Wenn man mal kurz nicht in den tiefen Krater reinsieht, den das Ampel-Aus in der zurückliegenden Woche im politischen Berlin hinterlassen hat, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer noch die größte Medienbaustelle des Landes: An allen Ecken und Enden wird gewerkelt, geschraubt und saniert, um ARD und ZDF für die digitale Zukunft fit zu machen. Kritiker:innen und Befürworter:innen diskutieren, welche Maßnahmen es dafür braucht und was das alles kosten darf (siehe dazu auch den DWDL.de-Vorschlag zur Spartensender-Reform mit "Vernunft & Effizienz").
Nur darüber, ob die Architekt:innen dieses Prozesses der Herausforderung überhaupt gewachsen sind, wird erstaunlich selten gesprochen.
Dabei ist es ja die Aufgabe der Politiker:innen in den Ländern, ARD und ZDF ein neues Fundament zu gießen, das nicht schon wieder nach wenigen Jahren zu bröckeln beginnt. Nun passiert endlich was. Aber trotzdem können sich die Entscheider:innen immer nur dazu durchringen, erstmal die Fassaden neu zu streichen, damit alles etwas schicker aussieht.
Nicht umsonst zehn Monate Gedanken gemacht
Der gerade beschlossene Reformstaatsvertrag ist dafür das allerbeste Beispiel: ein paar Spartensender weniger hier, eine Kürzung der Radiowellen da, bei Sportrechten wird gespart, vielleicht aber auch nicht – und freie Fahrt im Internet gibt's für die Sender ohnehin keine, sonst drehen die konkurrierenden Verleger am Rad.
Dabei hatte die Politik eigens einen "Zukunftsrat" mit Änderungen für ARD und ZDF beauftragt, dessen Empfehlungen seit Beginn des Jahres vorliegen (DWDL.de berichtete).
Das Allerwenigste davon scheint die Politik sich und den Sendern aber tatsächlich zumuten zu wollen. In einer Deutschlandfunk-Debatte bezeichnete Conrad Clemens, der medienpolitische Koordinator der CDU/CSU-regierten Länder, es in der vorvergangenen Woche als "von vornherein etwas unrealistisch", dass man dem Vorschlag hätte folgen können, innerhalb der ARD eine gemeinsame Geschäftsstelle zu installieren, um Vielfachstrukturen zu reduzieren. Da half es auch wenig, dass Zukunftsrat-Mitglied Maria Exner in derselben Debatte einwarf: "Man macht sich als Expertengremium ja nicht umsonst zehn Monate Gedanken, wie es besser gehen könnte."
Seit längerem keine Fernbedienung mehr in der Hand
Die Diskussionen der vergangenen Wochen haben vor allem eines gezeigt: Zentrale Akteur:innen der deutschen Medienpolitik haben keinerlei weitreichende Vision für einen zeitgemäßen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Einen, der Zielgruppen über viele Ausspielwege hinweg erreichen kann und nicht konstant Gefahr läuft, an seiner Eigenverwaltung zu ersticken.
Stattdessen wird weiter mit maximaler Lautstärke geschimpft, verallgemeinert und gestritten.
Auf den Münchner Medientagen polterte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gerade gegen die von der unabhängigen KEF festgelegte Beitragserhöhung. Und musste sich nachher darauf hinweisen lassen, dass das von ihm kritisierte angeblich so merkwürdige Verfahren eine Erfindung der Länder selbst gewesen ist.
Als Söder vor vier Jahren im "Zeit"-Interview über die Zukunft des Systems sprach, konnte er seine Pauschalkritik an den Sendern auch nach mehrmaliger Nachfrage nicht konkret benennen. Nach der Klage über "den hundertsten Degeto-Spielfilm (…) wie 'Glück am Wörthersee' oder so ähnlich" musste er auf die einfache Frage, welche ARD-Sendung seine liebste sei, erst lange überlegen – und erklärte dann: "früher" mal die "Sportschau", bei 3sat (das vom ZDF koordiniert wird) "die sehr guten Wagner-Aufführungen aus Bayreuth" bzw. "die eine oder andere Polittalkshow". Zu Beginn des Jahres fand Söder, Phoenix und ZDFinfo seien "kaum voneinander zu unterscheiden" – und offenbarte damit endgültig, dass er schon seit längerem keine Fernbedienung mehr in der Hand gehabt haben kann.
Der "Musikantenstadl" lebt!
Seine Mitgliedschaft im ZDF-Verwaltungsrat hatte Söder Ende 2023 niedergelegt, "da umfangreiche Verpflichtungen in Bayern eine weitere Tätigkeit leider nicht zulassen". Zuvor hatte er bereits seine Kontrollfunktion im ZDF-Fernsehrat eher so mittelernst genommen, wegen "wichtiger Termine".
Söders Kollege aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, positionierte sich schon vor vier Jahren als Meinungsführer in der Debatte über eine notwendige Beitragssenkung (und sorgte durch die Weigerung des Landtags, der vorigen KEF-Empfehlung zuzustimmen, für den Gang der Sender vors Bundesverfassungsgericht). Als Kenner der Materie erwies er sich in der Vergangenheit aber auch nicht unbedingt und ärgerte sich – ebenfalls im Gespräch mit der "Zeit" – im vergangenen Jahr noch über den "Musikantenstadl", der seit 2015 abgesetzt ist. Haseloff kritisierte zudem, dass die hohe Anzahl an Krimis bei ARD und ZDF den "Alltag in der Bundesrepublik" nicht widerspiegele – was als Argument nur funktioniert, wenn man sonst lieber nicht so genau hinsieht (anders als z.B. DWDL.de hier).
