Gefühlt ist der Start der zurückliegenden Woche ja auch schon wieder ungefähr ein Jahr her. Und nach diversen Spezials zu Lockdown-Verschärfung bzw. US-Präsidentenvereidigung geht leicht in Vergessenheit, dass das alles eigentlich mit einem ganz anderen Sondersendungsanlass losging: der Wahl von Armin Laschet zum neuen Vorsitzenden der CDU.
Kaum ins Amt geklickt, saß Laschet am vorvergangenen Samstag bereits der versammelten Hauptstadtberichterstattungskompetenz von ARD und ZDF gegenüber, um pflichtschuldig bei "Farbe bekennen" im Ersten und "Was nun?" im Zweiten Rede und Antwort zu stehen.
Das hätte nach monatelangen Diskussionen über Personalien und Posten ein wunderbarer Anlass sein können, endlich zur Sachpolitik zurückzukehren. Laschets Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner hätten mit der Einstiegsfrage überraschen können, wie er in seiner neuen Position mit dafür sorgen will, nach der Pandemie auch die Klimakrise in den Griff zu kriegen (und damit gleichzeitig ein Signal ans junge Publikum aussenden).
"Sind Sie ein Corona-Profiteur?"
Sie hätten nach seiner Vision für die kommenden Jahre fragen können; nach einem überfälligen Plan für eine europäische Flüchtlingspolitik; danach, ob er das Bildungssystem dieses Landes angesichts der aktuellen Erfahrungen für zukunftsfähig hält. Nach den Themen, die unter seiner Führung zuerst angegangen werden, wenn Corona nicht mehr die ganze Tagesordnung bestimmt.
Stattdessen entschieden sich die Journalistinnen und Journalisten dazu, einfach dort weiterzumachen, wo sie kurz vor der Wahl aufgehört hatten.
In der ARD brannte Chefredakteur Rainald Becker nach der "Tagesschau" eins ganz besonders unter den Nägeln: "Herr Laschet, wie erleichtert sind Sie, dass nach dieser langen Zeit der Unklarheit das jetzt für Sie so gut ausgegangen ist und welche Rolle hat dabei gespeilt, dass der Parteitag eben nicht im vergangen Frühjahr, sondern pandemiebedingt jetzt stattfand? Sind Sie ein Corona-Profiteur?" Das wäre schließlich ein ganz schönes Hallo gewesen, wenn Laschet einfach ja gesagt hätte. (Hat er natürlich nicht.)
Vielleicht sagt er's gleich doch noch
ARD-Hauptstadtstudioleiterin Tina Hassel schwenkte anschließend direkt auf "den Auftritt Ihres Teampartners" Jens Spahn ein, der mit seiner Werbung für Laschet in der Fragerunde der Delegierten für Ärger bei der Gegenseite gesorgt hatte – was der Mehrheit des Fernsehpublikums herzlich egal gewesen sein dürfte. Nach einem Exkurs zur Causa Friedrich Merz schwenkte das Duo schließlich auf die unvermeidbare Frage: "Greifen Sie jetzt auch nach der Kanzlerkandidatur?" Und zwar, um auch dann nicht locker zu lassen, als Laschet klar signalisiert hatte, sich dazu im Frühjahr erst mit der CSU besprechen zu wollen.
Becker fragte trotzdem doppelt nach, weil sich Laschets Meinung in den zwei Minuten dazwischen ja kurzfristig hätte ändern können. (Hat sie nicht.)
Als das nichts nützte, ging es um das bevorstehende Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zur möglichen Verschärfung der Corona-Maßnahmen, die Laschet – verständlicherweise – ebenfalls nicht vorweg nehmen wollte. Was für Interviewerin und Interviewer ähnlich schwer zu akzeptieren war: "Der Lockdown muss verschärft werden. An was genau denken Sie?", "Drohen wirklich konkrete Ausgangssperren?", "Herr Laschet, bleiben wir nochmal kurz bei Corona, weil es die Menschen einfach so interessiert."
Und es mag ja sein, dass das die Menschen interessiert – mit dem Unterschied vielleicht, dass die meisten nicht ganz so dringend wie Tina Hassel über Beschlüsse Bescheid wissen mussten, bevor diese tatsächlich getroffen sein würden.
In den eigenen Ritualen erstarrt
In Momenten wie diesen scheint die Politikberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender vollständig in ihren Ritualen erstarrt zu sein; Ritualen, von denen keiner so recht zu wissen scheint, warum sie nicht schon längst aufgegeben wurden. Auf jeden Fall aber Rituale, die niemanden schlauer machen, weil immer wieder die gleichen Fragen gestellt werden, von denen vorher klar ist, dass es keine befriedigende Antwort darauf geben wird. Weil Rainald Becker halt nicht Columbo ist.
Wenig anderes demonstriert diese Methode so anschaulich wie die Sendungen der Hauptstadtstudios, deren Berichterstattung aus dem politischen Tagesbetrieb vorrangig für den politischen Tagesbetrieb gemacht zu sein scheint: Was ist jetzt, heute, in dieser Sekunde aktuell? Wer setzt sich gegen wen durch? Wer hat Macht, und wer verloren?
Wahrscheinlich gehört es zur Konditionierung von Journalistinnen und Journalisten, sich stets nach dem zu erkundigen, was den sie unmittelbar umgebenden Politbetrieb gerade beschäftigt. Ob das auch die Mehrheit der Zuschauerinnen und Zuschauer interessieren könnte, scheint eher eine nachrangige Rolle zu spielen. (Anders übrigens als in "Tagesthemen" oder "heute journal".) Das führt im schlimmsten Fall nicht nur zu Politik-, sondern auch Journalismusmverdrossenheit.
