Wenn öffentlich-rechtliche Programmverantwortliche mal wieder was fabrizieren wollen, das so keiner von ihnen erwartet, landen sie meisten bei ein- und derselben Idee: einer Sketch-Comedy, die mit soviel prominenten Namen protzt, dass jegliche Form inhaltlichen Bemühens überflüssig wird.
Für die ZDF-Produktion "Queens of Comedy" schlüpften Annette und Caroline Frier schon vor drei paar Jahren in skurrile Rollen; in der NDR-Reihe "Gags – Comedy Deluxe" rettet Linda Zervakis als Captain SUV gerade die Welt vor der Öko-Diktatur des Lastenrad Man; und im ARD-Dorf "Smeilingen" treffen sich Uwe Ochsenknecht, Heino Ferch, Cordula Stratmann & Co. episodisch zwischen Bürgermeisterbüro und Dorfkneipe (zur DWDL.de-TV-Kritik).
Diese Häufung könnte nicht zuletzt am Erfolg der Amazon-Show "LOL – Last One Laughing" liegen, die auf Prime Video vormacht, wie man mit eine wechselnden Star-Ensembles ansehnliche Erfolge produziert.
Ein beispielloser Einblick
Leider übersehen die Sender meistens, dass es für ein gelungenes Comedy-Format nicht reicht, möglichst viele bekannte Gesichter mit schlechtem Timing vorhersehbare Gags machen zu lassen.
Wie ist das möglich? Ein vertrauliches Making-of-Protokoll liefert einen beispiellosen Einblick in den Entstehungsprozess einer solchen Produktion. Die Details sind erschreckend. Und Ähnlichkeiten mit real existierenden Sendungen nicht zufällig:
Tag 1:
Erste Konzeptbesprechung. Head-Autor schlägt vor, prominente Schauspieler:innen und Comedians in einem fiktiven Dorf / einer Familie / einem Büro aufeinandertreffen zu lassen. Redaktion ist begeistert: "Wie 'LOL', nur mit Background-Story!" Producerin warnt vor zu hohen Gagen-Kosten. Wird ignoriert.
Tag 12:
Cast steht. 17 Top-Stars haben zugesagt, allerdings mit stark eingeschränkter Verfügbarkeit. Dreh muss in 48-Stunden-Slots über sechs Monate verteilt werden. Michelle Hunziker kann nur aus der Schweiz zugeschaltet werden und nie im selben Raum sein wie ihre Sketch-Partner:innen.
Erinnert voll an "LOL"!
Tag 15:
Erste Drehbuchfassung. Gags werden nach bewährtem Schema entwickelt: Der überengagierte Typ (Bürgermeister, Pfarrer, Fußballtrainer) übertreibt es. Die schrullige Alte macht was Unerwartetes. Der überkorrekte Typ verzweifelt an Alltagsritualen. Zwei ungleiche Partner (Polizisten, Zwillinge, Geschwister) streiten sich. Der Millennial versteht die analoge Welt nicht. Irgendwas mit Social Media und Wortwitz-Friseursalaons.
Redaktion ist beigeistert und gibt grünes Licht: "Erinnert voll an 'LOL'!"
Tag 43:
Drehstart. Uwe Ochsenknecht bekommt als Bürgermeister einen unnatürlich riesigen Vogelschiss ins Gesicht. Nach 17 Takes sitzt die Pointe immer noch nicht. Ochsenknecht schlägt vor, stattdessen was mit Heuschnupfen zu machen.
Tag 44:
Heino Ferch und Hannes Jaenicke drehen ihre Polizisten-Sketche. Verwechseln beim Wegflexen von der Straße penetrant Bauarbeiter mit Klimaklebern. Script-Girl flüstert: "Den Gag hatten wir schon mal mit den Mädels bei 'Queens of Comedy'." Wird ignoriert.
Parallel dazu macht sich Christine Neubauer vor Drehbeginn in der Kneipe auf Wikipedia schlau, wer eigentlich dieser "Michael Wendler" ist, zu dem sie gleich Pointen erzählen soll.
Schlecht animierte FX-Würste
Tag 89:
Michelle Hunziker hat endlich Zeit für ihre Szenen, allerdings nur per Zoom. Green Screen im Home Office funktioniert nicht richtig. Wird in der Postproduktion gefixt – hoffentlich. Die ist aber gerade noch damit ausgelastet, Linda Zervakis als Superheldin schlecht animierte FX-Würste auf woke Gegner:innen schießen zu lassen.
Bully Herbig sagt kurzfristig wieder ab, weil sich Stefan Raab für RTL die Exklusivrechte an seiner Person gesichert hat. Noch am gleichen Tag prahlt die RTL-Programmgeschäftsführerin auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz, die von ihr zusätzlich zu diesem Zweck bereit gestellten 45 Millionen seien "das Zweitsmarteste, was ich in meinem Leben gemacht habe".
