Um ihr Publikum zu unterhalten, gibt die deutsche Show-Branche Tag für Tag alles. Bloß in einem performt sie eher mäßig: Selbstreflektion. Deshalb ist es gut, wenn regelmäßig mal jemand aus dem ganzen Zirkus die Luft rauslässt und das benutzte Lametta wegsaugt. Idealerweise sind das natürlich Leute, die vorher auch fürs Aufpusten und Dranhängen zuständig waren.
Ein Jahr ist es her, dass Klaas Heufer-Umlauf erstmals seine zweit- und drittengsten beruflichen Vertrauten in einem schlecht belüfteten Raum um sich geschart, Pardon: zu sich gesellt und „Aufnahme" gedrückt hat. Dabei herausgekommen ist ein Podcast wie ein Baumkuchen: Schicht für Schicht übereinander gebacken, nur halt nicht aus Butter, Mehl und Fett, sondern aus Neurosen, Bürolästereien und Branchen-Interna.
Ein Festival der guten (und der schlechten!) Laune
Am vergangenen Freitag ist die 50. Folge erschienen. Und dass es wenige Wochen zuvor nicht ganz für den Comedypreis in der Rubrik "Bester Podcast" gereicht hat, ist kein Drama – schließlich wäre der dem wöchentlichen Ohrenschmaus namens "Baywatch Berlin" ohnehin nicht gerecht geworden. Schließlich ist dieses Festival der guten (und der schlechten!) Laune viel mehr als schnöde Komödie: ein bunter Strauß an Wochenerlebnissen und Kindheitserinnerungen, gleichzeitig Ratgeber für angehende Prominente und Fundus unnützen Fernsehwissens.
Kurz gesagt: Wer mitlästern will in der deutschen Unterhaltungsbranche, der kann unmöglich verpassen, wenn Heufer-Umlauf seine Kollegen Jakob Lundt und Thomas "Schmitti" und sich selbst ins wöchentliche Freitagsgebet nimmt.
Oberflächlich betrachtet mag das als Begleitsause zur ProSieben-Show "Late Night Berlin" geplante Ritual wie ein munteres Rumgehühner durch die Ticks und Manien der Beteiligten wirken. Der Cappuccino-liebende Lundt, montagabendlicher Klaas-Sidekick, wird im Auto sitzend zum Burt Reynolds, der auf Heimfahrten von Aufzeichnungen unmöglich die tranigen Kollegen ans Steuer lassen kann; er pflegt eine (einseitige) Fehde mit Cascada, die ihn als Reporter mal am roten Teppich hat stehen lassen, übte einst mit der Haarbürste vor dem heimischen Spiegel RBB-Schaltgespräche vom Brandenburger Bienenmarkt und lässt nicht nur seine Unterschrift auf dem Arm seines einzigen Groupies spazieren tragen, sondern wird auch so, so wütend, wenn andere Leute in der Bahn Joghurt essen! ("So wohl hat man sich nur zuhause zu fühlen!")
Das ewige Geheimnis des schlimmen Oktobers
Schmitt, Geschäftsführer der Joko-und-Klaas-Produktionsfirma Florida TV und Käufer überteuerter E-Zahnbürsten mit App, ist gar nicht superdick und hat keine Glatze, hält aber Norddeutschland ablehnend seine saarländische Heimat Kirrberg hoch, teilt mit Casper (dem Rapper, nicht dem Geist) das Hobby, Everest-Dokus zu verschlingen, kann sich in Gesprächen selbst provozieren und im Schnitt gegen Klaas warmhassen, verweigert jedoch beharrlich die Aufklärung des schlimmen Oktobers, als das Sofa gebrannt hat, und ist hervorragend von seinen Katzen konditioniert worden.
Selbst Heufer-Umlauf demonstriert seine menschliche Seite, wenn er seine alte E-Klasse beim Parken verbummelt, ihm beim E-Bike-Fahren die Hose im Schritt reißt und er sich von der eigenen Mutter mit Lügen vom fertig werdenden Essen abwimmeln lassen muss, sobald die keine Lust mehr auf Telefonieren hat. Klaas ist kein Barttyp, sagen ihm Frauen auf dem Parkplatz; immer wenn er aufgeregt ist, hustet er so bizarr laut, dass andere es für Niesen halten; kürzlich hat er sich nach intensivem Googeln einen Seniorensessel mit Massagefunktion gekauft, und da ist's jetzt auch egal, wenn zuhause jemand fragt, was er heute wieder gemacht hat und die Antwort lautet: "Zunge in den Ventilator gesteckt. Ganz normaler Arbeitstag."
