Das deutsche Fernsehen kann nur Krimi. Es ist ein oft geäußerter Vorwurf. Schaut man sich die großen Quoten-Erfolge an, dann fällt tatsächlich sofort ins Auge, dass "Tatort" & Co. die Hitlisten dominieren. Insbesondere ARD und ZDF geben dem Publikum also, wonach es augenscheinlich verlangt - und zwar in rauen Mengen. Ein Samstagskrimi hier, ein Donnerstagskrimi dort. Dazwischen schicken die Sender auch montags, donnerstags und freitags gerne ihre Kommissare ins Rennen. Und wenn's mal keinen Krimi bei den Öffentlich-Rechtlichen zu sehen gibt, springt im Zweifel RTL mit dem "Dünentod" in die Bresche.

Es ist also keineswegs ein Vorurteil, mit dem das deutsche Fernsehen zu kämpfen. Die Fiction ausschließlich auf die tägliche Mörderjagd zu reduzieren, greift dennoch zu kurz Die diesjährigen Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis beweisen, dass das Fernsehen weit mehr als den obligatorischen "Tatort" zu bieten hat. Die ARD-Serie "Die Zweiflers" etwa erzählt mit viel Projektionsfläche und Witz von der Suche einer jüdischen Familie nach Identität. Oder "Push", eine ZDFneo-Serie, die radikal und maximal authentisch vom Leben zweier Hebammen handelt.

Dass beide Produktionen zumindest im Linearen keine großen Quoten-Erfolge waren, gehört freilich zur Wahrheit dazu - auch wenn sie ohnehin vorwiegend für die Mediatheken produziert wurden. Doch auch dort haben sie mitunter einige Mühe, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie verdienen (was wir im Übrigen auch schon an anderer Stelle mit Blick auf die fiktionale Vielfalt von ARD und ZDF aufgeschrieben haben)

Über mangelnde Aufmerksamkeit können sich zwei andere Serien, die zusammen mit den "Zweiflers" und "Push" ins diesjährige Fernsehpreis-Rennen um die beste Drama-Serie gehen, unterdessen nicht beschweren. "Liebes Kind", ein ebenso düsterer wie komplexer Psychothriller, stellte schon im vergangenen Jahr bei Netflix neue Rekorde auf und erlebte im Sommer sogar noch einmal einen zweiten Frühling, weil die Nutzungszahlen in Lateinamerika durch die Decke gingen. Ein Sprung in die globalen Netflix-Top-10 - das ist wahrlich nicht vielen Produktionen aus Deutschland vergönnt.

Ganz anders, aber nicht minder erfolgreich, war die Herzschmerz-Soap "Maxton Hall - Die Welt zwischen uns", in der eine niedersächische Burg als Kulisse für britische Teenie-Schwärmereien herhalten musste. Die Handlung mag man als oberflächlich betrachten, doch ganz offensichtlich trafen die Verantwortlichen von Prime Video einen echten Nerv - und zwar weit über die deutschen Grenzen hinweg: Dass "Maxton Hall" in mehr als 120 Ländern und Territorien den ersten Platz der Prime-Charts belegte, spricht jedenfalls Bände.

Von derartigen Abrufzahlen dürfte die historische Serie "Deutsches Haus", ebenfalls für den Fernsehpreis nominiert, ein ganzes Stück entfernt sein. Gleichwohl gelungen ist die Verfilmung von Annette Hess' Bestseller, in deren Mittelpunkt eine junge Dolmetscherin steht, die während ihrer Arbeit beim ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 mit der erschütternden Wahrheit des Holocaust konfrontiert wird. Deutsche Geschichte, packender Thriller, Teenager-Romantik, eine besondere Krankenhausserie und eine wunderbare jüdische Familiengeschichte - wer jetzt noch denkt, dass das deutsche Fernsehen nur Krimis zwischen Nordsee und Rosenheim zustandebringt, der muss einsehen, dass er gewaltig irrt.

Und wer noch mehr gute Gründe für deutsche Fiction braucht, dem seien die starken Produktionen "Blindspot", "Silber und das Buch der Träume" sowie "Ich bin! Margot Friedländer" ans Herz gelegt, die in der Kategorie "Bester Fernsehfilm / Mehrteiler" antreten. Oder "Die Discounter", "Legend of Wacken" und die "Pumuckl"-Neuauflage aus der Comedy-Kategorie. Ganz zu schweigen von "Pauline", "Oh Hell", "Crooks" oder "Was wir fürchten", die zusammen mit weiteren Produktionen in anderen Fiction-Kategorien mit Nominierungen bedacht wurden. So vielfältig wie in diesem Jahr war die deutsche Fiction vermutlich noch nie - auch wenn am Ende des Jahres dann doch wieder der Münster-"Tatort" die Quoten-Charts anführen wird.