Manchmal erlebt selbst der nüchternste Chronist der Demokratie einen Moment der Schwäche. Als Donald Trump bei seiner Amtseinführung vor zwei Wochen darüber sinnierte, dass Gott ihn beim Attentat auf seine Person verschont hat, damit er Amerika "Great Again" machen könne, platzte dem Simultandolmetscher mitten in der Live-Übertragung auf Phoenix irgendwann der Kragen: "Samma, wie lange wollt ihr bei dem Scheiß bleiben?"
Sein Stoßseufzer in die Regie war versehentlich on air zu hören und machte anschließend auf Social Media die Runde. Dort sorgte der Moment angesichts der sonst eher von Düsterheit geprägten Januar-Nachrichtenlage für willkommene Erheiterung – und machte den sonst so beherrschten Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF selbst kurz zum Ereignis.
Es war, als hätte die Realität für einen Moment gegen ihre allzu gewissenhafte Dokumentation aufbegehrt.
Zuhause zwischen Westlobby und Plenarsaal
Aber Phoenix blieb natürlich trotzdem dran. Weil der Sender seinen Auftrag als Chronist der (strauchelnden) Demokratie so todernst nimmt, dass selbst dann nicht gezwinkert wird, wenn sich die Amtsübergabe des mächtigsten Mannes der Welt in surreale Sphären verabschiedet.
Wie wertvoll das ist, ist dieser Tage gut zu beobachten: Natürlich berichteten auch die privaten Nachrichtensender live, als die CDU in der vergangenen Woche Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einbrachte. Immerhin kündigte sich ein "historischer" Moment an, weil absehbar war, dass eine Mehrheit nur durch die Stimmen der AfD zustande kommen würde. Selbst das Erste hatte sein gewöhnliches Nachmittagsprogramm deswegen nach 14 Uhr ausgesetzt und übertrug für zwei Stunden aus dem Parlament.
Phoenix aber blieb auch dann noch stoisch dran, als Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt am späten Nachmittag den Abgeordneten nochmal die Modalitäten der Abstimmung referierte und schaltete zwischen der Westlobby des Bundestags und dem Plenarsaal hin und her, während im Ersten schon wieder "Brisant" und "Wer weiß denn sowas?" liefen.
Mag niemand protestieren?
Na klar muss man Prioritäten setzen – und wenn irgendwann mal jemand fragen sollte, wo das deutsche Fernsehen gerade war, als verkündet wurde, dass erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestags Mehrheiten mit Stimmen jenseits des demokratischen Spektrums erzielt wurden, dann braucht die Antwort nicht zu lauten: am Setbesuch von "In aller Freundschaft – die jungen Ärzte", das gerade sein 10-jähriges Besenden feiert.
Denn glücklicherweise gab's ja: Phoenix.
Umso erstaunlicher ist, dass ausgerechnet dieser Sender zur Disposition stehen könnte. Denn ARD und ZDF sind von der Politik angehalten, die Zahl ihrer Spartenkanäle zu reduzieren. Und die neue WDR-Intendantin hat in der "Kölnischen Rundschau" kürzlich angedeutet, dass Phoenix in seiner jetzigen Form nicht "unantastbar" sei. Zwar hält sie Parlamentsberichterstattung für "absolut essenziell" – aber man müsse "drüber nachdenken", in welcher Form diese Inhalte künftig verbreitet werden (DWDL.de berichtete). Anders als bei der Debatte um eine mögliches Ende von 3sat zu Gunsten von Arte blieb der öffentliche Protest dagegen aus.
Bundestag, aber nicht als News-Event
Dabei wäre der Verlust von Phoenix ein ziemlicher Schlag für die politische Bildung in Deutschland. Denn gerade in Zeiten erhitzter Debatten glänzt der unspektakuläre kleine Chronistenkanal mit notwendiger Nüchternheit und einer konsequenten Kontextualisierung des politischen Geschehens.
Das Phoenix-Prinzip ist so einfach wie wirkungsvoll – und wenn's das nicht schon lange gäbe, müsste man es glatt erfinden: Erst ein Ereignis in voller Länge zeigen, dann die journalistische Einordnung durch Expert:innen, anschließend eine moderierte Diskussion zur Bedeutung, und in "Phoenix – Der Tag" die Zusammenfassung des Geschehens.
Während der Bundestag in manchen Nachrichtensendern vor allem als News-Event inszeniert und dem Publikum mit ständig aktualisierten Bauchbinden serviert wird, behandelt Phoenix das Parlament als das, was es ist: das Zentrum unserer Demokratie. Mitsamt all seinen protokollarischen Begleiterscheinungen.
