Aus ehrenamtlichem Engagement ergeben sich ja oft die besten Ideen. Sie brauchen manchmal bloß etwas Zeit, um heranzureifen. Fast vier Jahre ist es her, dass sich Pierre M. Krause neben seinem Hauptberuf als SWR-Late-Night-Moderator freiwillig in der Pensionistenbetreuung einsetzte und seinen ehemaligen TV-Mentor Harald Schmidt über den Frankfurter Flughafen zum VIP-Gate begleitete, damit der unversehrt zum Flug für den "Traumschiff"-Dreh kommen konnte.
Weil das so unterhaltsam geriet, zufällig eine Kamera mitlief und im Dritten eigentlich immer irgendwo ein Programmplätzchen frei ist, wenn gerade kein "Tatort" wiederholt werden muss, kam die Begegnung anschließend auch im Fernsehen – und stieß dort auf so positive Resonanz, dass man sich in Baden-Baden mit geringer Verzögerung fragte: Warum machen wir das eigentlich nicht öfter?
Noch'n Bierchen, Schnäpschen, Weinchen
Seit dem Spätsommer des vergangenen Jahres macht Krause das Herumspazieren mit Prominenten deshalb nun öfter – mit dem kleinen Unterschied, dass die allermeisten Begleitgäste nach wie vor im Fernsehen oder im Internet zu sehen sind, dafür aber halt nicht immer ganz so eingespielt in der dualen Passantenbetreuung wie Harald Schmidt. Der war zum Auftakt gleich nochmal dran, verteilte diesmal Likörchen in der Kölner Fußgängerzone und durfte sich in der von Krauses Kamerateam eigens für teures Geld erworbenen Parkhaus-Drehgenehmigung sonnen. (Man will älteren Mitbürgern ja in diesen Zeiten keine allzu weite Anreise zumuten.)
Immer donnerstags steht seitdem ein neuer Spaziergang zum Abruf verfügbar: auf dem YouTube-Kanal der "Pierre M. Krause Show", die – wie es ihre Art ist – gerade leise, still und heimlich ihre 600. Studioausgabe feierte. "Kurzstrecke" hat der Urheber die kleine Internet-Wochenrubrik getauft wurde, wahrscheinlich weil "Durststrecke" angesichts des ausufernden Draußenkonsums von kleinen Bierchen, Schnäpschen und Weinchen zu offensichtlich gelogen gewesen wäre.
Da Krause in den vergangenen Monaten fleißig vorgearbeitet hat, passen die meist um die 15 Minuten langen Filme nun umso hervorragender in die aktuelle Zeit: weil sie ihrem Publikum dabei helfen, dessen aktuell durch Corona massiv eingeschränkte soziale Interaktion outzusourcen. Lockdown mit 15-Kilometer-Bewegungsregdius? Macht doch nichts, einfach auf YouTube die Krause'schen Kurzbesuche am Stück durchlaufen lassen!
In der Limo zum Döner
Den Erfolgs-Podcaster Tommi Schmitt hat Krause direkt vom Comedypreis abgeholt, um mit ihm in einer Mietlimousine auf den Kölner Ring zu düsen und sich dort gegen halb zwei noch mit einem Lukas-Podolski-Döner für einen Nachtspaziergang zu rüsten; mit Sophie Passmann hat er beim Vorweihnachtsshopping in Berlin Identitätsfragen und Pralinenvorlieben geklärt; Lars Eidinger bekam als Stärkung für den bevorstehenden Auftritt in der NDR Talkshow am Hamburger Hafen ein unverschämt teures Fischbrötchen spendiert ("Satt und sicher ankommen – das ist der Pierre-M.-Krause-Bring-dich-nachhause-Serrvice"); mit Youtuber Sturmwaffel, Chianti und Eierlikör war der Sonnenuntergang am Rheinufer gleich dreimal so schön, bevor's zum gemeinsamen Show-Kochen ging; und dem Comedian-Kollegen Özcan Coşar hat Krause im Karlsruher Christbaumland erfolgreich den Erwerb einer Tanne günstiger geflennt.
Den (bislang) vielleicht charmantesten Ausflug lieferte aber Hazel Brugger, mit der sich Krause durch einen Kölner Hofladen alberte, um ihrem 83-jährigen Opa was zu Picheln mitzubringen und auf der Rückfahrt im Mietwagen einen Schokoweihnachtsmann am Stil zu inhalieren.
