Klingeling, da stehen zwei Herrschaften mit merkwürdigen Mützen und orangefarbenen Klemmbrettern vor der Haustür und drohen nach erfolgter Türöffnung: "Guten Tag! Wir möchten heute mit Ihnen über Ihren Fernseher sprechen." Es sind die Zeugen Antons, und sie bringen die frohe Kunde der TV-Revolution!

Vor allem aber wollen sie wissen: Gibt's in Ihrem Haushalt einen internetfähigen TV-Stick oder wandeln Sie noch im Schatten des Kabelanschlusses? Wird Ihre Lieblingsserie live oder auf Abruf gesehen? Welche anderen Streaming-Dienste haben Sie neben dem ZDF? Und: "Wie fändest Du eine Taste für die ZDFmediathek auf Deiner Fernbedienung?"

All das (und noch viel mehr) fragte das Zweite Deutsche Fernsehen vor wenigen Wochen die Mitglieder seiner Online-Community "ZDFmitreden", um besser zu verstehen, wie die ihr Bewegtbildpensum konsumiert.

Bloß halt, ohne dafür an der Tür zu klingeln. Sondern ganz unaufdringlich: per E-Mail.

52.000 Co-Programmdirektor:innen

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass der Marktführer unter den linearen Programmanbietern in Deutschland dazu aufrief, sich für regelmäßige Umfragen zu Det und der Welt anzumelden. Das Ziel: ein "bundesweites Onlinepanel für den Dialog mit dem Publikum", um "direkten, ungefilterten Input" für ein "ZDF für alle" zu erhalten (DWDL.de berichtete). Einzige Voraussetzung: Anmelder:innen müssen mindestens 16 Jahre alt sein und ihren Wohnsitz in Deutschland haben.

50.000 Nutzer:innen wollte man in Mainz mittelfristig gewinnen, um "ein Bindeglied zwischen der Gesellschaft und dem Unternehmen ZDF" zu schaffen. Dieses Ziel ist längst erreicht: Seit kurzem sind es nach eigenen Angaben sogar ein paar mehr (52.000; Stand: August).

Vier- bis sechsmal monatlich erhalten die Community-Mitglieder derzeit elektronische Post vom Sender, der dann zum Beispiel als Ergänzung fürs nächste "moma duell" wissen will: Sollte die Afd verboten werden? Und: Braucht Deutschland dauerhafte Grenzkontrollen? Oder: Wie gefällt dir die Pilotfolge des geplanten neuen "heute journal"-Podcasts? Lassen sich die Empfehlungen und Vorschläge von Filmen, Serien und anderen Videos in der ZDFmediathek verbessern? Und wie soll die neue ZDFneo-Sitcom heißen?

Wer entscheidet über die "Rosenheim Cops"?

Dabei wird konsequent geduzt – und sicherheitshalber immer dazu erklärt, warum, wir sind ja beim ZDF ("ZDFmitreden versteht sich als Gemeinschaft, in der wir vertrauensvoll Meinungen austauschen. Daher finden wir das 'Du' passend").

Der Sender profitiert, indem er Anregungen zur Programmoptimierung erhält, besser verstehen lernt, welche Inhalte bei welchen Altersgruppen auf Akzeptanz stoßen, und indem er bestehende Formate mit aktuellen Meinungsbildern anreichern kann, ohne sich dabei auf klassische Umfrageinstitute verlassen zu müssen.

(Als ZDFmitreden-Mitglied muss man zur Anmeldung man einige grundlegende Informationen zur eigenen Demografie rausrücken. So lässt sich in Mainz besser einordnen, ob gerade die Großmutter oder die Influencerin über die Zukunft der "Rosenheim Cops" entscheidet.)

Gleichzeitig verspricht der Sender seinem "Meinungsbarometer", stets einen Rückkanal offen zu halten: Einmal im Monat gibt es einen E-Mail-Bericht, in dem aufgelistet wird, welchen Effekt die Umfragen-Erkenntnisse auf Verantwortliche hatten, wo sie konkret in Programmentscheidungen eingeflossen sind und welche interessanten Einzelmeinungen geäußert wurden.

Einfluss auf Detailfragen

Für regelmäßige Zuschauer:innen der "Giovanni Zarrella Show" ist zum Beispiel der Live-Charakter der Sendung äußerst wichtig, sie halten den Namensgeber für authentisch, wollen aber in Zukunft lieber keine Zauberkünstler oder Illusionisten in der Sendung sehen. Mit ihren Ansichten zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland waren Community-Mitglieder bei Christian Sievers in der Sendung "Wie geht's, Deutschland?". Und die Fans von "Die Bergretter", "Bergdoktor" & Co. schalten die Serien vornehmlich wegen der schönen Landschaftsaufnahmen ein, haben aber auch weiterführende Wünsche: Claudia wünscht der Serienrolle von Hans Sigl baldige "Hochzeit und Familienglück", Tonia hätte gerne lieber "modernere Rollenbilder, interessantere Krankheiten, komplexere Geschichten, die nicht so seicht und vorhersehbar sind".

Wie nachhaltig das am Ende ist, lässt sich von außen ähnlich schwer abschätzen wie das Datum des nächsten "Wetten dass…?"-Reanimationsversuchs. (Weitere Ergebnisse stehen hier.)