Auch andere medienpolitische Gestalter:innen glänzen nicht unbedingt durch Nachvollziehbarkeit. Heike Raab, SPD-Politikerin und Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, musste sich im vergangenen Jahr dafür entschuldigen, dass sie sich auf offiziellem Briefpapier der Landesregierung beim SWR über dessen Berichterstattung beschwert hatte (DWDL.de berichtete). Und demonstrierte damit, wie fremd ihr offensichtlich selbst elementare Prinzipien der Rundfunkordnung sind.
Das reicht so alles nicht
Ausgerechnet diese Akteur:innen sollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fit für die digitale Zukunft machen? Politiker:innen, die mit den Inhalten des Systems nur minimal vertraut sind, die grundlegende Strukturen nicht verstanden haben und im Zweifel lieber den Regionalproporz verteidigen, anstatt eine Neustrukturierung anzugehen, die diesen Namen verdient hätte?
Dabei hatte der Referentenentwurf z.B. für den neuen ARD-Staatsvertrag schon deutlich weitreichendere Änderungen vorgesehen, darunter eine zentrale ARD-Einheit für Infrastruktur und Verwaltung. Engelbert Günster, Vorsitzender der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) prognostizierte aber bereits im August in der "Süddeutschen", dass die Ministerpräsident:innen "zurzeit nicht mutig genug" seien, das umzusetzen – schon weil sich niemand später den Stellenabbau im eigenen Bundesland vorhalten lassen wolle.
Genau so ist es gekommen. Im DWDL.de-Interview bemängelt Günster anschließend, dass es sich die Politik zu einfach mache und bei ihren Reformen die Modernisierung von Struktur und Angebot zu sehr mit einer beabsichtigten Beitragssenkung vermenge: "Beides hängt miteinander zusammen, man muss es aber trotzdem getrennt betrachten."
Und der Zukunftsrat meldete sich mit der Einordnung, dass das von der Politik erarbeitete Federführungsprinzip "nicht ausreicht, um die evidenten Strukturdefizite der ARD zu beseitigen".
Noch ein bisschen übern Beitrag streiten
Die Eigenwahrnehmung der Politik ist freilich eine andere: Gegenüber der "FAZ" vermied der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer zwar gerade, neue Warnungen an ARD und ZDF zu formulieren – er verteidigte das mitbeschlossene Reform-Kleinklein aber zugleich als großen Wurf.
Dabei offenbart sich die mangelnde Gestaltungskraft der Medienpolitik nirgends deutlicher als beim Dauerstreit ums Geld. Bei ihrem letzten Treffen haben die Ministerpräsident:innen noch keine finale Entscheidung über die künftige Festlegung des Rundfunkbeitrags getroffen. Die Beteiligten beteuern, das Mitte Dezember nachholen zu wollen – womöglich, um dabei ein indexbasiertes Modell auf den Weg zu bringen, das ab 2027 greifen könnte. Aber selbst wenn das passiert, müssen die Landtage alldem noch zustimmen, was keineswegs sicher ist.
Und auch dann wird sich die Diskussion kaum erledigt haben. Es sei denn, ARD und ZDF ließen sich tatsächlich darauf ein, erstmal mit Rücklagen und Bordmitteln ins Ungewisse zu segeln, anstatt erneut vors Verfassungsgericht zu ziehen und Klarheit zu erwirken. Bei der ARD hat man bereits dezent die Möglichkeit einer "juristischen Prüfung" fallen gelassen. Und die KEF hat klar gemacht, dass alle geplanten Reformen zumindest kurzfristig nicht zu wesentlichen Einsparungen führen werden.
So dürfte der anhaltende Streit über den Beitrag jegliche Form struktureller Erneuerung überlagern, obwohl genau die so wichtig wäre (und sich daraus automatisch Einsparpotenziale ergäben).
Ein Bauplan mit neuen Grundrissen
Fakt ist: Die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt in den Händen von Leuten, die im Zweifel nicht mal annähernd sagen können, was eigentlich gerade im Fernsehen läuft (geschweige denn in der Mediathek). Als handelnde Akteur:innen nehmen sie den Reformdruck wahr, reagieren bislang aber nur mit Symbolpolitik.
Die Sender geben sich öffentlich zwar reformwillig – warten in vielerlei Hinsicht dann aber doch erst ab, anstatt proaktiv zu handeln. Und am Ende wird echte Innovation durch gegenseitige Blockade verhindert. (Wissen Sie noch, was nachher los war, als SWR-Intendant Kai Gniffke mit dem Gedanken spielte, SWR und SR enger zusammenrücken zu lassen?)
Wenn man der Situation etwas Positives abgewinnen wollte, dann vermutlich: dass es bislang – anders als im Bund – nicht zum ganz großen Knall gekommen ist. Stattdessen versandet die medienpolitische Restambition eher in Zeitlupe. Und trotzdem verlieren auf diese Weise alle: Die Öffentlich-Rechtlichen entwickeln sich nicht so zügig weiter, wie sie es müssten; die Politik wird zunehmend unglaubwürdig; und die Gesellschaft wartet weiter auf die Transformation des Mediensystems, das sie bezahlt.
Es wird allerhöchste Zeit, dass endlich jemand einen Bauplan entwirft, in dem zentrale Grundrisse sichtbar werden – bevor die Medienpolitik damit beginnt, neue Tapetenmuster auszusuchen und sich gegenseitig zu ihrer Handwerkskunst zu gratulieren.
Und damit: zurück nach Köln.