Die "Kurzstrecke" macht vor allem dann Spaß, wenn man beim Zusehen merkt, wie sich Gast und Gastgeber im Laufe des Treffens auf einer Wellenlänge einpendeln (bzw. einpegeln). Und wie dann ziemlich gut das richtige Maß zwischen Rumgeflaxe, ernst gemeinten Fragen und spontanen Albernheiten getroffen wird, das im zwischenmenschlichen Austausch gemeinhin für einen ungezwungenen Nachmittag oder Abend sorgt. (Sie kennen dieses Prinzip vielleicht noch aus dem vorgegangenen Jahr.) Keiner der Kurzbesuche ist so tiefgründig, dass er anstrengen würde, aber auch nicht so läppisch, dass man zwischendurch versucht wäre, ein Video mit einem süßen Tierbaby anzuklicken.
Pandemie, aber ohne die schlechte Laune
Mit (Schirm-)Mütze und Mund-Nasen-Schutz – aber wieder ohne Oberlippenbart! – bereist Krause deutsche Mittel- und Großstädte, upcycelt mit Influencerinnen hässliche Sakkos zu Kissenbezügen, weist die Fach- und Boulevardpresse im laufenden Promi-Gespräch auf potenzielle Exklusivnachrichten hin und lässt sich wahlweise eine Zweitkarriere als "Bär M. Krause" andichten oder nickt verständnisvoll, wenn ihm Gäste ihren Glauben an die Numerologie erläutern, bis beim späteren Abschied wieder irgendwer den Tonsender mitgehen lässt. (Dass man da beim Text-Insert schon mal damit durcheinander kommt, in welchem dieser unnötig vielen Berliner Bezirke, die auf -berg enden, man gerade ist – geschenkt!)
Zwischendurch werden immer wieder Masken auf- und abgesetzt bzw. in einer Tour Hände desinfiziert, und als Zuschauerin bzw. Zuschauer hat man das angenehme Gefühl, nicht durch eine Schonversion der aktuellen Realität geschuckelt zu werden, sondern bloß durch eine, die ja nicht unbedingt noch schlechtlauniger sein muss als sie es ohnehin schon ist.
Die kleine Reihe ist der beste Beweis dafür, dass es weder Schreibtisch noch Showband braucht, um unterhaltsames Talk-Fernsehen zu machen – sondern einfach Lust, ein paar Schritte miteinander durch die Stadt zu gehen. Und wie mit Etienne Gardé nach dem Besuch beim Friseur (als der noch öffnen durfte) über Witztheorie und Wortspielverbote zu philosophieren, oder mit Luke Mockridge am RTL vorbeirollernd über Künstlerinspiration und im Rauschzustand ins Smartphone gehämmerte Gags.
Nächster Auftrag: Köln?
Vor ein paar Wochen stand Krause nach all den Fußgängerzonen, Parks und Baumärkten mal wieder in einem richtigen Studio vor der Kamera. Als Gastgeber einer Spontanausgabe der TVNow-Irrfahrt "Täglich frisch geröstet" demonstrierte er im Auftrag der privaten TV-Konkurrenz, wie angenehm das sein kann, wenn so eine Late-Night-Show von jemandem moderiert wird, der das vorher schon mal gemacht hat, ohne sich vom Teleprompter-Endgegner versenken zum lassen.
Und nur für den Fall, dass der aufstrebende Kölner Streaming-Gigant auf die Idee kommen sollte, ihm anzubieten, sein umfangreiches Repertoire an Baden-Baden-Witzen vorerst ruhen zu lassen und stattdessen im Raab'schen Riesenstudio die Kontrolle über die angekündigte zweite Staffel zu übernehmen, erinnert sich Krause hoffentlich an seine neu gewachsenen Wurzeln als YouTuber – und bringt die Kompetenz als Pandemieersatzkumpel einfach mit.
Und damit: zurück nach Köln.
Alle Ausgaben der "Kurzstrecke" sind auf YouTube abrufbar; neue Ausgaben der "Pierre M. Krause" Show laufen sonntags um 22.50 Uhr im SWR Fernsehen.