Kontext statt Satzschnipsel
Vor allem aber hilft Phoenix durch sein Dranbleiben, zu erfassen, dass sich manchmal erst in der Länge die eigentliche politische Substanz (oder deren Fehlen) offenbart: Als Trump kürzlich per Video zum Weltwirtschaftsforum in Davos zugeschaltet war, demonstrierte die komplette Übertragung die ganze Erratik seines Auftretens, das wirr vorgetragene Beispiel für die angeblichen Komplikationen der EU, ja sogar die Tatsache, dass er nachher selbst nicht mehr wusste, was aus seinem als Beispiel herangezogenen Geschäftsprojekt geworden war.
Und als der polnische Ministerpräsident Donald Tusk im EU-Parlament die Ratspräsidentschaft seines Landes skizzierte, konnte man seiner Argumentation folgen, wie er die Skepsis vieler Mitgliedsstaaten angesichts des neuen Verhältnisses zu den USA als Chance zur europäischen Stärkung umdeutete.
Das, was die Mehrheit des Publikums sonst nur als Ausschnitt in der "Tagesschau" wahrnimmt, hinterlässt in der Gesamtheit betrachtet bisweilen einen völlig anderen Eindruck – weil es Politiker:innen, ihre Rhetorik, ihr Art sich zu geben, erlebbar werden lässt, anstatt sie auf einzelne Satzschnipsel zu reduzieren.
Maximale Ressourcenbündelung
Diese Haltung prägt den gesamten Sender, bis hin zur Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, die in der zurückliegenden Woche auf Phoenix live übertragen wurde – behutsam kommentiert und übersetzt, mit zurückgenommener Kamera, teilweise mit langen Pausen. Ein Fernsehen, das seinem Publikum zutraut, Momente wirken zu lassen.
Mit dieser Haltung erreichte der nach einem die eigene Wiedergeburt beherrschenden mythologischen Wesen benannte Sender im vergangenen Jahr 0,8 Prozent Marktanteil, sowohl beim Gesamtpublikum als auch bei den 14- bis 49-Jährigen. Das kann man gleichzeitig überschaubar und bemerkenswert finden.
Dazu kommt, dass Phoenix mit seinem Jahresbudget von zuletzt rund 50 Millionen Euro und 93,5 Planstellen (Stand von 2023) geradezu ein Musterbeispiel dafür ist, was wir uns vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen sonst oft wünschen: Konzentration auf Inhalte statt auf Quote und maximale Ressourcenbündelung, wenn etwa bei "Phoenix - Der Tag" zur Zusammenfassung erst ein Beitrag aus "ZDF heute" läuft, der später noch einmal eigenständig eingeordnet und vertieft wird.
Ein demokratischer Beobachtungsposten
Der Preis dafür ist eine nicht zu übersehende Unbeweglichkeit, mit der man sich bisweilen den Zugang zu einer noch breiteren Öffentlichkeit verbaut: Selbst wenn eigene Dokumentationen wie "Trumps Team – neue Akteure der Macht" produziert werden, folgen die dem gewohnten Schema: statt opulenter Inszenierung gibt es Standbilder und Expert:inneninterviews – fast wie im übrigen Programm.
Phoenix ist im Grunde genommen weniger klassisches Fernsehen als vielmehr ein demokratischer Beobachtungsposten: Er dokumentiert die Entwicklung unserer Demokratie, archiviert die wichtigen Momente und macht sie durch Einordnung verständlich. Die Phoenix-Mediathek wird so ein Stück weit zum politischen Gedächtnis der Republik, sortiert nach Themen und Ereignissen.
Auf diese Weise mag die kleine grau-türkisfarbene Maus unter den öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen keine Quotenhits produzieren – und nicht jede:r hat jeden Tag Zeit, die Nachrichtenlage in diesem Umfang zu konsumieren. Aber es ist gut, dass es geht. Und Phoenix verlässlich abbildet, wie Politik tatsächlich funktioniert. In all ihrer komplizierten, aber durchaus faszinierenden Realität.
Manchmal, ganz selten, flucht sogar ein Dolmetscher darüber.
Und damit: zurück nach Köln.
Nachtrag: Tatsächlich gibt es bereits eine Petition Medienschaffender zum Erhalt von Phoenix. Unter dem Titel "Phoenix muss bleiben – für eine besser informierte Republik" sammeln sie Unterschriften gegen eine mögliche Einstellung des Senders.