Kurz vor Weihnachten, nachdem in Karlsruhe entschieden worden war, dass die öffentlich-rechtlichen Sender im neuen Jahr erstmal ohne Beitragserhöhung auskommen müssen, trat der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow mit Sorgenfalten vor die Kamera und sagte einen Satz, der anschließend in der "Tagesschau" lief: "Wir werden jetzt unsere Finanzplanungen anpassen müssen. Das wird gravierende Folgen haben, auch fürs Programm. Das wird man sehen und hören!"
Das kam sowohl bei Kritikerinnen als auch Verbündeten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht so wahnsinnig gut an.
Buhrow hätte sich hinstellen können und – ruhig ein bisschen kleinlaut – einräumen, dass die Sender dem Bundesverfassungsgericht in ihrem Eilantrag wohl besser hätten begründen müssen, warum sie die zuvor von Sachsen-Anhalt verhinderte unverzügliche Anhebung für so dringlich halten.
Stattdessen führte sich der WDR-Fettnäpfchenintendant auf wie wie ein Sechsjähriger, dem der volle Zugriff aufs Familienerbe verweigert wird, um sein Lego-Imperium zu erweitern; und der, falls nicht unverzüglich die Freigabe erfolgt, mit dem Abriss seiner bisherigen Aufbauten droht: Man hat ihn zwar lieb, aber er nervt halt auch.
Die drei ??? des deutschen Rundfunksystems
Hilft ja nichts: ARD, ZDF und Deutschlandradio müssen vorerst darauf warten, die von der Mehrheit der Landtage, aber eben nicht von allen durchgewunkenen 86 Cent im Monat zusätzlich von uns zu erhalten. Und jetzt haben wir den Schlamassel mit der Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in der sich zwar alle paar Minuten jemand Neues agenturzitatfähig zu Wort meldet – aber leider halt, ohne dass das den schleppenden Streit auch nur einen Zentimeter weiter brächte.
Keine Angst, Sie können beruhigt weiterlesen: Ich will Sie hier nicht mit Indexmodellen, Staatsverträgen und Kommissionszuständigkeiten langweilen. Vielleicht reden wir stattdessen einfach mal ganz konkret – übers Programm?
Allen vermeintlichen Bemühungen zum Trotz, einen Konsens zur Neuformulierung des Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen zu finden, geht es vielen sich jetzt zu Wort Meldenden am Ende ja doch in erster Linie: ums Geld. Darum, wie sich der Rundfunkobulus künftig niedriger gestalten ließe, um Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zu entlasten. Die (von immer denselben Akteuren geführte) öffentliche Diskussion kreist dabei zunehmend um die drei ??? des deutschen Rundfunksystems, also: Privatisieren? Umstrukturieren? Oder wegstreichen?
1. Privatisieren
Die hessische FDP hat vorgeschlagen, das ZDF zu privatisieren, und "FAZ"-Herausgeber Carsten Knop fand neulich, dass man da doch echt mal drüber nachdenken könnte, obwohl der Vorschlag von der hessischen FDP komme. Ich weiß nicht, wie's Ihnen geht, aber ich kann mir noch nicht so richtig vorstellen, wie am Ende eines solchen Procederes ein Programm aus Mainz "mit demselben hohen journalistischen Qualitätsanspruch" (Knop) und zugleich weniger Krimis, deren Flut den meisten Kritikerinnen und Kritikern so auf den Zeiger geht, wiederfinden würden. Hilft das was (außer Sparen)?
2. Umstrukturieren
Ein Lieblingszugeständnis, das meist von den Sendern selbst kommt, ist der Vorschlag, was sich z.B. innerhalb des Senderverbunds der ARD alles noch strukturell zusammenliegen ließe, um es gemeinsam zu nutzen (Verwaltung, Technologie, Gedöns). Was nicht nur den unpraktischen Nebeneffekt hat, dass man sich als Beobachterin bzw. Beobachter fragt: DAS macht bei euch immer noch jede Anstalt für sich, ist das euer Ernst? Sondern auch regelmäßig zu unschönen Momenten der Selbstdemontage führt.
