Sie haben das bisher sicher nicht gewusst, aber das bekannte Sprichwort "Man muss ja nicht jedes Mal das Rad neu erfinden" geht in seinen Ursprüngen tatsächlich auf die deutsche Entertainment-Branche zurück! Gemeint ist selbstverständlich das bekannteste Rad der TV-Geschichte – und die Gewissheit, etwas, das schon rund läuft, nicht durch unnötige Anstrengung noch runder machen zu müssen. Bis heute haben sich ganze Generationen an Quiz- und Gameshow-Entwicklerinnen bzw. Entwicklern daran gehalten, wenn sie einen neuen Auftrag erhalten haben, Programmstrecke für den Vorabend zu produzieren oder eine Lücke in der Werktags-Primetime zu stopfen. Ohne das beständige Kandidatenraten hinter Pulten würden im deutschen Fernsehen Lücken klaffen so breit wie die Realityinsassen im "Sommerhaus der Stars".
Gleichzeitig ist sehr ungleich verteilt, welche Sender davon profitieren. Aus diesem Grund kommen beständig neue Quizze und Spielshows dazu, die sich der von Jauch und Pflaume angeführten Monopolisierungstendenz widersetzen – um letztlich doch kläglich zu scheitern.
"E." – "Nein! Elias." – "A." – "Ja!"
Wo wir gerade beim Scheitern sind: Sat.1. In der zurückliegenden Woche hat der Sender das um seinen Vorabend herum gespannte Polizeiabsperrband entfernt, um dort mit gleich zwei Neustarts zu überraschen. Die zwar beide das "Glücksrad" nicht neu erfinden, aber zumindest ein bisschen so tun. "Buchstaben Battle" ist, wie Moderatorin Ruth Moschner sagt, "die Show, in der jede Sekunde zählt" (bevor der Sender sie wieder absetzt), und statt um Punkte spielen Kandidatinnen und Kandidaten mit prominenter Unterstützung um Sekunden, die sie im Finalspiel brauchen, um Geld zu gewinnen. Zuvor müssen Worte vervollständigt, Hits geraten und Buchstaben in frühverrenteten Kategorien wie "Auf dem Bauernhof" und "Auf den Hund gekommen" sortiert werden. Was teilweise zu Dialogen führt, bei denen man sich einen Spontaneingriff der jungen Ärzte aus dem ARD-Vorabend wünschen würde: "I", rät der Kandidat. – "Nein", sagt Moschner und gibt ans nächste Teammitglied weiter: "Martin!" – "E." – "Nein! Elias." – "A." – "Ja!" – "P." – "Nein! Panagiota." – "Heinrich." – "Nein! Martin." – "R." – "Nein." – Mööp, ach schade, schon die Zeit rum.
Für "5 Gold Rings" hat sich Steven Gätjen derweil einen Monsterfernseher in den Studiofußboden eingelassen, auf dem die Spielenden ihre Antworten legen dürfen – also: den Standort der Semperoper auf der Deutschlandkarte oder das Körperteil, das sich Julia Roberts hat versichern lassen. Dass es im Anschluss an seine letzte Gameshow-Moderation – "Speed – Time is Money" anno 2001 – mit der TV-Karriere vorübergehend steil bergab ging ("Gülcans Traumhochzeit", "Sommermädchen") scheint Gätjen keinerlei Sorgen zu bereiten. Immerhin ist er nun Herr der "einzigen Quizshow im deutschen Fernehen, bei der die richtige Antwort auf dem Boden liegt." Ja, gut, aber warum denn täglich eine ganze Stunde?
Antworten auf Fragen, die schon keinen interessieren
Zugegeben: Flotter als das von Sat.1 am Vorabend bis in die endgültige Belanglosigkeit gestreckte "Genial daneben" ("Was ist das Besondere am Penis des Schmetterlings Japanischer Schwalbenschwanz"?) sind die Neuzugänge allemal. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass in einem Jahr, das den meisten von uns ohnehin schon übertrieben viel Routine abverlangt, noch mehr davon im TV-Programm wirklich keine Hilfe ist.
Dabei gibt ja nicht bloß Sat.1 immerzu neue Antworten auf Fragen, die schon keinen interessieren. Finden Sie übertrieben? Okay: Welche Wurst darf bei klassischem westfälischen Grünkohl nie, nie fehlen? Falsch! Pinkel ist eine Grützwurst, gesucht wird aber – die Mettwurst! Zumindest in der x-ten WDR-Lokalratestunden-Neuauflage "Quizz dich auf 1", in der im Sommer – wie originell! – auch keine Punkte vergeben wurden. Stattdessen mussten Kandidatinnen und Kandidaten nach jeder Antwort ihre Stehplätze in einer Fünferpultreihe wechseln, was zu Corona-Zeiten im Kontakttagebuch der Beteiligten locker zwei extra Seitchen ausgefüllt haben dürfte.