Service-Tipps für den Büroalltag
Natürlich kann man diesen Podcast aus rein psychologischem Interesse verfolgen, sozusagen als Dokument schonungsloser Offenlegung (zwischen)menschlicher Unzulänglichkeiten. Oder als Service-Ratgeber für den eigenen Büroalltag: Wie lange darf man morgens auf der Arbeit frühstücken, bevor man anfängt? Am Pissoir grüßen – oder nicht? Ist das Verteilen selbstgebackener Drogenkekse auf dem Firmenausflug in die Skifreizeit eine gute Idee? Und wie intensiv muss die Verteilung mitgebrachter Kuchen im Büro-Chat wirklich ausdiskutiert werden?
Darüber hinaus ist "Baywatch Berlin" aber auch ausgesprochen informativ und unterhaltsam. Insbesondere für alle, die sich für einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der regionalen Traumfabrik interessieren.
Zugegeben, nach anfänglicher Begeisterung hat der süffisante Prominententratsch stark abgenommen. (Wahrscheinlich weil Ralf Schmitz wegen der unkorrekten Darstellung seiner Impro-Comedy-Fähigkeiten zum Thema Kartoffelsalat zu klagen drohte?) Dafür entschädigen die neuen dreisten Drei ihre Hörerinnen und Hörer regelmäßig mit Einblicken in Gelingen und vor allem Nichtgelingen der eigenen Arbeit, das generelle Branchengeschehen und Erläuterungen zu Unterschieden zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen.
"Markus Lanz", König der Catering-Buffets
Bei der Aufzeichnung von "Klein gegen Groß" mit Moderatoren-Gott Kai Pflaume läuft hinter den Kulissen zum Beispiel alles viel geordneter ab als bei Shows mit Joko und Klaas, wo mal eine Aufzeichnung von mittags um 16 Uhr bis nachts um 2.45 Uhr gedauert hat, weil ständig superaufwändig für Promi-Wrestling und Promi-Schlittschuhfahren umgebaut werden musste, weswegen es jetzt keine „Beste Show der Welt" mehr gibt, zumal keiner aus dem Team mehr Bock darauf hat, sich hinter den Kulissen den ganzen Abend über anzuschreien. Das Catering-Buffet bei "Markus Lanz" ist spitze und kostet wahrscheinlich alleine soviel wie die Produktion einer kompletten "Late Night Berlin"-Ausgabe. Beim großen "ProSieben Ochsenrennen" anno 2006 ist Ross Antony fast mal von einem gigantischen Rind zertrampelt worden. Der Wendler war schon bei der "Wok WM" vor neun Jahren ein eingeschränkt sympathischer Zeitgenosse. Diverse "Circus Halli Galli"-Gäste haben Hausverbot im Berliner Holiday Inn, weil sie da mal Randale gemacht und ihre Brille verloren haben. Freizeittipp (für nach Corona): Wenn am Ende der Liveshows das "Let's Dance"-Studio ausgekärchert wird, betrinken sich alle übrigbleibenden Promis an der – frei zugänglichen – Bar eines bekannten Kölner Hotels. Beim Comet 2004 ist der Schlagzeuger von Marilyn Manson nach reichlichem Absinth-Genuss mal rückwärts von der Bühne gefallen. Der Grimme-Preis läuft mit der Zeit an wie ein alter Schlüssel. Und wenn man in München an der Rezeption vom Bayerischen Hof doll bettelt, darf man in der "Gottschalk-Suite" übernachten, die mit lauter alten "Wetten dass..?"-Devotionalien zugestellt ist. (Und den Schuhen von Elizabeth Taylor.)
Wo Klaas überall fast mal rausgeflogen wäre
Manche Erzählung ist naturgemäß stark persönlich gefärbt: Klaas wurde zum Beispiel mal nicht von "Verstehen Sie Spaß" hereingelegt, weil er viel zu geduldig ist. Dafür hat ihm offenbar der Manager von Marianne Rosenberg während der Moderation der ZDF-Silvestershow am Brandenburger Tor angekündigt, ihn aus dem Fernsehen entfernen zu lassen. Jakob ist mal vom ProSieben-"Newstime"-Chef zusammengebrüllt worden, nachdem Joko zuvor die Sendung moderiert und Klaas ihn mittendrin auf dem Handy angerufen hatte. Und Schmitti hätte fast mal vom Bruder von Miley Cyrus eine reimgezimmert bekommen.
Die geschichstverortende Funktion von "Baywatch Berlin" dürften insbesondere TV-Hysteriker, Pardon: TV-Historiker schätzen. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass Klaas – trotz Festanstellung! – zu Beginn seiner Fernsehkarriere beim sympathischen Musiksender Viva weniger Geld verdient hat als zuvor als Zivildienstleistender? Dass er fast mal rausgeflogen wäre, weil er in der Show von Sarah Kuttner mal so getan hat, als sei er Nena, nachdem die ihren Besuch vorher wegen einer frechen Anmoderation wutschnaubend hatte absagen lassen? Dass unter den Viva-VJs immer Stöckchen gezogen wurde, um zu entscheiden, wer die 150 Moderationen für die Jahres-Charts an Silvester aufzeichnen muss? Dass Klaas erst fast gekündigt hat, um von Viva zu "MTV Home" gelassen zu werden? Und dass, als der Sender endgültig dicht gemacht wurde, jemand dem Chef auf den Schreibtisch … – aber, egal.
