Immer wenn der Schwiegersohn aus Deutschland mit dem Kamera-Team im Schlepptau anrückt, wissen die Schwiegereltern im "Swing State" Wisconsin schon Bescheid: Ihr Heimatland steht wieder kurz davor, irgendeine folgenschwere Entscheidung zu treffen, die man den Zuschauer:innen im fernen Europa grundlegend erklären muss.

So war es vor vier Jahren. Und so ist es auch heute.

2020 hat "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni seine US-amerikanische Familie zum ersten Mal als Seismograf für die politische Stimmung im Land genutzt und mit "Trump, meine amerikanische Familie und ich" eine ungewöhnlich persönlich geprägte Reportage abgeliefert. Das war nicht nur eine charmante Idee, sondern half tatsächlich dabei, die Stimmung im Land greifbarer werden zu lassen, als das sonst in regulären Nachrichtensendungen der Fall ist. Vier Jahre später exakt dieselbe Reportage nochmal zu drehen, war trotzdem keine allzu gute Idee.

Alles genauso wie vor vier Jahren

Erneut sitzt Zamperoni mit Schwiegermutter Lynn auf den roten Klappstühlen am See, bevor es mit ihrem neuen Partner aufs Wasser geht; wieder kullern die Tränen. Schon die Begrüßung vor der Garage fiel zuvor exakt genauso aus wie damals, diesmal nur ohne Corona-Maske.

Zum wiederholten Mal argumentiert der Schwiegervater in North Carolina mit seiner Tochter in der Küche, ob Republikaner oder Demokraten besser für das Land sind. Zamperoni hält sich fein raus und ist schon froh, dass die Familie überhaupt noch miteinander redet.

Dazwischen fährt er quer durchs Land: zum Trump-Hardliner Kid Rock in dessen Tennessee-Cowboystadt; zum Cousin seiner Frau in die "Gayborhood" von Chicago; er spricht mit dem Exil-Deutschen Jürgen Klinsmann beim Sonntagmorgen-Kick mit dem Ältere-Herren-Verein FC Salsa; beobachtet eine Pro-Trump-Demo in Kalifornien; und macht sich ein eigenes Bild von den Grenzschutzbemühungen an der texanisch-mexikanischen Grenze. Die Stationen seiner Reise sind so vielfältig wie austauschbar – weil sie am Ende bloß bestätigen, was wir eh schon wissen: dass es eigentlich zwei Amerikas gibt. Stadt und Land, Religiöse und Liberale, Trump-Fans und Gegner. Zwischen den Stationen gibt es "nachdenkliche Gitarrenmusik" (Untertitel-Auskunft), und zum Fazit am Ende des Films läuft exakt derselbe Song wie beim ersten Mal.

Brav die Schuhe ausgezogen

Mit dem Unterschied, dass Zamperoni diesmal auch noch das Pech hatte, dass einige der Gespräche längst abgedreht waren, als mit Trump-Attentat, Biden-Stotterauftritt und Demokraten-Neunominierung spät nochmal ungeahnte Bewegung in den Wahlkampf kam.

Das Déjà-vu rundherum ist kein Zufall, sondern symptomatisch für ein Dilemma, das derzeit viele TV-Reportagen plagt: Die Suche nach Authentizität scheint wichtiger zu sein als neue Erkenntnisse zu liefern.

Das zeigt sich auch bei RTL, wo Ex-"RTL aktuell"-Anchor Peter Kloeppel gerade versprach, die vermeintliche Flüchtlingskrise zu durchleuchten – dafür aber vor allem seinen Namen und nur sehr begrenzt eigenen Einsatz zur Verfügung stellte.

Während das RTL-Reporterteam durch Mecklenburg-Vorpommern reiste, um Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte zu dokumentieren, und in der Türkei mit versteckter Kamera Schleuser traf, beschränkte sich Kloeppel auf einen Kurzausflug in eine hessische Containerunterkunft. Dort zog er sich brav die Schuhe aus, um auf dem Bett einer afghanischen Ingenieurin Platz zu nehmen und ihr zuzuhören sowie vorher noch mit dem örtlichen Sozialdezernenten zu sprechen, der davor u.a. schon im ZDF ("Gemeinden unter Druck – Wohin mit den Flüchtlingen?"), bei "stern tv" ("Überlastete Städte und Kommunen: Haben wir eine neue Flüchtlingskrise?") und im Sat.1-Regionalmagazin interviewt wurde.

