Frau Ulmen-Fernandes, wann fühlen Sie sich im Fernsehen gut unterhalten? 

Wenn mich Formate überraschen! Ich arbeite seit 25 Jahren in dieser Branche, habe viele Ablaufpläne gesehen und war selbst in vielen Bereichen unterwegs – von Dokumentationen bis hin zu Unterhaltungsformaten. Dadurch kenne ich gewisse Muster und Strukturen, nach denen das Fernsehen funktioniert. Vieles davon fühlt sich leider so an, als habe man das alles schon einmal gesehen. Deshalb freue ich mich immer, wenn sich die Verantwortlichen neue Herangehensweisen ausprobieren. Das tun sie allerdings nach meinem Eindruck immer häufiger, aber für meinen Geschmack noch immer viel zu wenig. 

Auffällig ist, dass in diesem Jahr in der Show-Kategorie ausschließlich Formate nominiert sind, die es auch früher schon gab. Hat Ihnen das Neue nicht gefallen? 

Der Fernsehpreis ist gelebte Demokratie. Nicht immer bin ich mit der Auswahl einverstanden. In dieser Kategorie haben wir jedoch überaus starke Nominierte, finde ich. Sie dürfen nicht vergessen, wie schwierig es ist, langlaufende Formate immer wieder neu zu erfinden. Es ist doch schon ein Wert an sich, wenn Sendungen über viele Jahre hinweg populär bleiben, auch wenn man sie schon so häufig gesehen hat.

Gleichzeitig gibt es in der Reality eine ziemlich große Bandbreite – von "Alone" über "Kaulitz & Kaulitz" bis hin zu den "Verrätern". Es ist noch dazu nicht ein Format dabei, das leicht bekleidete Menschen am Strand zeigt. Wird das Genre Reality unterschätzt? 

Wir bewerten nicht den Busen der Kandidatinnen, sondern das Fernseh-Handwerk. Bei den Produktionen, die ich beurteile, achte ich darauf, wie sie inszeniert sind, ob das Storytelling überzeugt und wie kreativ der Schnitt ist. Am Ende ist es dabei völlig egal, wie nackt oder angezogen die Menschen vor der Kamera sind. Das ist doch auch das Schöne beim Fernsehpreis: Wir schließen keine Genres aus, sondern bilden das Fernsehen in all seiner Vielfalt ab, von der politischen Dokumentation bis hin zu Reality-Formaten, auch wenn die Zuordnung manchmal gar nicht so einfach ist. 

Stellen Sie diesbezüglich Veränderungen fest? 

Wir spüren tatsächlich, dass sich viele Formate oft gar nicht mehr so klar voneinander abgrenzen lassen. Ich erinnere mich an einige Diskussionen darüber, ob ein Format Factual oder Reality ist, ob es sich um Infotainment handelt oder eher Comedy. Wie lustig darf Infotainment sein? Hat der Informationsgehalt überwogen oder der Witz? Diese Grenzen verschwimmen immer mehr. 

Das ist doch ein Ausdruck von Kreativität, oder? 

Absolut. Ich finde es gut, wenn die Genre-Grenzen verschwimmen. Auf diese Weise werden die Formate innovativer und laufen nicht nach den immergleichen Schemata ab. Von diesem Mut wünsche ich mir in der Branche generell noch sehr viel mehr. 

In wenigen Tagen findet bereits die Preisverleihung statt. Haben Sie nach all den Sichtungen erstmal genug vom Fernsehen? 

(lacht) Ich habe mehrere hundert Stunden Filme, Serien, Dokus und Shows gesichtet, auf Schnitt, Inszenierung, Kameraführung geachtet, Notizen gemacht, nochmal im Vergleich geschaut. Nach so vielen Stunden vor dem Fernsehgerät will man irgendwann einfach nur noch ein Buch lesen. 

Frau Ulmen-Fernandes, vielen Dank für das Gespräch.