Frau Niehaus, Sie sind in diesem Jahr schon zum dritten Mal Teil der Fernsehpreis-Jury. Hat sich Ihr Blick auf das Fernsehen durch diese Arbeit verändert?
Mein erstes Jahr in der Fernsehpreis-Jury hat mir regelrecht die Augen geöffnet über die Arbeit im Fernsehen. Ich bin zwar selbst schon seit mehr als 30 Jahren in dieser Branche unterwegs, aber meistens schaut man ja doch nur auf seinen eigenen Bereich. Die Information und Unterhaltung in den Fokus zu rücken und das Fernsehen als Ganzes zu begreifen, hat mich – ohne Witz – tief berührt. Mir ist seither mehr denn je bewusst geworden, dass wir die Menschen mit dem Fernsehen, im Unterschied zum Kino und Theater, nicht nur in ihren intimsten Räumen, sondern auch in ihren einsamsten und geselligsten Stunden erreichen. Das ist eine große Verantwortung.
Sehen Sie heute anders fern als vor ein paar Jahren?
Tatsächlich habe ich zuhause immer einen Zettel liegen, um mir Notizen über meine Beobachtungen zu machen – in der Hoffnung, mir die Arbeit dadurch etwas zu erleichtern, was allerdings nur bedingt funktioniert. (lacht) Gerade jetzt, in der Phase, in der wir die Entscheidung treffen, muss man dann doch noch einmal alle Produktionen ansehen und sie in Relation zueinander setzen.
So viele Serien wie in diesem Jahr waren noch für den Fernsehpreis nominiert. Was sagt diese Vielzahl an Produktionen über das deutsche Fernsehen aus?
Diese Vielfalt, die wir aktuell im deutschen Fernsehen erleben, ist wunderbar. Mich freut es, dass die Öffentlich-Rechtlichen endlich in großer Stückzahl nachziehen, nachdem die Streamer schon vor einigen Jahren mit neuen Erzählweisen für uns alle sehr belebend und inspirierend waren. Dass sich alle gegenseitig befruchten, finde ich wahnsinnig toll. Ich persönlich habe schon immer gerne Serien geschaut, weil ich von einer Story nie genug bekommen konnte, und ich genieße es, wenn die Figuren tiefgründig erzählt und die Welten detailreich gestaltet sind. Das ist, wenn es richtig gut gemacht ist, wie ein Nachhausekommen und erweitert sogar den Horizont. Dennoch sollten wir darauf achten, die Fernsehfilme nicht zu verlieren. Bei aller Serien-Euphorie müssen wir es auch aushalten, dass eine Geschichte einen Anfang und ein Ende hat. Diesen Schmerz – im positiven Sinne – sollten wir uns nicht ersparen.
"Die sich verändernde Welt muss sich abbilden in dem, was wir betrachten."
Ein Stück weit stehen die diesjährigen Nominierungen im Kontrast zu den größten Publikumserfolgen im Linearen. Da dominieren nämlich weiterhin die Krimis. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz?
Selbstverständlich gehen wir in der Jury nicht absichtlich an erfolgreichen Formaten vorbei. Auch sie haben ihren Wert und ihre Berechtigung. Gleichzeitig zeichnen wir jedoch nicht zuletzt die Innovationen aus und bewerten den Mut, Geschichten auch mal anders zu erzählen. Wir wollen gesellschaftlich relevante Stoffe; wollen, dass Diversität, die wir uns im gesellschaftlichen Kontext hart erarbeitet haben, darin vorkommt. Die sich verändernde Welt muss sich abbilden in dem, was wir betrachten. Das ist sicher nochmal ein anderer Anspruch als ihn die Privatperson zuhause hat, wenn sie abends nach Feierabend gerne einen Krimi einschaltet.
Stellen Sie, was Ihre eigene Arbeit angeht, inzwischen ebenfalls Veränderungen fest – etwa, was die Stoffe angeht?
Dadurch, dass ich mich in Richtung Unterhaltung geöffnet habe, kommen inzwischen automatisch andere Arbeiten auf mich zu. Mit Blick auf die Fiktion habe ich allerdings den Eindruck, dass schon immer vielfältige Geschichten erzählt wurden. Ich stelle jedoch fest, dass der Drang, genreübergreifend zu erzählen, zuletzt etwas nachgelassen hat. Das heißt: Klare Komödien und klare Dramen, und beim Krimi soll der Witz eher wieder draußen bleiben. Das finde ich eigentlich schade, weil zum Leben ja beides gehört, das Lachen und das Weinen.
Mit "Pumuckl", "Legend of Wacken" und den "Discountern" ist das Comedyserien-Feld diesmal ungewöhnlich breit aufgestellt. Können wir Deutschen wieder mehr lachen?
Ich befürchte, wir sind als Deutsche nicht ganz so weitergekommen wie ich mir das wünschen würde. Dabei finde ich uns in unserem ständigen Angestrengtsein ziemlich lustig. (lacht) Was die Comedyserien angeht, haben wir uns in diesem Jahr bewusst geöffnet und verstärkt auf Crossover-Storys geachtet, die mit einem wohlwollenden, humorvollen Blick auf das Leben erzählt werden. Dieser Blick könnte sich in meinem Empfinden tatsächlich erweitert haben. Wenn dem so wäre, dann wäre das für uns alle wahrscheinlich ziemlich heilsam.
Frau Niehaus, vielen Dank für das Gespräch.