Tag 132:
Cordula Stratmann dreht parallel noch zwei andere Comedy-Formate und verwechselt ständig ihre Rollen. Fragt beim Bestatterinnen-Sketch: "War ich hier nicht letzte Woche die Apothekerin? Oder war das Mirja Boes?"
Tag 156:
Jorge González' Akzent spricht die Namen seiner Schüler:innen als Austauschlehrer so souverän aus, dass die Kauderwelsch-Pointe absäuft. Wird in der Nachsynchronisation durch künstliche Unverständlichkeit nachgeschärft.
Es braucht noch was Musikalisches. Revolverheld-Sänger Johannes Strate wird engagiert, über Nacht einen Song über die Langweiligkeit von Dänemark-Urlauben zu schreiben und einzusingen, während die Praktikant:innen beim Location Scouting in Hamburg-Eppendorf eine Butze ausfindig machen, die skandinavisch genug aussieht, um die Reisekostenabrechnung nicht zu sprengen.
Mehr Blind Dates, Zwillinge, Tierausscheidungen
Tag 201:
Erste Rough-Cut-Sichtung. Produzent: "Irgendwie fehlt der Flow." Cutter: "Ich glaube, ein paar Wendler-Gags würden der Angelegenheit gut tun." Head-Autor schlägt vor, stattdessen mehr Sketche mit Blind Dates, Zwillingen und Tierausscheidungen einzubauen.
Die Continuity-Beaftrage erleidet einen spontanen Nervenzusammenbruch, als die Fußballer, denen Armin Rohde als Trainer Activity Tracker aufgeschwatzt hat, nach der Mittagspause ständig die dafür präparierten BHs falsch herum anziehen. Dreh-Unterbrechung wegen Notarzt-Einsatz.
Tag 212:
Nachdreh, weil sich das Material für den Sketch über den Clash der TV-Ermittlerteams aus Protest selbst gelöscht hat. "Soko Stuttgart" streitet wieder mit dem "Tatort"-Bremen, bis der "Polizeiruf 110" auftaucht und "Donna Leon" mit den anderen Formaten nachdrängelt – und Jan Josef Liefers als Überraschungs-Leiche einfach aufsteht, um auf dem Weg zum Catering sichtlich genervt zu fordern: "Alles dichtmachen!"
Tag 245:
Letzte Korrekturen. Der "Herr der Ringe"-Gottesdienst kollidiert mit einer fast identischen Szene bei "Gags – Comedy Deluxe". Wird umgeschrieben in "Game of Thrones"-Beichte. Keiner weiß, ob das besser ist.
Bloß klitzekleine Änderungswünsche
Tag 288:
Endabnahme. Sender ist hochzufrieden: "Das neue 'LOL'!" Zuständiger Redakteur hat bloß ein paar allerletzte klitzekleine Änderungswünsche: "Wie wär's, wenn die 'Deadly Sistas' vor der Geständnis-Folter darüber streiten, wie man 'Oregano' richtig ausspricht?"
Tag 289:
Erneuter Nachdreh.
Tag 322:
Premiere in der Mediathek steht kurz bevor. Euphorische Pressemitteilung zum "hochkarätigen Cast" mit preisgekrönten Schauspieler:innen, Top-Comedians und erfahrenen Moderator:innen, die in kuriose Rollen schlüpfen, ist ausformuliert und absendebereit.
Nur einer der Stars hat bisher alle Folgen gesehen. Seine Agentur prüft bereits die Exitklausel für Staffel zwei.
Redakteur aus dem Kultur-Ressort des "Spiegel" hat kopfschüttelnd ins Video-Preview auf der Das-Erste-Presseseite reingeschaut und beauftragt Anja Rützel per Kurzwahltaste mit einer Vorab-Kritik.
Jetzt noch: die Quoten
Tag 349:
Drei Wochen nach den ersten DWDL-Quotenmeldungen zum neuen Format, das im linearen Programm sang- und klanglos abgesoffen ist ("… vergrault Publikum ziemlich konstant“) kommt der Autor dieser Kolumne darauf, dass man eigentlich mal was Freches über Star-besetzte Sketch-Comedys schreiben müsste, in denen immer dieselben Gags mit schlechtem Timing gemacht werden. Hat aber keine gute Idee dafür.
Und damit: zurück nach Köln.
"Smeilingen" läuft freitags um 21.45 Uhr im Ersten und in der ARD Mediathek. "Gags – Comedy Deluxe" ist ebenfalls in der Mediathek zu sehen.