Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, komplexere Abfertigungsprozesse, verspätete Flüge: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer Reisender an Flughäfen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verlängert. Insofern kann es sich der Hessische Rundfunk hoch anrechnen lassen, dass sein Publikum freiwillig noch diverse Minuten pro Woche draufschlägt – so wie die Stammseher:inen der Dauerbrenner-Doku "Mittendrin – Flughafen Frankfurt".

Seit 2019 verspricht der Sender "exklusive Einblicke hinter die Kulissen auf Deutschlands größtem Airport"; gerade ist die 75. Folge in der 14. Staffel gelaufen. Neue Folgen gibt's vorab in der ARD Mediathek. Und nachher auch auf YouTube, wo sie teilweise bis zu vier Millionen mal aufgerufen werden.

So ist die Reihe gleichzeitig ein Jumbo-Jet öffentlich-rechtlicher Dokubemühungen: als absolutes Schwergewicht in der Publikumsgunst – und ein echter Ultraleichtflieger: weil es bloß eine Handvoll Leute um HR-Autor Andreas Graf braucht, um immer neue Episoden zu produzieren, die den fünftgrößten Flughafen Europas aus Perspektiven zeigen, die die allermeisten Passagier:innen sonst nicht zu Gesicht bekommen.

(Es sei denn, sie laufen falsch herum durch die Sicherheitsschleuse zurück und bringen den daraufhin anspringenden Sicherheitsapparat an den Rand der Terminalschließung.)

Gute-Laune-"Galileo" für Vielflieger:innen

Der Erfolg des Gute-Laune-"Galileo" in der Aviation-Variante basiert auf einer Mischung aus kompromissloser Technikbegeisterung und menschelnder Berufsgruppenpräsentation: Die Kamera folgt Pilot:innen und Flugbegleiter:innen bei deren Arbeit, Follow-me-Fahrer:innen und Fluglots:innen, der Flughafen-Feuerwehr und dem Security Duty Officer. Sie hat von der Boeing 747 bis zum Airbus A380 alle Flugzeugtypen im Blick. Und zeigt nicht nur, was auf dem Rollfeld los ist, sondern auch in der Gepäckabfertigung, bei der Wartung des Instrumenten-Landeanflugsystems, der Montage neuer Fluggastbrücken und beim Ventildeckeldichtungsaustausch des MTU-4000, der als größter Dieselmotor am Platz für die Notstromversorgung der Landebahn zuständig ist.

Das Publikum ist immer hautnah dabei. Wer "Mittendrin" schaut, kennt sich nicht nur aus mit den Kuriositäten des Flugchinesisch: "Turm für die DFS 1, erbitte Freigabe für Sierra 4-0 und Yankee 4", funkt die Deutsche Flugsicherung, um über die Landebahnen zum Ziel zu kommen – denn: "Der nächste Flieger im Anflug sitzt ihnen schon im Nacken."

Stammseher:innen wissen auch, dass der Techniker bei der Freiwilligen Feuerwehr in Oberursel aktiv ist, der Großbaustellen-Projektleiter schon als Kind auf der Besucherterrasse davon träumte, später mal hier zu arbeiten, und die Dame von der Flugsicherung am Lastverteiler als Frau einen Vorteil hat, "weil die Männer oft zu dicke Finger haben."

Der Praktikant testet die Sicherheitsabläufe

Für ausnahmslos alle Protagonist:innen werden Werdegang, Hobbys und Kinderzahl referiert; das schafft emotionale Nähe und ist eine willkommene Abwechslung zum sonst eher technisch anmutenden Hauptthema.

Diese konsequente Personalisierung ist Teil eines ausgeklügelten Systems, das den größten deutschen Flughafen als hochkomplexe, aber stets beherrschbare Maschinerie präsentiert, in der Ernstfälle glücklicherweise nur in Form von Übungen eintreten. Und wenn doch mal was passiert? Dann macht das Krisenmanagement des Betreibers Fraport stets einen tollen Job.

