"Wenn der Hersteller falsche Möbel geschickt hat, raste ich aus!", droht Frau Loth vor laufender Kamera – und, naja: einmal lass ich Sie raten, was dann passiert. Genau: Der Hersteller hat falsche Möbel für den neuen Beauty-Salon geliefert, mit schwarzer statt weißer Rückverkleidung. "Das ist eine Katastrophe für mich! Ich kotze ab!", ruft die prominente Kundin. Der Gatte versucht zu beschwichtigen: "Beruhig dich doch!" Aber keine Chance – wie bestellt, so geliefert.
Ziemlich genau so läuft es gerade bei Deutschlands Reality-Stars, die händeringend nach neuen Formen suchen, um sich und ihre Person im Fernsehen selbstzuvermarkten. Und reihenweise damit scheitern.
Nicht einmal 200.000 Menschen wollten Anfang März dabei zusehen, wie Trash-Veteranin Kader Loth mit ihrer eigenen Dokusoap samt Ehemann Ismet ins RTLzwei-Programm einzuziehen drohte. Unterm Stuhl, ähm: Strich standen am Ende 0,5 Prozent Primetime-Marktanteil beim Gesamtpublikum für "Alles im Loth! Die Kader und Isi Story". Zuvor hatte sich bereits die in cremig geschlagene Hochzeitsplanung von Reality-Provokateur Cosimo Citiolo ("My Big Fat Italian Wedding") mit nur wenig mehr Zuschauer:innen als Flop erwiesen.
Antagonismus als Erfolgsmodell
Offensichtlich gehört es selbst für etablierte Akteur:innen der Branche zu den größten Herausforderungen, erfolgreich in die Fußstapfen von Vorbildern wie den Geissens oder Daniela Katzenberger zu treten. Die haben bisweilen zwar auch mit sinkenden Quoten zu kämpfen, füllen bislang aber immer noch verlässlich ihre Programmplätze.
Doch wie kann es sein, dass dieselben Persönlichkeiten, die in großen Reality-Shows sonst für Aufmerksamkeit und Top-Quoten sorgen, außerhalb so fies baden gehen?
Vielleicht ist es ganz einfach: Fast alle, die von den Programmverantwortlichen gerade in die Format-Selbstständigkeit geschoben werden, haben ihre Karrieren als Antagonist:innen in Ensemble-Shows aufgebaut, die es – auch dank der Streaming-Anbieter – inzwischen im Überfluss gibt: Dschungelcamp, "Sommerhaus" für Stars und Normalos, "Big Brother" für Promis und Bald-Promis, "Couple Challenge", "Forsthaus"-Gerangel, Insel-Gekuppel und Palmen-Parade. All diese Shows leben davon, dass dort Provokateure, Drama-Garanten, Konfliktmotoren aufeinandertreffen.
Ein bisschen Stunk geht immer
Kader Loth hat sich über Jahre hinweg als Königin dieser Zunft etabliert, die für Stunk sorgen kann, sobald sie einen Raum betritt: mit großer Geste, laute Stimme, maximaler Empörung bei minimalen Anlässen.
Cosimo Citiolo kultivierte sein "Checker vom Neckar"-Image in diversen Anlässen samt Klatschpresse. In seiner Hochzeits-Doku erscheint er standesgemäß im hellblauen Leopardenhemd mit freiem Blick aufs Ganzkörperbrusttattoo, während die engagierte Weddingplanerin treffend diagnostizierte: "Cosimos Benehmen ist speziell. (…) Manchmal wär's vielleicht auch gut gewesen, sich ein bisschen zurückzunehmen." Woraufhin der Gemeinte prompt demonstrierte, dass er beim Testessen im Schloss-Restaurant "wie ein Wikinger" speisen kann.
Vom Publikum wird das als unterhaltsame Performance geschätzt – solange andere Reality-Stars als Gegenspieler:innen oder Leidtragende fungieren. Ihre berechenbare Eindimensionalität macht die Stars für große Reality-Formate wertvoll: Sie sorgen für die notwendige Würze.
Die unschaffbare Transformation
Doch was im Ensemble funktioniert, trägt oft keine eigene Sendung. 45 Minuten Kader Loth beim Einkaufen und Streiten mit ihrem Mann zusehen? Das erscheint selbst hartgesottenen Reality-Fans zu fad. Und wer möchte schon dem Dauerprovokateur Cosimo beim Schmusi-Schmusi-Heiraten beiwohnen – vor allem, wenn die angeblichen Dramen noch konstruierter wirken als sonst? Wird das Hochzeitsbudget gesprengt? Muss Bald-Gattin Nathalie die Location allein aussuchen, weil Cosimo "auf der Arbeit festhängt"? "Nächstes Mal bei 'My Big Fat Italian Wedding': Übersteigen die Kosten für die Wunsch-Location das Budget?", fleht die Off-Sprecherin förmlich.
Es ist eine selbst gebaute Charakterfalle, aus der sich die Reality-Prominenz nur noch schwer befreien kann: Bekannt geworden sind die Protagonist:innen durch ihre Stänkereien, ihre Dramen. Für eine eigene Show müssen sie aber plötzlich mehrere Facetten von sich zeigen, nahbarer werden – und wirken dabei schnell unglaubwürdig.
