Mit "Freitagnacht Jews" haben Sie inzwischen zahlreiche Preise gewonnen, mit dem Deutschen Fernsehpreis fing alles an. Haben solche Auszeichnungen eigentlich eine Wirkung?
David Hadda: 'Freitagnacht Jews' war schon ein überraschender Erfolg, mit dem wir so in dieser Form nicht gerechnet haben. Es freut einen natürlich, wenn ein Format, das einem persönlich sehr am Herzen liegt, große mediale Beachtung findet und beim Publikum einen Nerv trifft. Preise sind natürlich zunächst eine schöne Anerkennung für die Arbeit und das Team. Man darf solche Auszeichnungen aber auch nicht zu viel beimessen. Sie machen die Arbeit an neuen Projekten nicht einfacher.
Martin Danisch: Wirtschaftlich haben die Preise wenig Auswirkungen. Aber wir kommen auf das Radar von Talenten, Agenturen, neuen Mitarbeiter:innen und von Sender-Redakteur:innen. Daher hat ein Preis sicherlich eine positive Auswirkung.
Gewinnt man auch falsche Freunde? Im Sinne von: Leute, die einem Sachen einreden oder anbieten, die so gar nicht zu einem passen, nur weil man sich mit dem Erfolg assoziieren will?
David Hadda: It takes two to tango. Aber das Entscheidende in unserem Job ist es immer, die richtigen Stoffe, das richtige Material mit den richtigen Talenten auszuwählen. Wir vertrauen auf unseren Geschmack, unsere Leidenschaft und hoffen, einen gesunden Filter zu haben, der uns auch bei der Auswahl hilft, wer zu uns passt. Wenn es nicht matched, merkt man es sehr schnell. Aber sicherlich muss man nein sagen auch lernen, gerade in der Anfangsphase, wo man erstmal auf Möglichkeiten hofft.
Martin Danisch: Da wir nicht reich werden mit unserer Arbeit, ist das mit den falschen Freunden noch weit entfernt. Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit darauf einzugehen, dass wir trotz des Erfolgs bei Auftragsproduktionen, was die Mehrzahl darstellt, keine hohe Rentabilität erzielen können. Wir können also trotz des Erfolgs unser Risiko nicht refinanzieren. Das wird auf Dauer so nicht möglich sein und muss sich dringend ändern.
Letztes Jahr gewonnen, diesmal wieder nominiert, aber für etwas ganz anderes. Wofür steht Turbokultur eigentlich?
David Hadda: In erster Linie geht es um Themen und Geschichten, die uns selber am Herzen liegen. Außerdem sind wir extrem talentfokussiert, d.h. wir arbeiten mit Talenten, die eine originelle Stimme haben und eine besondere Perspektive mitbringen. Gemeinsam entwickeln wir Inhalte aus einer Innensicht, d.h. aus einer Welt die uns und/oder den Machern bekannt ist. Humor ist natürlich ein gern genutztes Werkzeug, wobei wir uns nicht auf ein Genre festlegen. Das ist zweitrangig. Auch das Format wird letztendlich von dem Thema bzw. dem Stoff diktiert. Daher produzieren wir Shows, Fiction, Podcasts oder Dokus. Und in Zukunft vielleicht Kino.
Martin Danisch: Wir möchten Talenten einen Raum geben ihre Formate so umzusetzen, wie ihre Vision es vorgibt. Die Vision ist für uns der entscheidende Grund an ein Format zu glauben. Denn am Ende kommt diese Vision auch beim Publikum an. Es ist also nicht entscheidend, was für ein Genre wir bedienen, sondern welche Innensicht und welche Vision wir zu einer Geschichte entwickeln können.
Anders als die meisten Serienprojekte ist das jetzt nominierte "Deadlines" nicht Plot-driven sondern character-driven. Ist das etwas, was Turbokultur ausmacht: Mit echt eigenen Charakteren zu arbeiten, wenn ich an Donskoy oder Polak denke…
David Hadda: Auf jeden Fall. Wie schon erwähnt, interessieren uns originelle Köpfe, die keine Angst davor haben, anders zu sein und diese Andersartigkeit auch erzählen wollen. Nichts ist langweiliger als Inhalte nach Schema F zu entwickeln oder immer wieder die gleichen Narrative zu wählen. So entsteht nichts Neues. Vielmehr geht es darum, neue Perspektiven zu beleuchten und den Scheinwerfer auf Lebenswirklichkeiten zu richten, die bisher unterbeleuchtet waren, wie zum Beispiel bei Heroes die Standup-Szene oder bei Freitagnacht Jews die Vielfalt und Diversität innerhalb der jüdischen Community in Deutschland. Hierfür braucht es einen Willen, Engagement und Mut.
Martin Danisch: Das ist sicherlich kein Zufall. Uns interessiert in erster Linie, was ein Talent zu erzählen hat, welche Innensicht können wir gemeinsam erzählen. Das ist der Plot oder das Genre zweitrangig. Die Charaktere bilden aus unserer Sicht immer den Schlüssel zu einer erfolgreichen Sendung. Nun kommt mit “Lamia” eine Serie, die die Geschichte der Deutsch-Algerierien Lamia, gespielt von Amel Charif, erzählt. Amel Charif haben wir in Paris gefunden und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihre ersten eigenen Schritte ohne Familie beginnt und dabei tauchen wir in den Themenkosmos einer jungen muslimischen Frau.
