Erwachsene Menschen sitzen für die Glotze zusammen vor der Glotze. Sie trinken, essen und fluchen, während sie verfolgen, was sie vorher getrennt voneinander oder gemeinsam erlebt haben. Wie eine Dia-Show vom Abenteuerurlaub der Nachbar:innen, bloß im Fernsehen.
"Wer soll sich den Quatsch denn bitte anschauen?", wäre eine völlig normale Reaktion jedes Programmverantwortlichen gewesen, dem man als Produzent:in vor zehn Jahren vorschlagen hätte, sein neues abendfüllendes Koch-Duell-Format genau so zu erzählen.
Aber dann kam "Kitchen Impossible".
Teil der dramaturgischen DNA
Und ein Jahrzehnt später ist das Re-Watch-Element aus dem deutschen Fernsehen nicht mehr wegzudenken. Mehr noch: es ist der heimliche Zaubertrick eines der erfolgreichsten Factual-Formate. Und vielleicht ähnlich schwer zu kopieren wie die Gerichte, die die Kontrahent:innen in "Kitchen Impossible" jedes Mal aus der schwarzen Box herausgezaubert kriegen, um Zutaten und Zubereitung nachzuschmecken und alles möglichst originalgetreu nachzumachen.
Es ist ein TV-Kniff, der eine zusätzliche Ebene der Authentizität schafft – und der nur dann funktioniert, wenn wirklich alle Voraussetzungen stimmen. Denn was auf den ersten Blick so simpel aussieht, ist in Wahrheit hochkomplizierte Fernseh-Alchemie. Die Protagonist:innen durchbrechen bei ihrem Fernsehabend im Fernsehen nicht etwa die vierte Wand zum Publikum, wie man das aus Serien und Filmen kennt. Sie ziehen vielmehr eine neue hoch: die zwischen ihren gegenwärtigen und ihren vergangenen Ichs auf dem Bildschirm. Das Publikum wird dabei zum heimlichen Beobachter einer (zweifellos) inszenierten, aber echt wirkenden Selbstbeobachtung.
Bei "Kitchen Impossible" ist das Ansehen der Duell-Erlebnisse nicht nur ein nettes Zusatzelement. Sondern vielmehr Teil der dramaturgischen DNA des Formats.
Nochmal mit sich selbst mitgezittert
Wenn Gastgeber und Chefflucher Tim Mälzer mit seinen Koch-Kontrahent:innen am Tisch sitzt, ist die eigentliche Challenge zwar schon vorbei. Aber jetzt sehen Herausforderer und Widersacher:in zum ersten Mal, wie der bzw. die jeweils andere ihre Aufgabe erfüllt hat (oder daran verzweifelt ist). Diese zweite Ebene der Rezeption schafft oft die erinnerungswürdigsten Momente der Sendung.
Bevor das Format im Frühjahr bei Vox in die nunmehr zehnte Staffel gehen dürfte, trafen sich Mälzer und Tim Raue mit Roland Trettl und Sepp Schellhorn zuletzt in der "Weihnachtszeit-Edition" in Mälzers "Bullerei" im Hamburg, um im schicken Anzug, mit Fliege und Einstecktuch bei Champagner und gutem Essen die einander aufgebürdeten Herausforderungen Revue passieren zu lassen.
"Wir haben alle große Egos", erklärte Trettl zwischendurch, "und wenn man bei 'Kitchen Impossible' mitmacht, verdoppelt sich das nochmal." Um anschließend mit seinem televisionären Ich mitzuzittern, das mit Schellhorn auf Kreta über offenem Feuer Xinochondros-Suppe, Antikristo und Galaktaboureko zubereiten sollte – obwohl er ja längst wusste, wie es ausgegangen war.
Dreckiges Lachen als Akt der Zuneigung
Die Re-Watch-Inszenierung funktioniert ein bisschen wie Wrestling: Der Kampf ist echt – und gleichzeitig wissen alle, dass er Teil der Show ist. Die Köche fluchen (Mälzer schimpfte über die "die Schluchtenscheißer, die elenden Gebirgsficker"); sie gönnen sich aber auch gegenseitig den Erfolg. Man provoziert sein Gegenüber bis zum Letzten ("Wir haben einfach abgeliefert"), feiert dann aber doch gemeinsam. Selbst Raues dreckiges Lachen wirkte am Ende wie ein Akt der Zuneigung.