Und dann erzählt Opi wieder vom Zivildienst
Nach 50 Podcast-Folgen werden die Abstände kürzer, in denen Opi immer wieder dieselben Geschichten von damals erzählt, ohne es zu merken. Wie Gülcan gesagt hat, Klaas müsse im Fernsehen mehr lachen; wie er bei "Viva Live" mal einen Mandy Capristo das Mikrofon entreißenden Zuschauer zurück ins Publikum geschubst hat; und dass man damals beim Musikfernsehen weniger verdient hat als beim Zivildienst!
Aber diese Heldengeschichten vergangener Tage lässt man den Beteiligten gerne durchgehen, wenn sie zwischendurch von ihren schönsten Reiseerlebnissen beim "Duell um die Welt" erzählen – also: das ursprüngliche "Duell um die Welt", bei dem die feinen Herrschaften die Waghalsigkeiten noch nicht von Stellvertreterprominenten erledigen ließen.
Eine Fanta und eine Stange Dynamit, bitte
So wie in Papua, als das Team zu einem Stamm ohne Verbindung zur Außenwelt geflogen ist, um mit ihm zu kniffeln und Klaas mit Schmitti und vollen Hosen nachts im Zelt mit tausend unerklärlichen Regenwald-Geräuschen gesessen, zur Beruhigung Whisky-Miniflaschen ausgetrunken und "Die drei ???" gehört hat. Oder bei der härtesten Einreise aller Zeiten, als nach dem Flug aus Venezuela, für den der Pilot bestochen werden musste, die karibischen Zollbeamten von den Typen ohne Drehgenehmigung und Visum angelogen wurden, das umfangreich mitgeführte TV-Equipment sei zur Aufnahme von Vogelgeräuschen gedacht. Oder in Las Vegas, wo Klaas in Drehpausen seiner Spielsucht erlegen ist. Oder in Indien, wo Klaas allen Warnungen zum Trotz unbeschadet im Ganges gebadet hat, während die restliche Crew nach dem Besuch eines örtlichen Pizza Huts von Montezumas Rache heimgesucht wurde. Oder in Bolivien, wo man am Kiosk eine Fanta und eine Stange Dynamit kaufen kann. Oder als die Stewardessen nachts auf dem Flug über Aserbaidschan hektisch durch die Gänge stürmten und der Pilot nachher zwischenlanden musste, weil das Unterdrucksystem für die Bordtoilette defekt war. Oder als Klaas auf den Bahamas Angst vor den supernetten mit Melone gefütterten Inselschweinen hatte, aber kein Problem damit, sich unter Wasser in einem Eisenanzug von einem Hai beißen zu lassen (kurz bevor ihm die Luft ausgegangen ist, weil der Sauerstoffvorrat falsch berechnet war). Oder als Lundt im Regenwald von Vanuatu mit dem Rascheln seiner Regenmontur alle zur Weißglut getrieben hat. Oder als Schmitti Klaas in Australien hinter einem Quad hinterher rennen ließ, bis er ausgerastet ist. Oder als das fast ganz schön schief gegangen wäre, als irgendein Depp aus dem Team den nepalesischen Drogenhonig in die USA einschmuggeln wollte.
Eine Programm-Begleitzeitschrift für die Ohren
Nicht zuletzt dank dieser brancheneinordnenden Weltzugewandtheit ist "Baywatch Berlin" im Laufe der vergangenen Monate zu einer Art Mantelteil des deutschen Fernsehen geworden, eine "Hörzu" für die Ohren mit gelegentlichen Gastauftritten von Sido bis zu Olli und Martin Schulz, die auch von ihren Urhebern so sehr geschätzt wird, dass diese zur Gegenfinanzierung selbst die dümmsten Werbebotschaften in ihre Gespräche einzuflechten bereit sind: vom Porsche-Verleih über den Schokoriegel mit eigenem Alexa-Skill bis zur Steuersoftware und dem aktuellen Winterreifen-Testsieger.
Soviel Leidenschaft wie im jugendlichen Podcast-Biz ist im abgebrühten Bewegtbildmarkt längst keine Selbstverständlichkeit (mehr), und man kann dem Molligen, dem Grummeligen und dem Schönen eigentlich nur eines wünschen, damit sie so schnell nicht mehr damit aufhören: Alles Gute, alles Liebe und bis dann, ihr Mäuse. (Der musste jetzt mal sein.)
Und damit: zurück zu den Rettungsschwimmern von Köln.
Neue Ausgaben von „Baywatch Berlin" erscheinen wöchentlich am Freitag um 0 Uhr überall dort, wo es Podcasts gibt, z.B. bei Podigee, aber auch bei YouTube.