Wie kam "Deadlines" jetzt konkret zustande? Es ist für Sie ja das erste fiktionale Großprojekt. Das ist ja nicht ohne für eine vergleichsweise kleine Produktionsfirma…
David Hadda: In der Tat entstand das Projekt zunächst als Webserie für einen anderen Sender. Für unsere Webserie dachten wir dann über die Lebenswirklichkeit von Frauen in ihren 30ern nach. So entstand das Sujet und der Titel „Deadlines“. Die Webserie war viel zu teuer und konnte nicht realisiert werden, sodass wir „Deadlines“ eigentlich begraben wollten. Als wir dann glücklicherweise für einen Sitcom-Pitch von ZDFneo eingeladen wurden, konnten wir den begnadetsten Comedy-Autor Johannes Boss als Showrunner gewinnen, der in kongenialer Zusammenarbeit mit Co-Autorin Nora Gantenbrink „Deadlines“ zu dem gemacht hat, was es heute ist.
Martin Danisch: Für uns ist das Genre nicht entscheidend. Vergessen Sie nicht unseren den für den Deutschen Podcast-Preis nominiertes Spotify Original “Jokes” mit Till Reiners. Wir versuchen in den Bereichen Fiction, Show und Podcast erfolgreiche Produktionen zu stemmen. Mittlerweile machen wir knapp einen zweistelligen Millionenumsatz und empfinden uns nicht mehr als klein mit über 15 Mitarbeiter:innen.
Was macht "Deadlines" aus Ihrer Sicht preiswürdig?
David Hadda: Bei Deadlines haben Johannes Boss und Nora Gantenbrink brillante Dialoge für vielschichtige Figuren geschaffen, die immer am eigenen Scheitern entlang agieren. Du kannst die vier Goldstein Girls, so großartig verkörpert von Jasmin Shakeri, Llewellyn Reichman, Salka Weber und Sarah Bauerett, im Prinzip in jede denkbare Situation stecken und man hätte pure Freude ihnen bei ihrem Spiel zuzuschauen. Darin liegt für mich die große Kraft von Deadlines.
Martin Danisch: Comedy und Frauen sind in Deutschland eine anspruchsvolle Kombination. Man sieht es daran, dass keine der vier für einen Schauspielpreis nominiert worden ist. Warum? Vielleicht, weil Humor bei Frauen nicht als wertvoll erachtet wird? Und wenn sie gut sind, gelten sie schnell frech. All das überwindet Deadlines. Und deswegen ist die Leistung der vier Schauspielerinnen sehr preiswürdig und sie haben es verdient, im Mittelpunkt zu stehen.
Welche Perspektive sehen Sie für weitere fiktionale Projekte bei Ihnen im Haus? Oder wird für nächstes Jahr eine Nominierung im Segment Information angestrebt?
Martin Danisch: Wie oben schon erwähnt startet unsere Dramedy-Serie “Lamia” (Regie: Süheyla Schwenk, Buch: Sarah Kilter) am 11.11.22 in der ARD-Mediathek laufen und hat seine Weltpremiere am 3.10. auf dem Hamburger Filmfest im Wettbewerb Serie. In „Lamia“ verhandelt die Hauptfigur ihre muslimisch-deutsch-algerischen Identität und begibt sich auf eine spirituelle Suche nach sich selbst. Bei „Deadlines“ hat ZDFneo gleich 2 weitere Staffeln bestellt. Die 2. befindet sich gerade in Postproduktion und die 3. Staffel werden wir nächstes Jahr produzieren. Wir können aber schon direkt nachlegen und werden ab April 2023 unsere erste Serie produzieren, die sich budgetär im High-End-Bereich bewegt und die David als Showrunner verantworten wird.
Wie würden Sie denn gerade die Stimmung im Markt einschätzen?
David Hadda: Der Markt ändert sich stetig und schnell. Neue Player, neue Plattformen und Distributionswege kommen auf. Für Kreative ist es eine spannende Zeit mit neuen Möglichkeiten für Storytelling und vielfältigen Optionen für Partnerschaften. Unsere Aufgabe ist es, diese Entwicklungen genau zu beobachten und zu reflektieren, um effektive Wege zu finden, das Publikum zu erreichen.
Martin Danisch: Der Markt ist übersättigt, wenig Produktionen fallen aber signifikant auf. Das bietet Chancen, weil es nicht unmöglich ist, mit einer guten Produktion aufzufallen. Aber der Arbeitsmarkt ist wie leer gefegt. Sender bezahlen gerade bei Auftragsproduktionen maximal die Minimumgage. Also die Tarifgage, die mitnichten ausreicht, um gutes Personal für die Produktionen zu gewinnen. Es gibt ein Problem Head of Departments mit Erfahrung und Qualität zu finden. So tragen wir als “Dienstleister” bei Auftragsproduktionen ein hohes Risiko, können aber keine Rückflüsse generieren. Unser Wunsch wäre weniger Produktionen, dafür aber mehr Beteiligung an Rechten und die Möglichkeit, von einer erfolgreichen Verwertung zu profitieren.