Einerseits hat die Community durchaus Einflussmöglichkeiten, besonders bei Detailfragen und der Feinjustierung von Formaten: Soll das neue Musikformat, das Stars wie Max Giesinger in die Mongolei und Alice Merton nach Island schickt, um dort mit Musiker:innen vor Ort "gemeinsam eine neue Fassung ihres größten Hits zu kreieren", wirklich "Kollabo" heißen – oder ist "Song Trip" besser? Welche fiktive Episode der neuen Dokureihe "Geschieden mit 30" würde die Community am ehesten einschalten? Und die "WISO"-Redaktion hat für ihre wöchentliche Sendung am Montagabend eine Rubrik namens "Kann das weg?" entwickelt, in der es zuerst um Schufa, Deutschland-Ticket und private Krankenversicherung gehen soll. Gibt's jemanden, der Lust hätte, seine Meinung vor der Kamera auszuführen?

Rückkanal für die Programmbewerbung

Andererseits ist der Einfluss bei ZDFmitreden auf grundlegende Programmentscheidungen stark begrenzt. Kein Wunder: Während eifrig die Feinheiten der nächsten Quizshow ausdiskutiert werden, bleiben die wirklich kniffligen Fragen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ungestellt.

Dabei läge es durchaus nahe, sich von Zeit zu Zeit auch auf dieses Terrain zu wagen, um die aktuelle Diskussion zur Zukunft von ARD und ZDF zu bereichern: Sollten wir unser Angebot breiter aufstellen oder uns auf weniger, dafür intensiver recherchierte Formate konzentrieren? Oder: Wie stehst du zum aktuellen Finanzierungsmodell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Welche Alternativen würdest du bevorzugen? Oder: Wie können wir jüngere Zielgruppen besser ansprechen, ohne unsere Kernaufgaben zu vernachlässigen? Oder: Welches Verhältnis zwischen Unterhaltung und Information wünschst du dir in unserem Programm?

Da ist es natürlich einfacher, die Leute zu fragen, was sie eigentlich von Halloween halten, um anschließend ein paar Einzelmeinungen zu referieren – bevor sich rausstellt, dass damit bloß die neue ZDFneo-Vampirserie "Love Sucks" empfohlen werden sollte, in deren "Bewerbung" die Erkenntnisse eingeflossen sind.

(Keine Ahnung, inwiefern das dem Anspruch gerecht wird, "die Inhalte des ZDF noch besser [zu] machen".)

Lichter-Fans bewerten Influencer:innen-Doku

Vieles an ZDFmitreden ist bloß Abfrageroutine: Wie fandest du die EM? Wie fandest du Olympia? Was findest du an unseren WhatsApp-Kanälen gut? Der Sender kann seinen Redaktionen die Suche nach geeigneten Protagonist:innen für geplante Beiträge erleichtern. Oder – im Idealfall – Perspektiven ergänzen, die andernfalls womöglich zu kurz gekommen wären.

Gleichzeitig ist es eine kuriose Vorstellung, dass "Bares für Rares"-Stammzuseher:innen plötzlich darüber urteilen sollen, welche Doku der neuen Influencer:innen-Alltagsdoku "POV: Mein geteiltes Leben" demnächst in der Mediathek zu sehen sein soll: "Du heiratest Deinen Sugar Daddy", "Du bist ein Girl Boss" oder "Du bist ein Nepo Baby"? Aber vielleicht zeigt das auch bloß die Schwierigkeit, ein Programm zu gestalten, das wirklich alle Zuschauer:innengruppen gleichermaßen ansprechen und einbeziehen soll.

ZDFmitreden als nachgelagerte Abnick-Clique abzustempeln, die bloß zuvor schon getroffene Entscheidungen durchwinken soll, wäre trotz aller Kritik ungerecht.

"Modernere Rollenbilder" für den "Bergdoktor"?

Derzeit wirkt die Initiative eher wie ein Kompromiss aus echter Publikumsbeteiligung und gelenkter Marktforschung, wie sie bei den Sendern ohnehin schon Usus ist (und teilweise von Kreativen gefürchtet wird, wenn die ihre Inhalte im Zweifel danach ausrichten müssen). Die Umfragen dürften dem Sender auch wertvolle Eindrücke und Daten liefern, die sich in redaktionellen Entscheidungen spiegeln lassen.

Ob es deswegen im "Bergdoktor" bald wirklich "modernere Rollenbilder, interessantere Krankheiten [und] komplexere Geschichten" gibt, würde ich dennoch stark bezweifeln.

Nichtsdestotrotz ist ZDFmitreden ein guter Ansatz: weil man als Bewegtbildproduzent schon längst nicht mehr nur stur vor sich hinsenden kann, sondern auch auf Empfang schalten muss; und weil das alles nützlich dabei sein kann, ein System aufrecht zu erhalten, das auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen ist.

Das ZDF will zuhören

Von einer umfassenden Demokratisierung der Programmgestaltung ist man in Mainz mit seinem Meinungsbarometer zwar weit entfernt. Es sagt aber ja auch niemand, das alle Gewalt der Programmgestaltung alleine bei den Beitragszahlenden liegen sollte.

ZDFmitreden ist der anerkennenswerte Versuch, dem Publikum mehr als nur die Fernbedienung zur Beeinflussung des von ihm finanzierten Programms in die Hand zu geben. Das ZDF will zuhören. Jetzt muss es sich nur noch trauen, auch mal Fragen zu stellen, deren Antworten im Zweifel weh tun könnten.

Und damit: zurück nach Köln.

Wer bei ZDFmitreden mitreden will, kann sich hier anmelden.