Fast jede Folge enthält vermeintliche Notfälle, die sich aber in den allermeisten Fällen als Tests und Übungen entpuppen, was so lange wie möglich verklärt wird, um die Spannung hochzuhalten. Die verirrte Passagierin, hinter der das halbe Sicherheitsteam hinterherjagt, war glücklicherweise nur auf Snacksuche; und der Mann, der die Personenkontrolle in Terminal 1 zu umgehen versucht hat, ist weder "Tourist oder Terrorist", sondern: der Praktikant aus der Abteilung Unternehmenssicherheit, der just in dem Moment, als der HR da war, die Aufgabe hatte, mal die Sicherheitsabläufe zu testen!

Kritisches wird im Vorbeifliegen abgehakt

"Mittendrin Flughafen Frankfurt" ist im besten Sinne klassisches Fernsehen: eine Dokureihe, die ihre Geschichten gefällig und effizient erzählt – aber dabei so viele PR-Filter übereinander legt, dass man sich manchmal wünscht, Graf und sein Team würden die Kamera auch mal auf die weniger sonnigen Seiten des Airports richten. (Und zwar nicht nur, wenn es auf der Baustelle Rollbrückensanierung Ost wegen Starkregenfalls wieder zu ungünstigen Zeitverzögerungen kommt.)

Im durchgetakteten Konzept der Reihe, die der HR mit großem Einsatz, aber minimalem Aufwand produziert (der Abspann braucht bloß zwei Tafeln mit insgesamt fünf Verantwortlichen) sind journalistische Einordnungen eher selten vorgesehen. Kritische Themen werden im Vorbeifliegen abgehakt.

Oftmals fühlt sich "Mittendrin" an wie ein durchgehender Imagefilm für den mit 80.000 Beschäftigten größten Arbeitgeber Hessens, der jungen Flug-Fans nach überstanden Kampf gegen den Krebs ganz selbstverständlich eine exklusive VIP-Flughafentour organisiert.

Wie eine PR-Initiative der Luftfahrtindustrie

Wenn minutenlang über die Großartigkeit der Boeing 737 geschwärmt wird – "eine Jetlegende seit 58 Jahren", "das meistverkaufte Verkehrsflugzeug", "ein fantastisches Ingenieurswerk" – sind die "negativen Schlagzeilen" über die Abstürze in den Jahren 2018 und 2019 mit 346 Toten bloß ein "Schatten" auf der "Erfolgsgeschichte". "Die Softwarefehler sind behoben, sagt der Hersteller", heißt es dann zügig aus dem Off – damit hat sich die Sache für die Flug-Fans vom HR erledigt.

Wenn der Off-Kommentator schwärmt, Fluggesellschaften seien, weil sie vieler Menschen erreichen, "auch Botschafter für soziale Projekte (…) im Kampf gegen Armut, Hungersnot und Krebs", klingt das wie eine ausgelagerte PR-Initiative der Luftfahrtindustrie.

Auch die Rolle des Flugverkehrs für die globalen Treibhausgasemissionen ist eher von nachrangiger Bedeutung und die Störer:innen der Letzten Generation sind allenfalls ein Randaspekt für die Security. Aber hätten Sie gewusst, dass Fraport auf seinem Gelände nachhaltigen Asphalt aus Cashew-Schalen testet? Und stetig in neue Solaranlagen investiert, die einen glatt vergessen lassen können, dass der FRA täglich soviel Strom benötigt wie ganz Heidelberg!

Als einziges mit im Cockpit

Grafs Team hat sich ein "Vertrauensverhältnis" erarbeitet, das bereits vom "Mediennetzwerkes Luftfahrt-Presse-Club" ausgezeichnet wurde, und eine Vorzugsbehandlung möglich macht, die voll auf das Kernversprechen der Reihe einzahlt: Exklusivität.

