Beatrix von Storch sitzt bei "Markus Lanz" und "Hart aber fair"; Alice Weidel kriegt Sendezeit bei "Maischberger" und "Caren Miosga" – und schon sind wir mittendrin in der Debatte: AfD-Politikerinnen in öffentlich-rechtliche Polittalks einladen – oder soll man es lassen?
Letzteres forderte der Journalist Michael Kraske dieser Tage bei Übermedien. Seine Begründung: Rechtsextremist:innen seien nicht Teil des demokratischen Diskurses und hätten daher in Talkshows nichts zu suchen. Das ist ein nachvollziehbares Argument. Doch die Sender fürchten, sie würden als politisch einseitig diffamiert, wenn sie die AfD komplett ausschließen. Und: Lässt sich eine Partei, die von 20 Prozent der Deutschen gewählt werden, in Talks einfach ignorieren bzw. nur noch über sie berichten? Oder liefert man ihr damit argumentative Munition, um weiter zu wachsen? Es ist eine schwierige Abwägung.
Gleichzeitig ist unübersehbar, dass es oft weniger der Entlarvung dient, wenn sich AfD-Vertreter:innen in den Sendungen befragen lassen. Stattdessen spielt es eher ihrer Selbstinszenierung in die Hände.
Das Versagen der Faktenchecks
"Die Aussage ist falsch!", konterte Alice Weidel vor einer Woche bei "Caren Miosga", als die Moderatorin sie mit Zahlen aus einer aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts zur Wirtschaftlichkeit von Windkraft im Vergleich mit Kernkraft konfrontierte – und es hätte schon geholfen, wenn Miosga dazu gesagt hätte: Das haben Sie neulich bei der Kollegin Pinar Atalay im RTL-"Kandidatencheck" zu einem anderen Thema schon genauso versucht. Miosga verwies stattdessen auf den geplanten Faktencheck am nächsten Tag. Und Weidel entgegnete gelassen: "Sehr gerne!" Weil es der AfD-Spitzenkandidatin herzlich egal sein kann, was irgendeine Redaktion mit zwanzigstündiger Verzögerung irgendwo als Tatsachenüberprüfung gut versteckt auf ihre Website stellt.
Mit ihrem Auftritt hatte Weidel ihr Ziel ja längst erreicht.
Die Szene steht symptomatisch für das Dilemma deutscher Polittalks im Umgang mit Vertreter:innen der extremen Rechten – und dem oft unglücklichen Eindruck, den selbst gestandene Interviewer:innen dabei hinterlassen.
Das hat damit zu tun, dass Debatten ohnehin schwer beherrschbar sind, sobald sie emotional aufgeladen sind; vor allem aber liegt es daran, dass die Mittel, mit denen die Redaktionen bisher arbeiten, oft nicht mehr geeignet sind, um mit Gästen umzugehen, die nach ganz eigenen Spielregeln agieren.
Erstmal drauflos behaupten
"Eine Talkshow ist turbulent. Oft bleibt während der Sendung keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen", rechtfertigt etwa die Redaktion von "Hart aber fair" ihr über viele Jahre erprobtes Vorgehen, potenzielle Falschaussagen am nächsten Tag richtigzustellen. Wobei klar ist: Das nimmt dann – wenn überhaupt – nur noch ein Bruchteil des TV-Publikums wahr. Genau damit kalkulieren Politiker:innen wie Weidel, von Storch, Chrupalla & Co. Sie können zunächst weitgehend unwidersprochen ihre Sichtweisen verbreiten. Werden sie in der nächsten Sendung damit konfrontiert, behaupten sie im Zweifel, das sei nie so gemeint oder gesagt worden.
Die Interviewer:innen machen es ihnen leicht, weil sie Falschaussagen nicht unmittelbar als solche benennen (können). Dabei wäre genau das entscheidend, um AfD-Politiker:innen überhaupt einladen zu können.
Vor allem aber stimmt das, was die "Hart aber fair"-Redaktion behauptet, so nicht mehr. Anstatt wahllos Social-Media-Meinungen herauszusuchen und zu referieren, wie es im Format lange Praxis war, könnte eine Gruppe von Redakteur:innen bereits im Laufe der Sendung ja sehr wohl die Aussagen der Gäste überprüfen – idealerweise unterstützt durch moderne KI-Tools. Die künstliche Intelligenz könnte dabei helfen, Behauptungen schnell mit verifizierten Datenbanken abzugleichen und relevante Quellen zu identifizieren. Die endgültige journalistische Bewertung und Einordnung bliebe in der Hand erfahrener Journalist:innen.
Mit Falschaussagen konfrontiert
Am Ende – oder bei besonders gravierenden Falschaussagen auch zwischendurch – würden die Betroffenen direkt mit ihren Unwahrheiten konfrontiert. Nicht als vages "Das müssen wir noch prüfen", sondern mit handfesten Belegen: "Wir haben das gerade schon mal gegengecheckt."
Das brächte nicht nur die Chance auf unmittelbare Richtigstellung, sondern auch ein völlig neues dramaturgisches Element in die Shows: Politiker:innen wüssten, dass sie sich im Zweifel noch in der laufenden Sendung dazu verhalten müssten, vorher Stuss geredet zu haben. Ausweichmanöver würden schwieriger. Und Taktiken (Weidels reflexartige Diskreditierung von Zahlen, die ihr nicht passen, als "falsch!") durchschaubar.
Vor allem aber müssten Politiker:innen damit rechnen, dass ihre potenzielle Entlarvung alle übrigen Momente überstrahlen würde – anstatt wie bisher darauf zählen zu können, das Studio mit ein paar knackigen Zitaten für die Verwertung in den sozialen Medien zu verlassen.