Containerdorf statt Greenscreen

Das ist immerhin ein kleiner Fortschritt zum vorherigen Film der Reihe, die bis dahin noch "Peter Kloeppel Durchleuchtet" hieß – was aber auch schon einer mittleren Realitätsdehnung gleichkam, weil Kloeppel bei der Auflistung dessen, was in Deutschland gerade angeblich "alles schief läuft" (Fachkräftemangel, Bürokratie usw.) bloß vor der Greeenscreen stand, um Statistiken zu referieren und Anmoderationen einzusprechen.

Was er diesmal vor der echten Containerdorfkulisse erledigen konnte.

Dass RTL seinen Star-Moderator nicht in potenziell gefährliche Situationen schicken will, wo er mit seiner Prominenz womöglich vom eigentlichen Thema ablenken würde, ist verständlich. Aber natürlich hätte es einen Unterschied gemacht, wenn Kloeppel selbst die Bürgerinitiative im mecklenburgischen Ziesendorf nach deren Ängsten gefragt hätte. Oder wenn er es (beim vorigen Mal) nicht dem Kollegen Thorsten Schorn überlassen hätte, kurzzeitig in die Rolle des Gas-Wasser-Installateurs und der Restaurantbedienung zu schlüpfen.

Fremdenführer durch gesellschaftliche Krisengebiete

Beide Reportagen wurden mit großem Aufwand produziert und wissen Probleme unserer Zeit hervorragend zu illustrieren. Die RTL-Reportage – die eigentlich den Titel "Team Kloeppel" verdient hätte – liefert zudem interessante Einblicke in den Alltag ganz unterschiedlicher Gruppen: den der Flüchtlinge, die teilweise monatelang versuchen, über die Balkanroute nach Europa zu fliehen; den der Sachbearbeiter:innen in den Ausländerbehörden, die sich durch komplizierte Gesetzesvorlagen schlagen müssen; und den der Bundespolizist:innen, die für ihren Einsatz bei den kostenintensiven Abschiebe-Flügen trainieren, die so viele Politiker:innen intensiveren wollen. In dieser Dichte hat es das im deutschen Fernsehen bislang wahrscheinlich noch nicht gegeben.

Die Reportagen zeigen zugleich, wie sehr das Fernsehen derzeit mit sich selbst hadert: Weil letztlich nicht diese Inhalte im Vordergrund stehen, sondern prominente Anchors, die als eine Art Fremdenführer durch gesellschaftliche Krisengebiete tingeln.

Die Formate verkommen dabei zu Star-Safaris, bei denen vertraute Gesichter altbekannte Narrative bestätigen müssen: hier der "Kulturkampf, der das Land spaltet" und der "Riss durch Amerika" (Zamperoni), dort das "Land voller Sorgen" (Kloeppel) – als gäbe es zwischen Trump-Fans und Trump-Gegnern, zwischen wütenden Bürgerversammlungen und überforderten Kommunen keine Zwischentöne.

Persönliche Betroffenheit und Einzelschicksale

Die Moderatoren erfüllen damit zuverlässig die Erwartungen an ihre Reportagen – und verpassen die Chance, hinter die Fassade dieser allzu simplen Erklärungsmuster zu schauen.

Das liegt auch daran, dass sich die Produktionen längst in ihren eigenen Konventionen verfangen haben und an bewährte Muster klammern: persönliche Betroffenheit, exemplarische Einzelschicksale, eine aufwändige Bebilderung des schon Bekannten. Aus Angst davor, das Publikum könnte sonst nicht einschalten, scheint die Formatierung wichtiger als der Erkenntnisgewinn.

Dabei gäbe es ja viele Alternativen: Zamperoni könnte seine journalistische Expertise nutzen, um die strukturellen Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft seit der vergangenen US-Wahl zu analysieren – anstatt wieder nur Symptome zu sammeln. Und statt Kloeppel durch handverlesene Flüchtlingsunterkünfte zu schicken, könnte RTL die monatelange Recherche seiner Reporter:innen in den Mittelpunkt stellen.

Am Ende der beiden Reportagen bleibt nun die Erkenntnis: Amerika ist noch genauso gespalten wie vor vier Jahren. Und die Flüchtlingskrise lässt sich nicht im Schnelldurchlauf lösen. Aber das hätte uns vermutlich auch jemand erzählen können, der dafür nicht erst seine Schwiegereltern besuchen oder die Schuhe im Container ausziehen musste.

Und damit: zurück nach Köln.

Das Erste zeigt "Wirklich nochmal Trump, Amerika?" mit Ingo Zamporoni am Montag um 20.15 Uhr und jetzt schon in der ARD Mediathek; "Peter Kloeppel: Wie lösen wir die Flüchtlingskrise?" ist bei RTL+ abrufbar.