Nach neun Staffeln ist das Format zumindest in des Festtags-Version deutlich versöhnlicher geworden – aber das schadet dem gemeinsamen Nacherleben nicht. Im Gegenteil: "Ich hab den Eindruck dass dieses Special wirklich auch ein bisschen von Harmonie geprägt ist", referierte Mälzer. Und bestätigte damit die Vermutung, dass die wahre Magie dieses TV-Elements vor allem in der authentischen Verbindung seiner (wechselnden) Protagonist:innen liegt.
Das passt auch zur Kabel-eins-Variante des Sofa-Showdowns. Dort ist "Roadtrip Amerika" das Kunststück gelungen, das Re-Watch-Element auf eigene Art neu zu interpretieren: nicht als wöchentliches Wettkampfritual, sondern als emotionalen Höhepunkt am Ende jeder Staffel.
Ein gemeinsamer Abenteuer-Fernsehabend
Wenn Frank Rosin, Alexander Kumptner und Ali Güngörmüs nach tausenden gemeinsamen Kilometern, die sie im Camper durch die USA und Kanada gefahren sind, nachher auf dem Sofa zusammensitzen, um ihre Abenteuer Revue passieren zu lassen, entsteht eine ähnlich besondere TV-Atmosphäre. Die drei beömmeln sich über ihren Dilettantismus beim Ausleeren des Camper-Klos, haben nochmal Gänsehaut, als sie sich beim "Edge Walk" in 365 Meter Höhe auf dem CN Tower in Toronto sehen, und lachen Tränen, wenn sie als Drag Queens Aligina, Rosa und Phoebe Schnitzel durch den Queer-Club tanzen. "Wir haben 3 Monate unseres Lebens miteinander verbracht", sagt Güngörmüs, "manche Beziehungen halten nicht so lange."
Dieses gemeinsame Durchleben der Höhen und Tiefen – vom Fallschirmsprung in Nevada bis zum ungenießbar totfrittierten Huhn in Tennessee – entsteht eine Authentizität, die sich nicht künstlich herstellen lässt.
Selbst wenn man die meisten Szenen vorher schon mal gesehen hat, funktioniert die Re-Watch-Ausgabe deshalb – theoretisch – auch für die Zuschauer:innen. Praktisch scheint das Kabel-eins-Publikum den drei Sterneköchen inzwischen aber oft genug beim Campen zugesehen zu haben: Die dritte Staffel ging gerade mit ernüchternden Quoten für den gemeinsamen Abenteuer-Fernsehabend bei Serviettenknödeln, Königsberger Klopsen und Baklava zu Ende.
Wie ein sehr spezielles TV-Gewürz
Das könnte zur Folge haben, dass "Kitchen Impossible" weiterhin erfolgreicher Alleinanwender des kniffligsten Zaubertricks im deutschen Koch-Erlebnisfernsehen bleibt – für den neben es neben einer ordentlichen Portion Kumpelei offensichtlich doch auch einen klar erkennbaren kompetitiven Charakter braucht, um bei den Zuschauer:innen durchzudringen.
Vielleicht ist es aber auch ganz gut so, dass der Sofa-Showdown so gezielt eingesetzt wird. In regulären Reality-Formaten gäbe es vermutlich schnell Abnutzungsalarm.
Wahrscheinlich muss man einfach eine Analogie aus der Welt der Fernsehköche bemühen, um es angemessen zu erklären: Das Re-Watch-Element ist wie ein sehr spezielles TV-Gewürz – zu viel davon übertüncht alles; aber an der richtigen Stelle eingesetzt, verstärkt es den Geschmack des Originals perfekt.
Und damit: zurück nach Köln.
"Roadtrip Amerika 3" ist bei Joyn abrufbar; "Kitchen Impossible" steht bei RTL+ zur Verfügung.