Selten ist in deutschen Produktionen so viel gekotzt und geblutet worden wie derzeit: In der Survival-Reality "Mission unknown: Atlantik" reihern die unter Anstiftung von Super-Twitcher Knossi zur durchgesponserten Ozeanüberquerung gelockten Social-Media-Creators schon ins Meer, bevor der erste Sturm überhaupt aufgezogen ist (DWDL-TV-Kritik). Und im hyperambitionierten Medical-Drama "Krank Berlin" muss Dr. Zanna Parker (Haley Louise Jones) die von ihr übernommene Notaufnahme an Deutschlands durcheinanderstem Krankenhaus in den Griff kriegen, während in einer Tour eingelieferte Schusswechselopfer, Messerstechereibeteiligte und Irre den Boden vollsauen.

So unterschiedlich die beiden Formate auch sind: eins haben sie gemeinsam. Nämlich ihre Beispielhaftigkeit dafür, dass der Teilen-statt-Besitzen-Trend endgültig auch im deutschen Bewegtbildmarkt angekommen ist.

Nicht aus Nächstenliebe, sondern weil die Kostenexplosion bei Produktionen, sinkende Werbeeinnahmen und schrumpfende Streaming-Budgets alle Beteiligten in dieselbe Richtung schubsen: in die Arme einstiger Konkurrenten. Der Weg dorthin wird gerade mit erstaunlichen Allianzen freigeräumt, die noch vor einigen Jahren kaum denkbar schienen. Jetzt sind sie Alltag.

Alle woll'n den Papa haben

"Krank Berlin" (DWDL-TV-Kritik) ist gerade bei Apple TV+ gestartet, das bis Anfang April wöchentlich eine neue Folge veröffentlicht. Im Vorspann ist das Drama als Koproduktion mit dem ZDF ausgewiesen wird, wo die Serie zu einem späteren Zeitpunkt frei verfügbar bei ZDFneo und der Mediathek laufen soll. Bei "Mission unknown" hat man nach Abschluss der Dreharbeiten den Partner Prime Video an Land gezogen, der seinen Abonnent:innen die Episoden zuerst zeigt, bevor sie zwei Wochen später noch ein bisschen werbefinanzierter bei YouTube auftauchen.

Auch sonst wird die Liste der Partnerschaften zwischen Streamingdiensten und TV-Sendern beinahe täglich länger: Den neuen "Stromberg"-Film möchten sich nach der Kino-Auswertung Ende des Jahres Prime Video und ProSieben teilen. Die Amazon-Tochter hat zudem mit Sat.1 eine Zusammenarbeit für eine neue Staffel von "Der letzte Bulle" vereinbart, die nur vier Wochen nach der Streaming-Premiere im Free-TV landet. Und im Vorjahr feierte die Reality-Action "Bulletproof – Die Challenge" Premiere bei Joyn, bevor sie schon eine Woche danach auch auf YouTube verfügbar gemacht wurde.

Starke Partner für teure Zeiten

Die Kooperationsbegeisterung hat private und öffentlich-rechtliche Anbieter gleichermaßen erfasst. "Wir arbeiten daran, dass wir mit diesem Modell in Zukunft noch andere große Fiction-Projekte angehen", urteilte ProSiebenSat.1-Content-Chef Henrik Pabst.

Und ZDF-Programmdirektorin Nadine Bilke erklärte: "Im immer herausfordernder werdenden Wettbewerb und in Zeiten begrenzter finanzieller Ressourcen sind starke Partnerschaften für uns umso wichtiger geworden."

Während diese Entwicklung für Reality und serielle Fiction bereits voll im Gange ist, stellt sich die Frage, ob in Zukunft auch das klassische TV-Entertainment davon betroffen sein könnte. Der Blick und die USA legt es nahe: Dort haben sich Fox und Prime Video im vergangenen Jahr auf eine gemeinsame Auswertung der Gameshow "The 1% Club" geeinigt (die hierzulande als "Das 1% Quiz" mit Jörg Pilawa bei Sat.1 läuft). Das US-Network zeigte das Format jeweils acht Tage nach der Erstveröffentlichung bei Prime Video. Zu Beginn des Jahres wurde die Partnerschaft für eine zweite Staffel verlängert.

Tückisch zu teilendes Entertainment

Doch was für andere Genres halbwegs machbar scheint, ist bei Unterhaltungsformaten besonders tückisch. Denn Überraschungseffekte und Live-Gefühl sind bei den meisten Entertainment-Shows, insbesondere mit Wettbewerbselementen, zentral für das Zuschauer:innenerlebnis. Eine Woche nach der Streaming-Premiere würde "Schlag den Star" im Linearen womöglich nur noch eingeschränkt auf Interesse stoßen. Und wenn bei "Masked Singer" die Maske gefallen ist, tut sich nachher kaum jemand noch die dreistündige Hinleitung an.

Viele Formate leben vom Dabeisein und Mitreden-können. Eine zeitversetzte Ausstrahlung würde diesen Reiz zerstören. Publikums-Votings und der Charakter vieler Shows als gemeinsames Ereignis sind weitere Hürden.

