Immer wenn's dienstagabends bei Joko Winterscheidts ProSieben-Quiz "Wer stiehlt mir die Show?" am Ende um die Wurst geht, kommt Katrin Bauerfeind aus der Kulisse. Sie erklärt nochmal die ein bisschen zu kompliziert geratenen Spielregeln fürs Finale und sorgt anschließend dafür, dass feststeht, wer die Sendung in der darauffolgenden Woche moderieren wird. Nur eins weiß man vorher schon: sie selbst ist es nicht.
Das könnte ein Fehler sein.
Ich muss zugeben, dass ich bisher nicht der allergrößte Katrin-Bauerfeind-Fan war. Das lag, wenn ich mich recht entsinne, vor allem an einem von ihr vor unzähligen Jahren mit übertriebener Bewunderung glucksend geführten Harald-Schmidt-Interview und ein paar nicht ganz so gelungenen "Bauerfeind assistiert"- Folgen auf 3sat. Aber das ist natürlich nicht nur wahnsinnig unfair, sondern wird der Vielseitigkeit, mit der die 38-Jährige im deutschen Fernsehen unterwegs ist, längt nicht mehr gerecht.
Raus aus dem 30-Minuten-Korsett
Im vergangenen Herbst stand Bauerfeind beim Deutschen Comedypreis als Laudatorin für die Kategorie "Beste Moderation" auf der Bühne, in der "zum ersten Mal", wie sie ihr Publikum erinnerte, keine Frau vorgeschlagen war. Also nutzte sie die Gelegenheit, die nominierten Herrschaften so zu bekomplimentieren, wie es sonst bloß ihren Geschlechtsgenossinnen zuteil wird – und das war so schnell und so böse, dass es auch Luke Mockridge und Ralf Schmitz für einen Moment gar nicht fassen konnten, bevor einer von ihnen den "Volker-Herres-Gedächtnispreis" (Bauerfeind in einem späteren Interview) überreicht bekam.
Als er sie mal bei "Late Night Berlin" zu Gast hatte, kündigte Klaas Heufer-Umlauf Bauerfeind mit den Worten an, auf ihrer Uhr stehe es "viertel vor Schöneberger", und das war hübsch formuliert – aber mindestens irreführend. Weil die fehlenden 15 Minuten für Bauerfeind schon seit Jahren allenfalls in Zeitlupe zu vergehen scheinen.
Bei Barbara Schöneberger hat immerhin mal jemand zeitnah gemerkt, dass man sie rauslassen muss aus dem Korsett lustiger 30-Minuten-Sendungen im Spätprogramm, um zu zeigen, was sie sonst noch alles kann. Das ist in der deutschen TV-Branche für viele Frauen alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Stand-up geht auch im Sitzen
Bauerfeind zum Beispiel moderiert jetzt seit deutlich mehr als zehn Jahren 30-Minuten-Sendungen im (Spät-)Programm: "Bauerfeind recherchiert", "Bauerfeind assistiert", "Bauerfeind – Die Leseshow" und seit 2019 "Bauerfeind – Die Show zur Frau", die nach einem Ausflug ins Erste gut versteckt beim Digitalnischensender One läuft. Dort unterhält sie sich mit Gästen über gesellschaftsrelevante Themen jenseits der Wochenaktualität: zuletzt zum Beispiel mit Bettina Böttinger und Axel Bosse übers Geduldigsein (nicht nur, aber auch in der Coronakrise) oder mit Ex-Tennisspielerin Andrea Petković und Kabarettist Rainald Grebe über die Herausforderung des Neuanfangens.
Zum Start absolviert Bauerfeind fehlerfrei einen superschnellen Themen-Stand-up im Sitzen, ehe man sich versieht, ist die Sendung auch schon wieder rum – und das kann sie meinetwegen auch ewig weitermachen. Aber ich glaub, es wär jetzt tatsächlich mal an der Zeit, auszuprobieren, wie sich Bauerfeind im Schöneberger-Modus schlagen würde: in einer Show, deren Budget vorher nicht noch aus der Kaffeekasse abgezwackt werden musste. Mit großer Bühne, Gästen, die länger als ein paar Minuten bleiben dürfen, und der Aufgabe, einen ganzen Abend zusammenzuhalten.
Weil es doch absurd ist, eine wie sie mit ihrer unbestreitbaren Unverwechselbarkeit immer nur aus der Kulisse kommen zu lassen, wenn irgendwo ein bisschen zu kompliziert geratene Spielregeln erklärt werden müssen.
Die beste deutsche Mainstream-Comedy
Da frau ja auch nicht ewig darauf warten kann, dass die Programmverantwortlichen bei den Sendern aufwachen, hat Bauerfeind vor zwei Jahren noch eine Zweitkarriere gestartet und ist beim ProSiebenSat.1-Streaming-Ableger Joyn in ihre erste Comedy-Serienhauptrolle geschlüpft: für "Frau Jordan stellt gleich". Vor drei Monaten ist (für zahlende Abonnentinnen und Abonnenten) bereits die zweite Staffel veröffentlicht worden, leider weit unterm Radar vieler Zuschauerinnen und Zuschauer. Das ist auch deshalb so ungerecht, weil es sich bei "Frau Jordan stellt gleich" um die derzeit vielleicht beste deutsche Mainstream-Comedyserie handelt, die wir haben.