Nachdem SWR-Intendant Kai Gniffke in der zurückliegenden Woche bei DWDL.de mit der Überlegung vorgeprescht ist, seinen Sender unter Wahrung der regionalen Programmautonomie enger mit dem Saarländischen Rundfunk (SR) zsammenzuführen, haben sein SR-Kollege und die saarländische Landespolitik durch ihre ebenso prompte wie hochallergische Ablehnung eindrucksvoll belegt, wie sehr Besitzstandswahrung und politischer Direkteinfluss, die dem System stets vorgeworfen werden, immer noch aktuell sind. (Und ein Riesenproblem.)
3. Wegstreichen
Meine Lieblingsdiskussion ist aber die darum geführte, was man ARD und ZDF künftig alles verbieten und wegnehmen müsste, um den ausufernden Ansprüchen der Sender etwas entgegen zu setzen und das System auf einen neuen Kurs zu lenken.
"Informationssendungen soll es weiter geben – Kochsendungen, Talkshows und Krimis stehen auf der Kippe", zitierte die in der Diskussion nicht ganz uneigennützig hochengagierte "Welt" kürzlich aus einem internen "Diskussionspapier" der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU. Der Vorschlag wurde nachher zwar von hochrangigen Parteimitgliedern abgelehnt. Gleichwohl wurde andernorts geraunt, die Konzentration auf Information, Auslandsberichte, Kultur und Regionales könnte Eingang ins CDU-Programm zur nächsten Bundestagswahl finden.
Verbieten, was alle gucken?
Das Argument, man müsse ARD und ZDF die Unterhaltung verbieten, um einen Kernauftrag für Kultur und Information zu fokussieren, taucht in schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf. Es ist auch deshalb so beknackt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender – übrigens mit Unterstützung des Bundesverfassungsgerichts – dagegen das gute Argument anführen können, die Unterhaltung helfe ihnen dabei, beim Publikum Aufmerksamkeit für andere, weniger populäre Inhalte zu schaffen, die im Umfeld gezeigt werden.
Und sind wir doch mal ehrlich: Die ersten, die sich darüber beschweren würden, dass ein zuvor von ihnen selbst aufs Nötigste reduziertes beitragsfinanziertes Programm nicht genügend Leute gucken, wären doch vermutlich die Damen und Herrschaften von der Mittelstands- und Wirtschaftsunion!
Dazu kommt, dass man vielleicht besser nicht ignorieren sollte, was sich die Zuschauerinnen und Zuschauer von einem mit ihren Beiträgen finanzierten Programm wünschen: "Klein gegen groß", "Tatort" und "Bares für Rares" gehören, nach den Millionen zu urteilen, die jedes mal einschalten, ganz offensichtlich dazu. (Was nicht bedeutet, dass dies in der bisherigen Intensität weitergeführt werden muss.)
Unterhaltung gehört zu ARD und ZDF
Der Markt wird's schon richten, entgegnen Kritikerinnen und Kritiker dann. Oder wie's Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß unter Zurschaustellung exzessiver Ahnungslosigkeit formuliert hat: "Unterhaltung kann es genauso gut im privaten Rundfunk geben." Ja, natürlich, und Politik kann es doch genauso gut in der SPD geben. Deshalb käme Ploß aber ja vermutlich auch nicht auf die Idee, die CDU abzuschaffen – weil die Politik, mit der er für diese antritt, nunmal eine andere ist.
Wie sehr Unterhaltung zur öffentlich-rechtlichen DNA gehört, hat der NDR gerade über die Feiertage mit seiner äußerst sehenswerten und großartig von Anke Engelke erzählten Doku "Unsere Väter – die größten Showmaster Deutschlands" über Rosenthal, Kulenkampff, Frankenfeld, Thoelke und Carrell unter Beweis gestellt (aktuell natürlich nicht mehr in der ARD Mediathek abrufbar). Und für die Behauptung, Unterhaltung würden die Privaten schon alleine hinkriegen, findet sich heute kaum ein besseres Gegenbeispiel als – Kai Pflaume.
Über zwanzig Jahre hat's Sat.1 nicht geschafft, dem Moderator eine Unterhaltungsshow zu stricken, die nicht nach kürzester Zeit wieder abgesoffen wäre. ("Nur die Liebe zählt" mal ausgenommen.) Seit Pflaumes Wechsel zum NDR im Jahr 2011 moderiert er fürs Erste und Dritte einen Dauerbrenner nach dem nächsten, von "Wer weiß denn sowas" bis "Kaum zu glauben", hat daran immer noch sichtlich großen Spaß und nebenbei sogar noch genug Zeit, Influencer in ihren Twitch-Shows zu besuchen. Vor allem aber scheint es dem Publikum große Freude zu bereiten, daran teilzuhaben.
