Es gibt Sätze, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie mal ins Internet hineinschreibe, aber das hilft ja jetzt auch nichts: Anfang des Monats hat Ruth Moschner auf Instagram eine Verteidigung ihres Pos publiziert. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme erklärte die Moderatorin damit, dass sie regelmäßig Post erreiche, in der Zuschauende ihres Sat.1-Quizzes Kritik an dessen Optik äußerten: "[E]r sei zu fett, zu breit, zu groß, zu wenig 'altersgerecht' eingekleidet." Und weil Moschner schlicht zu höflich war, die Idioten dazu aufzufordern, den Quatsch künftig einfach für sich zu behalten, schloss sie nach einem längeren Erklärmonolog über Weitwinkeleinstellungen mit einer fragenden Bitte: "[I]st es doch einfach nur schön, dass wir alle unterschiedlich aussehen"?
In einigen Medien wurde sie nachher für ihr Eintreten gegen Bodyshaming gefeiert. Aber daran braucht sich Moschner gar nicht zu gewöhnen. Weil der Wind schnell drehen wird, sobald sich auf Twitter demnächst wieder zwei Leute gleichzeitig über sie aufregen.
Ereignisse, die es eigentlich gar nicht gibt
Die sozialen Medien haben das Prinzip, zu allem jederzeit die eigene Meinung kundtun zu können, zu einem Phänomen unserer Zeit gemacht. Nur allzu oft kippt diese Möglichkeit, sich auf gleicher Augenhöhe in Debatten einbringen zu können, leider in Beleidigungen oder sogar offenen Hass. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hat sich in den vergangenen Jahren eine Reihe an Medien entwickelt, die Pöbeleien bereitwillig aufgreifen, um daraus Schlagzeilen, Klicks und letztlich Profit zu generieren.
Nun ist es eine alte Regel des Showgeschäfts, dass jemand, der seine Nase (oder wahlweise das andere Ende seines Körpers) in Wind und Kamera hält, auch damit rechnen muss, dass sie jemand anderem nicht passt.
Aber das, was vor allem TV-Moderatorinnen inzwischen zu ertragen haben, grenzt fast schon an systematisches Mobbing. Moschner kennt sich nur zu gut damit aus, ähnlich wie ihre Kollegin Laura Wontorra, die regelmäßig im Mittelpunkt des Interesses von Medien wie dem zur Verlagsgruppe Ippen gehörenden Angebot "Nordbuzz" steht. Die ehemalige Freizeitwebsite bezeichnet sich selbst als "Reichweitenportal", und das bedeutet u.a. Schlagzeilen zu Ereignissen zu basteln, die es eigentlich gar nicht gibt.
Zwei Twitter-Nutzer als Kronzeugen
Als Wontorra im vergangenen Jahr die Moderation der Vox-Sendung „Grill den Henssler“ übernahm, brauchte Nordbuzz nicht lange, um über ihr erstes "Twitter-Gewitter" ("fiese Beleidigungen nach Henssler-Premiere") zu berichten, für das im Text exakt zwei schlechtgelaunte Tweets von irgendwem als Beleg herhalten mussten. Das war jedoch nur der Anfang der "Wontorra-Aufregung", die sich wegen einer angeblichen "Attacke gegen Schwule" in einem weiteren Text zum "Wonotorra-Desaster" mit "fiesen Bashing-Attacken" ausweitete, an denen die Moderatorin wegen ihrer "TV-Sprüche" aber selbst schuld sei. (Wontorra hatte überhaupt niemanden attackiert, sondern in der von ihr moderierten Sendung lediglich in einem Nebensatz Pecorinokäse als "warmen Bruder des Parmesan" bezeichnet.)
Auf Twitter werde "heftig [ge]schossen", berichtete Nordbuzz und publizierte regelmäßig weitere Texte dazu, denn dass Wontorra "nicht unbedingt super gut bei einem Großteil der Fans ankommt, ist nach ihrer Premiere in der Vox-Show klar". Und: "Über die hübsche Brünette verliert auf Twitter wirklich niemand ein gutes Wort!" – also: "niemand" im Sinne der maximal zwei Twitter-Nutzer, die meistens als Kronzeugen herhalten müssen.
Zum Finale der vergangenen „Grill den Henssler“-Staffel gipfelte die Krawallgier in der Schlagzeile: "Fans feiern Gast – Wontorra vor Rauswurf?" "Zuschauer mögen eine andere Frau an Steffens Seite", raunte die Redaktion in der Unterzeile zum Teaser-Bild mit Henssler, auf dem über Wontorras Gesicht ernsthaft ein rotes Verbotszeichen gephotoshoppt war. Und ich weiß nicht genau, wie abgestumpft man als Redakteurin bzw. Redakteur sein muss, um bei seiner Arbeit auf so eine beschissene Idee zu kommen – aber mit beschissenen Ideen kennt man sich bei dem ehemaligen "Regionalportal für den Norden" womöglich einfach aus.