Erzählt werden Geschichten über das Chaos in einem städtischen Gleichstellungsbüro, was genauso anstrengend, aber auch sehr viel lustiger ist, als es sich anhört. Es geht darum, warum Frauen nicht zur Feuerwehr dürfen sollen und Mädchen nicht im Knabenchor mitsingen; um Eltern, die keine Ex-Bundeswehr-Soldaten als Kindergärtner haben wollen; und darum, dass unsere eigene Toleranz oft schneller an ihre Grenzen stößt, als wir das von unserem Gegenüber erwarten.
Dass das so gut funktioniert, liegt zum Teil daran, dass Autor Ralf Husmann sich beim Schreiben der Bücher in dem von ihm erschaffenen Stadtverwaltungskosmos all die Jahre nach "Stromberg" wieder sehr, sehr wohl zu fühlen scheint – eine ideale Voraussetzung, um seine Charaktere gegen gesellschaftliche Konventionen anrennen zu lassen.
Trubel mit der "Randgruppenkirmes"
Vor allem liegt es aber: an Katrin Bauerfeind. Als Gleichstellungsbeauftragte Eva Jordan fegt Bauerfeind mit einem Tempo durch Gegenwartskonflikte, als könne sie nebenbei auch noch die Koordination der Stadtreinigung miterledigen. Ihre Protagonistin scheitert dabei genauso oft an verbohrten Das-haben-wir-noch-nie-so-gemacht-Mitmenschen und missgünstigen Vorgesetzten wie an sich selbst; aber nur, um sich jedes Mal wieder aufzuraffen und dafür einzutreten, dass der Teil der Welt, für den sie gerade zuständig ist, ein kleines bisschen weniger ätzend wird. Was sich als gar nicht so einfach herausstellt, wenn jede und jeder glaubt, am stärksten benachteiligt zu sein.
Die Bordsteinabsenkung für die Rollstuhlfahrer ärgert die Fahrradfans, die lieber zuerst mehr Radwege hätten; beim gemeinsamen Infotag gegen das neue Gewerbegebiet wollen die Seniorinnenen mit ihrem Stand besser nicht neben der Queer-Community stehen und die syrischen Flüchtlinge nicht zusammen mit den Schwulen vom Regenbogenhaus protestieren. Dass der frei gewordene Raum im Stadthaus von wickelnden Vätern belegt werden soll, geht den Muslimen gegen den Strich, die sich schon lange einen Gebetsraum wünschen, was die Raucher durch ihre Inanspruchnahme um jeden Preis verhindern wollen ("Ich hab mich schon drei Mal beim Rauchen erkältet, weil's draußen so kalt ist").
So leicht und echt und ernst
Und dann ist da ja auch noch Neu-Bürgermeisterin Ingrid Sommerfeld, die Eva Jordan auf dem Kieker hat, seitdem die es wagte, gegen sie anzutreten, und nun spottet: "Die macht sich ja komplett lächerlich mit ihrer Randgruppenkirmes." Stimmt aber gar nicht, im Gegenteil.
Die Randgruppenkirmesdirektorin ackert für alle, für die es sich zu ackern lohnt – auch die Unsympathischen; gleichzeitig stemmt sie sich gegen die zahlreichen eigenen Fehltritte, Affären und Selbstzweifel. "Ihr glotzt mich alle an, weil ich'n bisschen lauter bin und'n bisschen bunter", schnauzt Jordan die Kolleginnen auf der Gleichstellungsbeauftragtenkonferenz an und ärgert sich: "Ihre redet die ganze Zeit von Frauennetzwerken und Frauensolidarität – aber ihr meint nur Frauen, die so aussehen, wie ihr!"
Ein andermal steigt sie im Büro auf den Tisch, um einen ausgebrochenen Streit zu befrieden: "Wir machen hier keine Minderheitenolympiade! Keiner von euch ist automatisch schwer in Ordnung, nur weil er Teil von 'ner Minderheit ist." Und Bauerfeind spielt das alles so leicht, so echt, flapsig und ernst, dass es ein Vergnügen ist, ihr dabei zuzusehen.
Neue Chance im Free TV
Wenigen Serien gelingt es, so wie "Frau Jordan stellt gleich" brutal und warmherzig, fortschrittlich und kitschig, treffsicher und albern zu sein. Zur Free-TV-Ausstrahlung bei ProSieben ging das im vergangenen Jahr trotzdem ziemlich unter. Die zweite Staffel soll im zweiten Halbjahr 2021 im Fernsehen laufen – auf welchem Sendeplatz steht noch nicht fest. Aber vielleicht wäre der spätere Abend diesmal die bessere Wahl, um dort eine kleine Fan-Basis aufbauen zu können. (Hat bei "Stromberg" mit der Zeit ja auch geklappt.)
Die gute Nachricht ist: Gerade hat Joyn bekannt gegeben, eine dritte Staffel produzieren zu lassen (was angesichts des traurig-schönen Cliffhangers der zweiten auch gar nicht anders gegangen wäre). Und selbst die Branche hat gemerkt, dass "Frau Jordan stellt gleich" etwas Besonderes ist, was sich zumindest schon mal mit ein paar Nominierungen für diverse Preise belohnen ließe. "Als Moderatorin war ich noch für nix nominiert", hat Bauerfeind kürzlich in einem Interview dazu gesagt. Aber das lässt sich ja bald ändern.
Und damit: zurück nach Köln.
"Frau Jordan stellt gleich" ist auf Joyn PLUS+ abrufbar (mit Abo); bisherige Episoden von "Bauerfeind – Die Show zur Frau" stehen in der ARD Mediathek.