Auch Privatsender können gesellschaftliche Relevanz
Wieso also sollte man ARD und ZDF etwas verbieten, das die augenscheinlich ganz gut können und erfolgreich betreiben? (Über die unbestrittene Reformbedürftigkeit großer Teile des öffentlich-rechtlichen Entertainments reden wir dann ein andermal.)
Gleichzeitig lohnt es sich, um Programmrealitäten anzuerkennen, auch ein gar nicht so schlechtes Argument der Privaten zu hören, die daran erinnern, dass auch kommerziell orientierte Anbieter einen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit leisten (können), der nicht ausschließlich von Profitinteressen getrieben ist.
Bevor er im Machtkampf gegen den damaligen Konzernchef Max Conze unterlag und das Unternehmen im Vorjahr verließ, erinnerte z.B. der ehemalige bei ProSiebenSat.1-Vize Conrad Albert daran, dass auch Privatsender Public Value – also gesellschaftliche Relevanz – böten und dabei ein deutlich jüngeres Publikum erreichten. Wie das gehen kann, hat ProSieben im vergangenen Jahr mit Thilo Mischkes Reportage "Rechts. Deutsch. Radikal" bewiesen.
Auf Twitter wurde zwar prompt losgenörgelt, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen dem Thema ja viel regelmäßiger widmen. Mag sein. Aber wer hat's durch die exponierte Programmierung und die Social-Media-Begleitung geschafft, dass für ein paar Tage alle drüber geredet haben? Und was, bitteschön, war das anderes als die Herstellung gesellschaftlicher Relevanz?
Mehr Wettbewerb um Beitrags-Budgets
Vielleicht ist's an der Zeit, die ganze Sache nochmal neu zu denken. Lassen wir ARD und ZDF doch, wie sie es sich wünschen, die Unterhaltung – und sorgen gleichzeitig dafür, dass die private Konkurrenz sich künftig leichter damit tun kann, Programme zu produzieren, die zuallererst der Gesellschaft und nicht der Dividende nutzen. Zum Beispiel, indem es sehr viel mehr Wettbewerb darum gibt, ausgewählte beitragsfinanzierte Produktionsbudgets zu erhalten.
Sicher nicht zur Aufrechterhaltung eines weltumspannenden Netzwerks an Korrespondentinnen und Korrespondenten, auch nicht für eine zuverlässige Nachrichtenberichterstattung und die Berücksichtigung regionaler Themen. Dafür haben wir ARD und ZDF ja. Aber womöglich in klar definierten Bereichen, zum Beispiel für Zielgruppen-spezifische Dokumentationen und gesellschaftsrelevantes Entertainment!
Sie haben das vermutlich nicht gesehen, aber im vergangenen Jahr zeigte Vox zur allerbesten Sendezeit am Dienstagabend kurzzeitig die Reihe "Altes Haus sucht Mitbewohner". Dafür brachte der Sender Mitbürgerinnen und Mitbürger ab 65 Jahren, die über ausreichend Platz in ihren Stadtwohnungen verfügen, mit 20- bis 30-Jährigen zusammen, die nach bezahlbarem Wohnraum suchten. Nach dem Kennenlernen per "Speed Dating" begleitete die Kamera die Teilnehmenden zum fünftägigen Probewohnen und dokumentierte, welche Überraschungen und Hürden sich beim Zusammenleben der Mehrgenerationen-WG ergaben.
Gleichzeitig lehrreich und unterhaltsam
Das war ebenso lehrreich wie unterhaltsam – und aufgrund des prominenten, aber auch sehr konkurrenzintensiven Sendeplatzes nach der Ausstrahlung von zwei der sechs Folgen schon wieder abgesetzt, weil der Marktanteil nicht mit anderen Produktionen mithalten konnte.
Das Format "konnte in der Primetime die Zuschauer nicht in der Form begeistern, wie wir uns das gewünscht haben", heißt es auf Nachfrage beim Sender dazu. "Ein anderer passender Sendeplatz stand uns zu dieser Zeit nicht zur Verfügung. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, den Zuschauern die restlichen vier Folgen auf TVNow bereitzustellen." (Hier ansehen.)