Das Scheitern darf nie aufhören
Der "Rauswurf"? Stand nie zur Debatte. Nach einer länglichen Nacherzählung der Show konstruierte der Text, Fans hätten auf Twitter "regelrecht" für Gast Sonja Zietlow geschwärmt, und die „könnte damit Laura Wontorra eine Menge Konkurrenz machen“. Schließlich sei die Kochshow "dafür bekannt, über die Jahre die Moderatoren zu wechseln".
Richtig ist: Auch Wontorras Vorgängerin Annie Hoffmann hat, während sie durch die Show führte, regelmäßig zusammengefasst bekommen, wie wenig sie bei einzelnen Nutzerinnen und Nutzern von sozialen Medien in der Sendung erwünscht sei. Daran, dass für sie nach einer Staffel tatsächlich Schluss war, wird Hoffmann von Clickbait-Medien seitdem regelmäßig erinnert – insbesondere, wenn sie es wagt, später als Gast zurückzukommen und Twitter prompt wieder "nicht unbedingt die nettesten Worte" für sie übrig hat. "Die wenigen, die sich über die Rückkehr von Annie Hoffmann tatsächlich gefreut haben, sind davon wohl auch nur begeistert, weil sie die jetzige ‚Grill den Henssler‘-Moderatorin Laura Wontorra noch viel weniger leiden können", lautete die Nordbuzz-Bilanz.
Noch einmal: All diese Berichte handeln von – nichts. Sie existieren ausschließlich, weil Redakteurinnen und Redakteure wahllos aufgegriffene Tweets überhöhen, beschleunigen und vor den Zerrspiegel stellen, um mit einem riesigen Blasebalg Luft hineinzupumpen und Aufmerksamkeit damit zu erzeugen.
Tagesgeschäft Schlagzeilenschleuder
Diese Methode ähnelt denen der Yellow Press, die Mats Schönauer im "Topf voll Gold" regelmäßig auf Übermedien dokumentiert und kritisiert – mit dem Unterschied, dass die Scheinsensationen aus dem Netz suchmaschinen- und klickoptimiert Millionen von Smartphones in die News-Übersicht gepusht und Texte regelmäßig umdatiert werden, um immer wieder neu in Suchergebnissen aufzutauchen. Für die Schlagzeilenschleudern ist das Tagesgeschäft.
Vor zwei Jahren erklärte der Nordbuzz-Geschäftsführer in einem Interview mit Meedia, seine Redaktion arbeite "[g]enauso wie jemand, der ein Produkt verkauft und deshalb eine schöne Verpackung bietet": "Natürlich machen wir Überschriften, die dafür sorgen sollen, dass die Nutzer den Inhalt öffnen." Der Vorwurf des Clickbaiting habe allerdings "so einen negativen Touch, den ich nicht verstehe".
Womit wir wieder bei Ruth Moschner wären, deren Moderation von "Grill den Henssler" bereits etwas länger zurückliegt, was sie bedauerlicherweise nicht davor bewahrt hat, weiterhin im Mittelpunkt des Interesses von Nordbuzz zu stehen.
Im vergangenen Jahr publizierte die Redaktion einen Text mit der Schlagzeile: "Ruth Moschner urplötzlich verschwunden – Sorge um die Ex-'Grill den Henssler'-Moderatorin." Das für Google dazu ausgespielte Bild zeigte die Moderatorin mit weit aufgerissenem Mund vor einem Landkartenausriss, auf dem die Stadt München rot eingekreist und mit Pfeil gekennzeichnet war. Der Teaser wiederholte, die Moderatorin sei "spurlos verschwunden und versetzt Fans in Sorge" und spielte – unterstützt durch die Optik – offen mit der Andeutung, dass ein Verbrechen oder eine Tragödie passiert sein könnte. (Ohne dies konkret zu behaupten.)
„Spurlos“ untergetaucht?
Wer auf den Text klickte, erfuhr nichts dergleichen. Dort stand, Moschner sei in ihrer neuen Rolle als Jurymitglied bei der ProSieben-Show "The Masked Singer" – raten Sie mal: genau, "bei vielen TV-Fans weniger gut" angekommen. Das sei aber nicht der Grund dafür gewesen, dass sie – "spurlos"! – "untergetaucht" sei. Moschner hatte auf Instagram lediglich mitgeteilt, ihr würde "eine Woche ohne Verschwörungstheorien und Gedöns" guttun, deshalb wolle sie für ein paar Tage den sozialen Medien fernbleiben.
"Daher müssen sich ihre Instagram-Fans auch nicht sorgen", urteilte Nordbuzz abschließend und wusste: sie "kam pünktlich nach einer Woche wieder zurück". Fertig.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass in den sozialen Medien zu viele Menschen unterwegs sind, die in der Öffentlichkeit stehende Personen grundlos beleidigen und belehren. Aber es bedarf schon ganz besonderer Niedertracht, aus dem Referieren und Ausschmücken dieser Kommentare unter Hinzuerfinden nicht existenter Eskalationen, die später weggehüstelt werden, "Journalismus" machen zu wollen. Keine Frage: Die zunehmende Eskalation in den sozialen Medien ist ein gesellschaftliches Problem. Aber vielleicht müssen wir uns erst mal überlegen, wie wir künftig mit Verlagen umgehen wollen, die das zur Basis ihres Geschäftsmodell gemacht haben.
Und damit: zurück nach Köln.