Beim ersten Start des neuen FlyPink-Planes, mit dem Condor öffentlichkeitswirksam zur Brustkrebsvorsoge motivieren will, muss der HR nicht wie die restliche Presse aus der Ferne filmen, sondern darf als einziges mit ins Cockpit ("Der pinke Flieger aus Frankfurt – weltweit einmalig!") – und dann ab nach Lanzarote, nachdem der Condor-Chef im Kurzinterview hervorgehoben hat: Die meisten Airlines bekleben ihr Flugzeug günstig – aber Condor lackiert!

Ganz selbstverständlich kriegt der Sender auch eine Ausnahmegenehmigung für den Dreh im Tower. Dort herrscht eigentlich striktes Ablenkverbot. Aber der sympathische junge Lotse, den der HR schon anno 2019 in die Ausbildung begleitet hat, darf nach der Lande-Priorisierung des "Medical Emergency" aus Chicago noch flugs erzählen, dass er in seiner Freitzeit in einer Symphonic-Metal-Band Gitarre spielt (Musikvideoausschnitt inklusive).

All das führt zu einer Form des Embedded Journalism, die investigatives Nachfragen eher nicht in den Vordergrund stellt.

Von Elefanten und Spitzmaulnashörnern

Gleichzeitig gelingt es "Mittendrin – Frankfurt Flughafen" mit seiner Fokussierung aufs Positive, auch Fachunkundigen selbst komplexeste Flughafen-Abläufe griffig zu erklären. Immerzu wird alles in "Fußballfeldern" berechnet – egal ob Sattelschlepper, Tower-Fläche oder Terminals. Abgetragenene Betonplatten auf der Baustelle wiegen "so viel wie ein ausgewachsenes Spitzmaulnashorn". Und die neuen Fluggastbrücken aus China (aber mit nordhessischer Technik!) sind "so schwer wie zehn Elefanten".

So bemüht das manchmal klingen mag: Es macht nachvollziehbar, worüber hier gesprochen wird – und dürfte zum Erfolg der Reihe beitragen, der in jedem Fall nachhaltiger ausfällt als sein Berichterstattungsgegenstand.

Dazu lässt die Reihe regelmäßig das Archiv des eigenen Senders glänzen: Wenn "Mittendrin" den Experten für die Notstromversorgung begleitet, hat man selbstverständlich die Bilder von 2023 parat, als ein Siebenschläfer durch sein Kabelannagen im Umspannwerk kurzzeitig alle Airport-Lichter ausgehen ließ. Und zur Historie der 737 gehört auch die Anekdote, dass eine gewisse Sonja Zietlow einst ihre Pilot:innenausbildung auf selbiger Maschine absolvierte. "Die Tatsache, dass bei diesem Flug eine Dame den Jet steuert, schreckt niemanden", heißt es im Bericht von 1991, in dem Zietlow im Cockpit bestätigte, Frauen machten ihre Arbeit "mindestens genauso gut wie die anderen auch".

Ohne Turbulenzen sicher ans Ziel

"Mittendrin" macht den Kosmos Flughafen begreifbar, ohne unangenehme Fragen zu stellen. Die Reihe zeigt die Menschen hinter der Maschinerie und übersetzt auch komplexe Abläufe in eine verständliche Sprache, ohne dabei die Systemlogik anzuzweifeln.

Sie bringt ihr Publikum ohne Turbulenzen sicher ans Ziel – und, ganz sicher, auch ins neu gebaute Terminal 3, das im übernächsten Jahr eröffnen soll, wenn man sich nicht mehr daran zu erinnern braucht, dass das vielleicht gar nicht notwendig gewesen wäre.

Denn am Ende ist wahrscheinlich nur eins schöner als Fliegen: dabei zuzusehen, wie's andere tun.

Und damit: zurück nach CGN.

Das HR Fernsehen wiederholt die 75. Folge von "Mittendrin – Flughafen Frankfurt" am heutigen Sonntag ab 17 Uhr; neue Folgen gibt es mittwochs ab 21 Uhr. Alle Staffeln sind in der ARD Mediathek abrufbar.