Gleichzeitig betont man bei Vox, "weiterhin viel Freude an unseren Generationenprojekten" zu haben. Das Vorgänger-Format "Wir sind klein und ihr seid alt", das Seniorinnen und Senioren mit Kindern zusammenbrachte, um zu dokumentieren, wie sehr beide Seiten von dem Kontakt profitieren, war im Vorfeld mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Es sei "auch Vorbild für viele ähnliche Projekte [gewesen], die nicht im Fernsehen zu sehen sind". Die Corona-Pandemie erschwere zurzeit persönliche Begegnungen, insbesondere die zwischen Jung und Alt. Die Generationenprojekte "sollen mittelfristig aber Teil des Vox-Programms bleiben", erklärt man in Köln.
Finanz-Support gegen Mitspracherecht
Was genau spricht dagegen, dem Sender diese Entscheidung damit zu erleichtern, dass er in Zukunft zumindest einen Teil der Finanzierung vergleichbarer Formate über Rundfunkbeiträge bewerkstelligen kann?
Vox gäbe das die Möglichkeit, Ideen für gemeinwohlorientieres Programm zu entwickeln, die zum Senderprofil passen, aber nicht mit kommerziell erfolgreicheren Inhalten gegenfinanziert werden müssen; im Gegenzug ließe sich die Budgetvergabe mit der Bedingung verknüpfen, dass auf diesem Weg (mit)finanzierte Sendungen nicht so einfach abgesetzt werden dürften.
Gleichzeitig müssten die Öffentlich-Rechtlichen sehr viel stärker als heute in einen Wettbewerb um die besten Programmideen einsteigen, wenn sie den Finanzierungszuschlag für sich entscheiden wollen – weil die festgelegten Budgets in diesem Teilbereich nicht mehr automatisch bei ihnen landen würden.
Wer entscheidet, was Public Value ist?
Eine unmögliche Vorstellung? Ach was, der Vorschlag ist gänzlich unoriginell – in ihrem Medien- und Kommunikationsbericht 2018 hat sogar die Bundesregierung bereits überlegt, einen "Medieninnovationsfonds" zu schaffen, "durch den ein Teil des Rundfunkbeitrages auch für die Finanzierung unabhängiger privater Medienproduktionen eingesetzt wird", um "Anbietern und Produzenten journalistisch-redaktioneller Inhalte außerhalb des jetzigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems" mehr Spielräume zu ermöglichen (S. 57).
Natürlich bräuchte es für ein solches Procedere eine möglichst frei agierende Stelle, die entscheidet, welche Programmidee am ehesten förderwürdig wäre, sozusagen eine "unabhängige Kommission zur Ermittlung eines vernünftigen Programms", wie's Harald Staun in der "FAS" vor kurzem vorschlug.
Um nicht die schlimmen Proporzpeinlichkeiten vergangener Drittsendezeiten-Vergaben zu wiederholen, dürften die Landesmedienanstalten daran in keinem Fall beteiligt sein. Genauso wenig wie im Eigeninteresse handelnde Verlage, deren Herausgeberschaft sich bislang ohnehin nicht durch übermäßige Ahnung vom Tagesgeschäft bei "SatProRTL" (Josef Joffe neulich in der "Zeit") hervorgetan hat.
Erstmal an die eigene Nase fassen
Im Gegenzug müsste sich die Politik bei der Auftragskonkretisierung für ARD und ZDF nicht darauf einlassen, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzelne Genres oder Inhalte zu verbieten und damit im Zweifel seine Akzeptanz zu schmälern bzw. womöglich den nächsten Stress vorm Bundesverfassungsgericht zu provozieren. Und Tom Buhrow müsste sich, wenn sein Senderverbund künftig mit geringeren Budgets ausgestattet wäre als er sich das wünscht, beim Beschweren erstmal an die eigene Nase fassen.
Zugegeben: Wieviel Geld uns ein Rundfunksystem wert ist, das sich sehr viel unmittelbarer als bisher an einem systemübergreifenden Public Value orientiert, ist damit immer noch nicht geklärt. Aber das holen wir einfach kommenden Sonntag nach, abgemacht?
Und damit: zurück nach Köln.
Alle sechs Episoden von "Altes Haus sucht Mitbewohner" stehen bei TVNow Premium zum Abruf bereit (abopflichtig).