"Alles im Loth!" hat sichtlich Mühe, eine weichere Seite der Namensgeberin zu zeigen. "Ich bin nicht immer so stark, wie ich mich gebe", erklärt Loth einmal. Und zu melancholischer Musik teilt sie traurige Kindheitserinnerungen: "Meine Eltern haben bis heute nicht gesagt, dass sie mich lieben." Cosimo versucht, seine Sehnsucht nach der Verlobten in philosophische Höhen zu schrauben, wenn sie sich kurz nicht sehen: "Man fühlt sich innen leer, so als hätte man gar keinen Körper mehr. Man fühlt sich so ohne Organe."
Die Geister rufen leiser
Nichts davon wirkt echt. Und es entspricht auch nicht der Unterhaltung, die die Fans von ihren Lieblings-Protagonist:innen gewohnt sind.
Die gleiche Problematik hat Ende des vergangenen Jahres auch schon den RTLzwei-Dokusoap-Versuch "Herr Glööckler sucht das Glück" zu Fall gebracht, dem man in Grünwald erst hoffnungsvoll eine zweite Staffel spendiert hatte – die aber nach enttäuschendem Start flugs im Mittagsprogramm zu Ende gebracht wurde. Inzwischen stänkert sich Glööckler durch die Sport1-Show "My Style Rocks", deren Ausschnitte mit seinen exzentrischen Ausbrüchen in den sozialen Medien viral gehen und von Stefan Raab verwurstet werden – aber sich für das Ursprungsprogramm nicht in guten Quoten niederschlagen.
Als Gast bei Raab brachte Glööckler in der zurückliegenden Woche sein eigenes Dilemma unfreiwillig auf den Punkt: "Ich habe einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Das sind die Geister, die ich rief."
Für die allermeisten Reality-Stars rufen die Geister aber halt nur aus einer sie stark begrenzenden Richtung, und zunehmend leiser.
Grünwalder Muster-Ignoranz
Die Geissens haben es von Anfang an anders gemacht. Sie funktionieren seit über einem Jahrzehnt, weil ihre Bildschirmpräsenz sich auf den exzentrischen Lebensstil der Familie fokussiert. Die Mitglieder es TV-Clans streiten zwar miteinander und polarisieren, waren aber nie reine Antagonist:innen. Ähnliches gilt für Daniela Katzenberger, die bei aller Selbstironie immer eine grundsätzlich sympathische, positive Figur geblieben ist.
Beide haben ihre Karrieren nicht bin erster Linie auf Konflikte aufgebaut. Sie bieten Luxus-Lifestyle, Familienwerte, selbstironische Nahbarkeit – und fahren damit über längere Zeit gut. (Als Katzenberger 2011 kurz zur Casting-Jurorin umschulen wollte, ging das grandios schief.)
Erstaunlich ist deshalb insbesondere die beharrliche Ignoranz der Sender gegenüber diesem Muster. Immer wieder werden – vor allem aus Grünwald – verzweifelt neue Versuche gestartet, Reality-Stars Formate zu geben, die dafür kaum die notwendigen Voraussetzungen mitbringen.
Karriereplanung? Unmöglich
Daran ändert sich auch nichts, wenn sich die Promis gegenseitig selbst bestätigen – so wie Cosimo, der bei Kaders Salon-Eröffnung als Gast auftaucht und pflichtgemäß schwärmt: "Das sind eigentlich von den Reality-Leuten so die richtigen Freunde für uns, als Vorbilder auch."
Für angehende Reality-Karrierist:innen ergibt sich aus alldem ein kaum lösbares Dilemma: Um schnell bekannt zu werden, müssen sie sich als Stänkerer oder Intrigantinnen inszenieren – das garantiert Sendezeit und sorgt für neue Verpflichtungen in weiteren Shows. Exakt diese Strategie verbaut ihnen aber den Weg zum späteren Solo-Erfolg. Von Anfang an auf Sympathie und Vielschichtigkeit zu setzen, ist keine gangbare Alternative: Weil die etablierten Formate danach kaum verlangen, braucht man erheblich länger, um aufzufallen – oder riskiert, erst gar nicht gebucht zu werden.
Es ist die bittere Ironie des Reality-TV-Business: Der schnellste Weg zum Ruhm ist gleichzeitig der sicherste Weg in die Sackgasse der Karriereplanung.
Buchungsgarantie: Privatzoff
Die einzige Möglichkeit, nachhaltig präsent zu bleiben, scheint die ausschöpfende Inszenierung privater Streitigkeiten zu sein, wie sie der Promi-Dunstkreis um Katzenberger-Mama Iris Klein perfektioniert hat – drohender Abnutzungseffekt inklusive.
Während die Sender weiter verzweifelt versuchen, frühere Erfolge zu reproduzieren, sorgen sie mit einer Flut an Krawall-fokussierten Shows gleichzeitig dafür, dass das garantiert nichts wird. Bis sich daran etwas ändert, sitzen die allermeisten Trash-Stars in ihrer Charakterfalle fest: My Big Fat Reality Flop.
Und damit: zurück nach Köln.
"Alles im Loth! Die Kader und Isi Story" und "My Big Fat Italian Wedding - Nathalie und Cosimo heiraten" sind bei RTL+ abrufbar.