Deutschland sucht den CDU-Kanzlerkandidaten
Ich will gar nicht behaupten, besser zu wissen, wie man Gespräche mit Politikerinnen und Politikern führen soll, von denen viele ja tatsächlich hart bearbeitet werden müssen, um ihnen mehr als die üblichen Phrasen zu entlocken. Aber als Zuschauer und Beitragszahler würde ich mir schon wünschen, dass sich die Verantwortlichen öfter damit auseinander setzen, welches Ziel sie mit ihrer Taktik eigentlich erreichen können. Oder ob es bloß darum geht, Haken hinter Punkte setzen, die halt angesprochen werden müssen.
Bevor "Farbe bekennen" im Ersten lief, hatten bereits ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Bettina Schausten, Leiterin der Hauptredaktion Aktuelles, den neu gewählten CDU-Vorsitzenden ins Kreuzverhör gebeten – und auf fast exakt dieselben Fragen fast exakt dieselben Antworten erhalten. Das ist an sich schon keine so gute Werbung dafür, sich ein öffentlich-rechtliches System mit zwei großen Sendern zu leisten, die im Idealfall für publizistische Vielfalt sorgen sollen, dessen Führungspersonal dann aber doch bloß dasselbe einfällt.
Der auffälligste Unterscheid war jedenfalls, dass Frey seinem Gesprächspartner direkt als erstes abringen wollte, ob die CDU mit dessen Wahl "auch entschieden [hat], neun Monate vor der Bundestagswahl, dass Sie der Kanzlerkandidat werden?"
Bettina Schausten deutet was
Nein, hat Laschet geantwortet. Und Frey: "Warum zögern Sie so?" Woraufhin Laschet meinte: "Nein. Ich zögere nicht." Und Frey: "Doch, es klingt ein bisschen zögerlich. Dann frag ich nochmal nach." (Ohne Erfolg.) Anschließend übernahm Schausten mit der aus ZDF-Sicht zweitwichtigsten Frage fürs Land, von deren Thema auch in den darauffolgenden fünf nicht abzuweichen war: Was ist jetzt eigentlich mit Friedrich Merz?
"Aber sein Angebot steht doch im Raum und Sie müssen damit umgehen", beharrte Schausten gegenüber Laschet. "Das zeigt doch auch, dass sein Lager für Sie ein Unruheherd war – ich deute es so. Mann kann's eigentlich nur so deuten, dass er Sie eigentlich auffordert, die Kanzlerin vom Thron zu stoßen. Fordert er Sie dazu auf? Muss man das so…? Er fordert die Entscheidung: Gehen Sie mit Merkel, gehen Sie mit Merz? Was ist für Sie wichtiger für den Wahlkampf?" Vielleicht hatte Schausten vorher auch bloß zuviel ZDF gesehen, um aus ihrem Interview dringend einen mit royalen Metaphern angereicherten Politkrimi herauspressen zu wollen.
Weil es ja auch noch Markus Söder gibt, legte Frey mit weiteren Fragen zur Kanzlerkandidatur nach, war sich dabei auch nicht für billigste Provokationen zu schade (an Laschet: "Wollen Sie's denn? Oder trauen Sie sich's nicht zu?"). Dann kam noch Spahn, das Corona-Treffen, ein Exkurs zur Impfstoffbeschaffung, AfD-Wahrsagerei-Aufforderungen (Schausten: "Friedrich Merz hat gesagt, er kann die AfD-Ergebnisse halbieren. Was schaffen Sie?") und, natürlich, die Ermahnung zur Koalitionsprognose für September, die Laschet routiniert vom Tisch wischte.
Ein Gespräch wie ein Auffahrunfall
Es war ein Gespräch wie ein journalistischer Auffahrunfall. Mit Ansage. Bei dem man infolge des Aufpralls nochmal zurücksetzt, um neu Anlauf zu nehmen. (Und später bestenfalls doch noch ein unüberlegt geäußertes Satzfitzelchen an die Agentur geben zu können.)
Die dazwischen immerhin durchschimmernde Sachpolitik lagerte das Interview-Duo weitgehend in das alberne Satzergänzungsspiel aus, zu dem Gäste bei "Was nun?" am Ende immer gezwungen werden. Im Handumdrehen waren Klimakrise und Mindestlohn abgehakt, um zurück zu den wichtigen Dingen zu kommen: "Wenn dann im April Markus Söder weiter aussichtsreichster Kandidat ist, und alle Umfragen das übereinstimmend sagen, sind Sie dann bereit, Herr Laschet, ihm die Kanzlerkandidatur zu überlassen?"
Spätestens in diesem Moment hätte ich am liebsten in meinen Fernseher hinein geschrien: Mensch, Bettina, kapier's doch – ER SAGT ES DIR JETZT NICHT!
Demnächst wieder in diesem Theater
Aber das war gar nicht notwendig, weil der neue CDU-Vorsitzende mit der weisen Ahnung im Studio saß, dass der Unfug gleich vorbei sein würde, und die Gelegenheit nutzte, sich kurz vor Schluss einfach noch ein bisschen über Gastgeberin und Gastgeber lustig zu machen: "Wir werden im April gemeinsam einen Kanzlerkandidaten finden", sagte Laschet in einem Tonfall, mit dem man einem kleinen Kind etwas erklärt, das immer wieder rumnölt, obwohl es die Antwort schon kennt, "und wenn das soweit ist, dann komm ich hier wieder hin, und dann können Sie fragen: Was nun, Herr Laschet? Und dann geb ich Ihnen die Antwort. Vielleicht mit Markus Söder zusammen. Dann sagen wir Ihnen das."
Aber bis dahin haben sich die Hauptstadtberichterstatter von ARD und ZDF sicher schon ein paar neue Fragen überlegt, die sie so schnell nicht beantwortet kriegen.
Und damit: zurück nach Köln.