Es gibt diese Wochen, in denen man sich am liebsten in ein Erdloch verziehen würde, um eine zeitlang mal nicht mehr vom Weltgeschehen obendrüber belästigt zu werden. Das ist natürlich keine Dauerlösung. Allerdings weiß ich auch schon, wen ich als moderativen Vermittler engagieren würde, um mich später zaghaft wieder an die Rezeption der Außenwelt heranführen zu lassen: Ingo Zamperoni.
Mit unerschütterliche Ruhe erklärt er seinem Publikum im Ersten die aktuelle Lage – so sachte wie möglich und so direkt wie nötig, ohne überflüssiges Zusatzpathos. Das ist vor allem in Zeiten zunehmender medialer Aufgeregtheit eine Eigenschaft, die man gar nicht hoch genug schätzen kann.
Vor acht Jahren kam Zamperoni vom "Nachtmagazin" zu den "Tagesthemen", die er damals noch in Vertretung moderierte, bevor er sich zwei Jahre später als Korrespondent nach Washington aus dem Staub machte – um 2016 zurückzukehren. Im hörenswerten Podcast-Gespräch mit Eva Schulz hat er bei "Deutschland 3000" gerade den schönen Satz gesagt: "Ich hab mich immer als Reporter verstanden und bin jetzt halt zufällig der, der die Sendung am Ende verkauft." Ja, und zufällig macht er das – im Team mit Caren Miosga und Pinar Atalay – gar nicht schlecht.
Der ernsthafte Anchor siezt auch den Punk
Dabei ist Zamperoni eigentlich die Gegenthese zum klassischen Anchorman, mindestens nach amerikanischen Maßstäben. Selbst in der Tradition deutscher Nachrichtenmagazin-Präsentatoren gehört er eher zu denen, die Nüchternheit und klare Nachfragen der konfrontativen Interviewführung und Selbstinszenierung vorziehen. Keine Zuschauerin und kein Zuschauer muss vorher einen Dechiffrierungskurs besuchen, um Zamperoni zu verstehen, und schon das macht die "Tagesthemen" oft so viel ansehbarer als manche Wettbewerbssendung, in der Anmoderationen immer noch drei extra Wortlöckchen gedreht bekommen.
Als vor zwei Wochen überraschend Die Ärzte die "Tagesthemen" musikalisch eröffneten, hatte zwar auch Zamperoni sichtlich Spaß an der Überraschung. Im späteren Gespräch über die Auswirkungen der Corona-Einschränkungen auf die Musik- und Kulturszene allerdings wurden Farin Urlaub, Bela B. und Rodrigo González natürlich trotzdem ganz unpunkig gesiezt.
Mancher Publikumserwartung hat sich Zamperoni gebeugt, nachdem er 2016 zum Wiederantritt bei den "Tagesthemen" selbst noch ein bisschen Punk sein wollte und erklärte: "Isch 'abe gar keine Schlusssatz" – bevor er anschließend kurzerhand Vorschläge des Publikums durchprobierte ("Möge die Nacht mit Ihnen sein", "Der Tag, der Abend und ich verabschieden uns" bzw. "Wir sehen uns morgen wieder – denn so zerbröselt der Keks nunmal"). Es ist dann doch eine etwas konventionellere Variante geworden.
Wie argumentieren die anderen?
Bei allem Respekt für Nachrichtentraditionen hat Zamperoni aber zugleich den Ehrgeiz, Zuschauerinnen und Zuschauern nicht nur Argumente zuzumuten, die sie schon zu hören gewohnt sind. Sondern: auch die der Gegenseite. Selbst wenn diese Seite Donald Trump wählt. "Ich versuche schon zu sehen, dass wir uns das in Deutschland oft ein bisschen zu leicht machen mit Trump", hat er Pierre M. Krause erzählt, der ihn kürzlich für seine Show nach Feierabend mit dem Fahrrad von der Arbeit abholte, um noch ein Wegbierchen an der Tankstelle um die Ecke zu trinken, bevor's im Nieselregen nachhause ging.
Um dem entgegenzuwirken – der manchmal einseitigen deutschen Sicht auf das Phänomen Trump, nicht dem Wegbier – ist Zamperoni mit seiner amerikanischen Frau vor wenigen Wochen in die USA gereist und hat sich dort für eine Reportage mit der eigenen Familie über Politik unterhalten. Weil die ähnlich zwischen den beiden Lagern zerrissen zu sein scheint wie das ganze Land. Die einen wünschen sich nichts sehnlicher, als dass irgendein Demokrat wieder Ruhe und Gerechtigkeit ins Land bringt; die anderen halten, wenn auch mit Bauschmerzen, weiter zu Trump.
In "Trump, meine amerikanische Familie und ich" hat Zamperoni sie ausführlich erklären lassen, warum – weil sich das mit einem Abstand von sechseinhalbtausend Kilometern sonst manchmal schwer nachvollziehen lässt.
Verstehen, ohne Verständnis haben zu müssen
Die Familienbeobachtung – entstanden mit Co-Autorin Birgit Wärnke, die Zamperoni in keinem Interview zu nennen vergisst – war nicht nur ein sehenswerter Kontrast zur klassisch-monumental inszenierten Wahl-Begleitreportage, die die ARD natürlich auch im Programm hatte. Sondern vielleicht auch die beste Vorbereitung auf die Hängepartie, die uns diese Woche tagelang in Atem gehalten hat.
Und selbst wenn Trumps Zeit als Präsident nun vor dem Ende steht: Die Begeisterung für ihn dürfte so schnell nicht verschwinden. Zamperoni argumentiert: Man muss diese Zustimmung verstehen können – ohne deshalb Verständnis dafür zu haben.
Das gilt womöglich für viele Entwicklungen in der aktuellen Zeit. Mag sein, dass jemand, der nicht nur die deutsche und die italienische Staatsbürgerschaft besitzt, sondern eben auch eine enge familiäre Bindung an die USA, bei der Vermittlung einen gewissen Vorteil besitzt – einfach weil es zur Gewohnheit gehört, mit unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert zu sein. Aber das ist ja nur ein Grund mehr, zuzuhören.
Im Sonnenuntergang vorm Weißen Haus
Dass Zamperoni in der zurückliegenden Woche nochmal in die USA geflogen ist, um ARD-Washington-Studioleiter Stefan Niemann kurzzeitig aus seinem Dachstudio zu verdrängen und dort die "Tagesthemen" zu präsentieren, wäre vielleicht nicht unbedingt notwendig gewesen. Einmal mit Krawatte in den Farben der amerikanischen Nationalflagge vor der überm Weißen Haus untergehenden Abendsonne zu moderieren, ist aber natürlich auch mal eine ganz schöne Abwechslung zur Hamburger Herbsttristesse.
Machen wir's kurz: Glückwunsch, Ingo Zamperoni, zu fast genau vier Jahren "Tagesthemen"-Hauptmoderation. Wie hatte Dante doch nochmal gesagt? Das Gesicht verrät die Stimmung des Herzens. Blöd, dass man das der Zuschauerinnen und Zuschauer als Nachrichtenmagazin-Anchor gar nicht sehen kann. Aber eigentlich dürfte es ja offensichtlich sein.
(Nur die alberne Pointe mit dem Schlusssatz, die ist natürlich überflüssig.)
Und damit, ähem: zurück nach Köln.
"Trump, meine amerikanische Familie und ich" ist in der ARD Mediathek abrufbar.