Und das wäre sogar zu ertragen gewesen, hätte daneben nicht der auf Moderationsmodus geschaltete Cantzbot gestanden, um "garantiert puren Quizspaß" zu versprechen, bei dem es (laut Pressetext) um "Spannendes, Witziges, Kurioses und Wissenswertes" geht. Kostpröbchen? "Am 18. November 2019, ein Montag ganz genau, war der Tag mit den meisten Staukilometern in NRW. Wieviele Kilometer waren es genau?" Witzig!
Topaktuelle Gags zur Bonpflicht
Gruseliger ist nur, mit welch mühelosem Automatismus Guido Cantz den Smalltalk mit den Rategästen abhakt, bevor er die nächste Frage stellt. Wolfgang ist schon mal mit dem Motorrad zum Nordkap gefahren, wow! "Julia, du machst Nachtfotografie. Aber da ist doch dunkel?" Erdal hat als Personenschützer mal Frank Sinatra getroffen – "toller Mann". Und: "Niklas, du bist gelernter Bäcker – ist das richtig?" Ja, Alter, das steht auf deiner VERDAMMTEN MODERATIONSKARTE!!! Bäcker, Bäcker – Moment, da fällt so einem alten Karnevalshaudegen natürlich ein topaktueller Gag zur Bonpflicht ein. Cantz: "Neulich war ich beim Bäcker und hab keinen Bon bekommen." Kandidat weiß sofort Bescheid, sagt: "Schwarzbrot." – Cantz, hört weg und wiederholt: "War’n Schwarzbrot." Brüller.
Anschließend gab’s wieder fünf Fragen aus zwei Themengebieten oder drei Runden mit sechs Duellen, und am Ende der ersten Folge gewann: keiner irgendwas. Abmoderation! "Ihr wart tolle Finalisten, leider hat es nicht ganz gereicht." Oder um’s im "Buchstaben Battle"-Style zu formulieren – bitte ergänzen Sie folgendes Wort: _A_GW_I_IG.
Dann doch lieber gut gelaunte Promis bei Moschner in Sat.1, wo Jeannine Michaelsen im Multiple Choice auf die Frage nach der früheren Frau von Christian Wulff "Marlene Lufen" sagt und sich anschließend kaputtlacht; und Quizprofi Oli Petszokat auf die Frage, wie er sich auf die Sendung vorbereitet hat, wahrheitsgemäß beurkundet: "42 Jahre lang."
Und jetzt: das GROSSE FINALE!
Leider gipfelt auch die heiterste Ratternde irgendwann ins Unvermeidliche – "das GROSSE FINALE", in dem – außer beim WDR – in der Regel auch irgendwer Geld gewinnt, um seine Schwester in den USA zu besuchen, dem Sohn ein Schlagzeug zu sponsern, den Garten anzulegen oder eine halbe Küche zu erwerben. Was aus der Zuschauerperspektive wirklich maximal unzufriedenstellend ist.
Ist mir doch schnuppe, ob der Vermögensberater, die Standesbeamtin oder die Thermomix-Vertriebsfrau sich mit ihrem TV-Quickie den Kontostand aufbessert. Ich will Frank, Vanessa, Nikolas und Julia ins Gesicht sehen, wenn die im Fernsehen Zeug gewinnen! Wie damals beim "Glücksrad" und bei "Der Preis ist heiß", als Kandidatinnen und Kandidaten die Heimreise mit einer Wagenladung Gerümpel antreten durften, den man sich von seiner Gewinnsumme heute eigenmächtig am Prime Day anschaffen muss. Damals bestand zumindest die Chance, dass der Abend genauso gut mit dem Besitz einer riesigen roten Plüschratte ausgehen könnte, weil sich bei "Geh aufs Ganze" wieder wer so lange von Jörg Draeger hat beschwatzen lassen, bis er Tor 3 genommen hat!
Kurz und gut: Ich bin für ein Ende der anonymen Geldzuwendungen und die sofortige Einführung des Sachprämiengewinnzwangs im deutschen Spiel- und Ratefernsehen! Dann klappt’s auch wieder mit den Quoten. Versprochen, Sat.1.
Und damit: zurück nach Köln.
Sat.1 zeigt "Buchstaben Battle" und "5 Gold Rings" (unter Umständen auch in der kommenden Woche) werktäglich ab 18 Uhr; "Quizz dich auf 1" ist in der ARD-Mediathek abrufbar.