht ganz sicher sind oder im falschen Körper geboren wurden und überlegen, wie sie das ihrem Date am besten erzählen sollen.
Der zweite Punkt, den die Vox-Reihe für sich verbuchen kann, ist ihre Selbstverpflichtung zur Krawallvermeidung. Wenn ein Date mal nicht so gut läuft, fliegen nachher nicht die Fetzen; es gibt – trotz unübersehbarem Hang zu Protagonisten, denen sich eine gewisse Prolltendenz nicht absprechen lässt – keinen Streit und kein böses Blut.
"Da ist mir meine Zeit zu kostbar", war der fieseste Satz, der in der vergangenen Woche fiel, als Personenschützer Sascha und Verkäuferin Isabella sich gegenseitig versicherten, kein zweites Date miteinander zu benötigen. Und der etwas zu aufdringliche Ruheständler Wolfgang, dem seine vermeintliche Herzdame Gabriele das Wiedersehen verwehrte, reiste in einer späteren Szene einfach wortlos ab.
Ins Nirgendwo führende Dialoge
Eskalationen sind nicht vorgesehen – obwohl "First Dates Hotel" so manches Mal in Versuchung zu geraten scheint. Und genau das macht meine Faszination für das Format zu einer ambivalenten.
Denn während sich die Produktion einerseits große Mühe gibt, ihrem Publikum einen unbeschwerten Abend mit scheinbar ganz natürlich agierenden Gästen zu bescheren, wirkt "First Dates Hotel" andererseits in vielen Szenen ungewöhnlich künstlich und gestellt.
Das liegt zuallererst an den erstaunlich schlecht geschauspielerten Interaktionen des Hotelpersonals, das nicht bloß fürs Drinksmixen und Zimmermachen zuständig ist, sondern zwischendurch auch so aufdringlich kommentiert, wer zu wem passt, dass das schon fast an Stalking grenzt (bevor es sich gegenseitig abklatschend Arm in Arm in den Feierabend verschwindet). Auf Trettls Geheiß werden auswendig gelernte Pflichten aufgesagt: "Wir werden [die Gäste] von vorne bis hinten verwöhnen …" – "… stets ein Lächeln auf den Lippen haben, um das weitergeben zu können …" – "… und unsere Liebe weiter in die Welt tragen."
Am rätselhaftesten sind die ins Nirgendwo führenden Dialoge für Zwischenszenen. An der Rezeption: "Na-ha, wie läuft's?" – "Ja, super. Ihr seid ganz gut gebucht." – "Ja." – "Hach, schön. Ich geh mal Gläser polieren." – "Ich muss sowieso Schlüssel sortieren." Oder am Pool: "Wie lange bist du jetzt hier?" – "Ich bin heute erst angekommen." – "Es ist geil, oder?" – "Mega. Richtig schön." – "Ja, wirklich."
So! Ein! Zufall!
Richtig seltsam wird's bei "First Dates Hotel" aber vor allem dann, wenn sich die Flirts der Gäste plötzlich so entwickeln, wie es niemals zu erwarten gewesen wäre. Als Fitnessstudio-Fan Patrick gemerkt hat, dass der Abend mit seinem Date Valentina zwar prima war, ihr mitgereister Bruder ihm aber noch viel sympathischer ist, landen die beiden Männer (Überraschung!) noch für ein Spontan-Date am Pool – nachdem diese Möglichkeit bereits in der vorigen Episode ausführlich vorbereitet worden war.
Koch Devn und Soldatin Jeanny sind eigentlich für getrennte Dates angereist, mit denen sie sich nachher auf freundschaftlicher Ebene auch prima verstehen – aber als das Personal sie (ganz zufällig) am Pool auf einen Drink zusammensetzt, haben sich die beiden sofort ineinander verguckt, weil sie so viele Gemeinsamkeiten entdecken.
Das in dieser Staffel bislang größte Hallo gab's jedoch, als Özcan sein Date mit Kathi bei einem Abendspaziergang durch die Hotelanlage ausklingen lassen wollte und da (wieder ganz zufällig!) seine alte Flamme Jaqueline auf der Terrasse saß – in der unerklärt gebliebenen Hoffnung, Özcan würde noch auf einen Drink zu ihr kommen, was der freilich ablehnte. Danach: Tränen, Eifersucht, Aussprache von Özcan mit Kathi und ausführliche Tröstung von Jaqueline durch "First Dates Hotel"-Barkeeper Rocco, den sie auch ganz süß fand, woraufhin Trettl spontan ein Date mit dem einfühlsamen Angestellten anbot, das anschließend so Cinderalla-mäßig aufgekitscht ausfiel, dass eigentlich bloß noch ein Heiratsantrag gefehlt hätte.
Der Zauber zerplatzt vor dem Abspann
So viele Zufälle kann's selbst im kroatischen Sommer kaum geben (zumal die Begegnung der Ex-Flammen sehr an eine ähnliche aus der ersten Staffel erinnerte). Und dass sich die eben noch brandheißen Flirts am Ende der Episode zu A-capella-gesummtem "Take on me" in Rauch auflösen, trägt nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit bei: "Für Jaqueline war Rocco ein heißer Urlaubsflirt in Kroatien. Zurück in Deutschland erlosch die Liebesflamme allerdings recht schnell", heißt es dann per Einblendung – und die Betroffenen sagen dazu getrennt voneinander noch zwei sehr allgemeine Nettigkeiten in ihre Handykameras.
So geht das in den allermeisten Fällen, und es ist leider nicht nur Beleg für die fatal niedrige Erfolgsquote der Vox-"Liebesengel" – sondern auch Grund dafür, dass man sich als Zuschauerin bzw. Zuschauer ein bisschen verarscht vorkommen kann, wenn zuvor über anderthalb Stunden ein Theater aufgeführt wurde, das abendfüllend ausgeschmückt nach Corona vermutlich regelmäßig den Musical Dome zu Köln mit Publikum zu füllen wüsste. Echt ist es deswegen aber nicht.
Am Ende zerplatzt der ganz Zauber von "First Dates Hotel" noch vor dem Abspann. Und bleibt trotzdem so einprägsam, dass man in der Woche darauf wieder einzuschalten versucht ist, weil alles wieder von vorne losgeht.
Vielleicht funktioniert "First Dates Hotel" für seine Zuschauerinnen und Zuschauer ganz ähnlich wie die gezeigten Urlaubsflirts: als aus dem Alltag herausgelöster Moment, der sich erst besonders anfühlt, mit der Rückkehr in die Realität aber schnell an Bedeutung verliert. Zumindest bis sich "Weltenbummler" Trettl im nächsten Jahr wieder die Strümpfe bis unter die Knie zieht, um uns neue Märchen aus der Welt der unerwarteten Begegnungen zu erzählen – denen man im Zweifel ein klitzekleines bisschen nachhelfen muss, um daraus eine ganze Staffel zu machen.
Und damit: zurück nach Köln.
"First Dates Hotel" läuft noch diesen und nächsten Montag um 20.15 Uhr bei Vox.