Gut vorbereitet für die Live-Überprüfung
Dass ein solches System prinzipiell funktionieren kann, hat ausgerechnet eine Unterhaltungsshow schon bewiesen: Bei "Wer stiehlt mir die Show?" auf ProSieben überprüft die Redaktion etwa für das Spiel "Wer nix wird, wird Nerd" schon seit längerer Zeit die (offenen) Antworten der Kandidat:innen auf Richtigkeit – während sie gegeben werden. Die Sendung läuft zwar nicht live; es ist aber davon auszugehen, dass die vier eifrig in Laptops hineintippenden Redakteur:innen, die man zwischendurch sieht (z.B. hier), nicht stundenlang Zeit haben, um zu verifizieren, ob die Runde nun als gewonnen oder verloren gewertet werden muss.
Nun ist es sicher eine andere Art von Herausforderung, Britney-Spears-Titel, Eurodance-Gruppen der 90er oder Charaktere von "Harry Potter" und "Star Trek" nachzugoogeln.
Die Talk-Redaktionen allerdings hätten die Möglichkeit, KI-Tools bereits vorab mit relevanten Quellen und Datenbanken zu trainieren, die sie in der Sendung verwerten wollen (was sie während einer laufenden Debatte leichter durchsuchbar macht). Im konkreten Fall – Weidel bei Miosga – hätte die KI auch am späten Sonntagabend innerhalb weniger Sekunden stichhaltige Argumente dafür liefern können, dass Weidel mit ihrer Diskreditierung der Fraunhofer-Zahlen daneben liegt.
Auch googeln hilft
Auch Weidels Behauptung, der parteinahe Verein "Juden in der AfD" zähle "ein paar Hundert" Mitglieder, "schon fast im vierstelligen Bereich", erwies sich im Nachhinein als falsch – hat T-Online im Anschluss nachrecherchiert. Die richtige Mitgliederzahl lautet: 22! (Im "Nachgehakt" der "Miosga"-Redaktion war dafür erstaunlicherweise kein Platz.)
Und, ja – das noch in der Sendung endgültig zu verifizieren, wäre schwer gewesen.
Aber sehr wohl hätte die Chance bestanden, bei einem Live-Faktencheck eine Quelle des BR zu finden, aus der hervorgeht, dass der Verein laut seinem Vorsitzenden noch 2023 "bundesweit 20 Vollmitglieder" hatte. (Nachdem es zur Gründung offenbar 24 gewesen waren.) Wie entlarvend hätte es sein können, wenn Miosga Weidel zum Schluss gefragt hätte, wie sie begründet, dass die Zahl seitdem so massiv angestiegen sein soll?
Wenn die Talk-Redaktionen es sich weiter so bequem machen, erst am Morgen danach zu checken beginnen, was sie in ihren Sendungen haben sagen lassen, dann ist das im Jahr 2025 hochproblematisch.
Technisch machbar, redaktionell herausfordernd
Gleichzeitig bergen natürlich auch KI-unterstützte Faktenchecks Risiken. Sie bräuchten klar definierte Regeln und Grenzen. Was passiert etwa, wenn die KI Quellen als relevant markiert, die sich später als unzuverlässig herausstellen? Wie geht man mit Grenzfällen um, in denen sich Wahrheit und Interpretation vermischen? Und wie verhindert man, dass die Geschwindigkeit der automatisierten Analyse auf Kosten der Sorgfalt geht?
Deshalb ist klar: Die KI kann nur Hilfsmittel sein, kein Schiedsrichter. (Das gilt bezogen auf alle Einsatzmöglichkeiten – weil sonst solche Unfälle passieren.)
Sie kann helfen, große Datenmengen schnell zu durchsuchen, Quellenvergleiche anzustellen und Unstimmigkeiten zu erkennen.
Die eigentliche journalistische Arbeit – eine Bewertung der Fakten, die Einordnung in Kontexte, das Erkennen von Halbwahrheiten und irreführenden Verkürzungen – läge weiterhin bei der Redaktion. Aber halt mit dem Vorteil, eine unmittelbare Konfrontation der Gäst:innen zu ermöglichen, so lange das Publikum noch zuschaut. Und damit die bisherige Strategie der AfD zu unterlaufen, erstmal munter drauflos zu behaupten.
Nicht mehr instrumentalisieren lassen
Eines ist klar: Desinformation, aus dem Zusammenhang gerissene Zahlen und geschickt platzierte Halbwahrheiten werden tendenziell zunehmen, auch in Talkshows. Formate, die diesen Diskurs moderieren, werden unweigerlich darauf reagieren müssen, wenn sie sich nicht instrumentalisieren lassen wollen.
Live-Faktenchecks wären keine Wunderwaffe. Aber sie könnten helfen, das derzeitige Dilemma der Polittalks zu lösen.
Im Zweifel würde es schon ausreichen, am Ende der Sendung eine Art Vorab-Check unter dem Titel "Was wir bislang schon wissen" zu veranstalten, um das Gesagte mit den Fakten abzugleichen.
Es wäre ein Mittelweg zwischen der nachvollziehbaren Forderung nach klarer Kante und dem Anspruch der Sender, auch Gäste zu berücksichtigen, die bislang ausschließlich nach eigenen Spielregeln agieren. Technisch wäre es möglich. Jetzt braucht es nur noch die Einsicht in den Redaktionen, dass sie nicht mehr so weitermachen können wir bisher. Und den Willen, darauf zu reagieren, anstatt sich weiter ausnutzen zu lassen.
Und damit: zurück nach Köln.