Die Sender haben die technischen und psychologischen Eigenheiten des linearen Mediums jahrzehntelang perfektioniert. Entertainment-Shows mit Live-Charakter sind eines der letzten Alleinstellungsmerkmale des klassischen Fernsehens. Genau darin besteht das Dilemma: Weil es zunehmend schwieriger wird, diese Inhalte zu monetarisieren, wenn sie nicht explizit in die neue Sharing Economy passen.

Bagger-Wett-Preview auf Netflix?

Natürlich könnte man versuchen, bekannte Formate dafür aufzubohren: Zu Beginn des Jahres orakelte ZDF-Programmdirektorin Bilke in einem "Hörzu"-Interview bereits, man habe trotz des Entschlusses, auch 2025 auf eine "Wetten dass..?"-Rückkehr zu verzichten, "durchaus ein paar Ideen", um "bei einer Neuauflage dieser wertvollen Marke alles zusammenpassen" zu lassen. Das war auf Format und Moderation bezogen – aber würde genau so auf die finanzielle Machbarkeit zutreffen.

Vielleicht beginnt die nächste Ausgabe von Europas einst größter (und teuerster) Unterhaltungsshow dann bereits eine Woche zuvor als Wett-Preview bei Netflix: mit den Proben für die spektakuläre Baggerwette. Der achtjährigen Malte, der Charaktere aus Netflix-Kids-Originals an ihren Silhouetten erkennt, wird zwei Tage danach gestreamt. Und die Außenwette mit dem Dorfverein, der einen Heißluftballon nur mit Muskelkraft füllen will, ist nachmittags, kurz vor Showstart online.

In der eigentlichen Live-Sendung gäbe es am Abend kompakte Best-of-Zusammenschnitte – zack, kein Überziehen mehr! Und es bleibt mehr Zeit fürs Couch-Geplauder sowie unmittelbare Wettschuldeneinlösungen der Stars, bevor als nächstes die zwölf dressierten Border Collies die aktuelle Bundesliga-Tabelle durch Positionierung auf dem Spielfeld darstellen. Die Frage ist, ob eine solche Zerstückelung einer Live-Show deren Eventcharakter eher zerstören würde als fördern.

Zeitalter der Hybridformate

Wenn weiterhin hochklassiges TV-Entertainment produziert werden soll, müssen Sender und Streamingdienste vielleicht nicht nur bestehende Formate teilen, sondern konsequent neue Hybridkonzepte entwickeln, die von Anfang an für die Doppelverwertung konzipiert sind.

Zum Beispiel: eine Mischung aus Psychologie-Experiment und Entertainment-Show, bei der ein Team aus Verhaltensexpert:innen, Mentalist:innen und Körpersprache-Analyst:innen versucht, die Gedanken, Vorlieben und Geheimnisse clever gecasteter Kandidat:innen in bestimmten Situationen vorherzusagen. Der Streaming-Teil könnte die detaillierte Beobachtung der Teilnehmer:innen über mehrere Tage mit wissenschaftlichem Tiefgang zeigen; Expert:innen würden analysieren, Vorhersagen treffen, psychologische Profile erstellen. Und linear würde die große Enthüllungsshow mit spektakulären Tests vor Live-Publikum erfolgen. Zack, "Gedankenleser" – eine Gemeinschaftsproduktion von Prime Video und RTL.

Oder: Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten oder Träumen werden dabei unterstützt, einen kuriosen Weltrekord aufzustellen oder zu brechen. Der Streamer begleitet die Kandidat:innen bei ihrer Vorbereitung – mit persönlichen Hintergründen, detaillierten Einblicken in Training, Rückschläge und Fortschritte. Das lineare TV präsentiert nachher die große Show mit den finalen Rekordversuchen vor Publikum und prominenten Mentor:innen. "Die Weltrekord-Werkstatt" – demnächst schon auf Disney+ und Sat.1?

Gemeinsam produziert und finanziert

So erhielten Streamingdienste Zugang zu einem Programmtyp, den sie bisher nur selten im Portfolio haben (und live wegen der Nutzungsgewohnheiten ihrer Abonnent:innen kaum abbilden können). TV-Sender können weiterhin Eventfernsehen produzieren, ohne es alleine finanzieren zu müssen – im Zweifel sogar mit höheren Produktionsbudgets, um mehr Innovation und Qualität zu ermöglichen.

Und die Zuschauer:innen könnten das konsumieren, was ihnen am besten passt: nur den Event-Teil im linearen Fernsehen, nur den Hintergrund-Teil beim Streamer – oder beides nacheinander.

Vielleicht wäre es gar nicht so absurd, in ein paar Jahren tatsächlich eine aufgesplittete Version von "Wetten, dass..?" oder anderen TV-Klassikern zu erleben. Nicht in kolumnenhaft überspitzter Form. Aber als klug konzipiertes Hybridformat, das die Stärken beider Welten miteinander vereint. Das könnte in der Tat ein neues Zeitalter der Unterhaltung einläuten. Vorausgesetzt, die Verantwortlichen trauen sich, bisherige Format-Konventionen zu durchbrechen und neue Wege zu gehen. Wetten, dass das klappen könnte?

Und damit: zurück nach Köln.

"Krank Berlin" läuft derzeit bei Apple TV+, neue Episoden werden mittwochs veröffentlicht; "Mission unknown: Atlantik" ist bei Prime Video und ab Freitag auch bei YouTube verfügbar.