Hinter Ihnen hängt der Ausdruck einer Eilmeldung von Spiegel Online: „Neo Magazin Royale ist Satire“. Ist das ZDF Magazin Royale noch Satire oder schon Journalismus?

Weder noch. Wir machen seit fast zehn Jahren volkstümliche Kunst, da gibt es auch kein richtig und falsch. Alles ist erlaubt, da ist alles eingeschlossen.

Ob Fynn Kliemann Fan dieser Kunst ist?

Kunst und Wirksamkeit schließen sich ja nicht notwendigerweise aus. Wobei, Kunst sagen wir ehrlicherweise zu unserer Arbeit auch erst im Hauptprogramm, früher haben wir das einfach Quatsch genannt.

Ist spontaner Quatsch nicht das Gegenteil der zuletzt umfangreichen Recherchen?

Quatsch geht nicht unvorbereitet. Zum Glück sind wir jetzt etwas stabiler redaktionell aufgestellt als früher, wobei besonders die Mischung unseres Teams essenziell ist. Wir haben zwei relativ gleich gewichtetete Redaktionsfraktionen aus Ernst und Unterhaltung. Die Unterhaltung bringt den menschlichen Faktor ein, die journalistischen Kolleginnen und Kollegen liefern die Substanz und die Ernsthaftigkeit, die Sendung auch über die Ziellinie zu tragen. 

Wie definiert sich diese Ziellinie? 

Eine erfolgreiche Sendung war es dann, wenn alle daran Beteiligten hinterher ein gutes Gefühl dabei haben. Das ist entkoppelt von Quote, Abrufzahlen oder Reaktionen in Cyberspace und Programmdirektion. Wir haben schon aus unserer Sicht sehr gelungene Sendungen gemacht, die dann keiner geguckt hat und hatten schlechte Sendungen, bei denen alle begeistert waren und das ZDF anrief, um mehr davon zu verlangen.

In welche Kategorie fiel die Sendung über Fynn Kliemann?

(lacht) Bei der Sendung über die Masken-Geldmacherei von Tom Illbruck und Fynn Kliemann war es jetzt nicht so, dass hier Feststimmung herrschte und wir Sektkorken knallend durchs Studio Ehrenfeld gelaufen sind. Das war ein bedrückend stiller, ernster Aufzeichnungstag, dem intensive Wochen mit ausführlichen Diskussionen und gründlichen Recherchen vorangegangen sind angesichts der umfangreichen Unterlagen, die uns vorlagen. Wir wussten, wir haben es mit einem gewieften PR-Profi zu tun. Da hat sich niemand die Hände gerieben, weil wir bis zuletzt nicht wussten, was bis zur Sendung noch alles passiert. Bis heute steht unsere Recherche in vollen Umfang. 

Gab es umgekehrt Sendungen bei denen Sie sich mehr Resonanz erhofft hätten?

Och nö, wenn ich eins gelernt habe in zwölf Jahren beim ZDF, dass man jede Woche eine neue Chance hat, es aufs Neue zu verkacken und dass das jede Enttäuschung eindämmt, weil dir mal eine Sendung abrauscht. Und manchmal gibt es auch Wochen in denen man Kräfte sparen muss, weil wir schon voll an der Sendung von nächster Woche arbeiten.

 

"Wir füllen jede Lücke, die die, die etwas gelten wollen, uns lassen."

 

Wenn Satire jetzt Journalismus macht, dann weil Journalismus mitunter nur noch als Satire zu verstehen ist?

Also wenn wir den Maßstab aus dem Journalismus-Lehrbuch anlegen, wonach die journalistische Aufgabe darin besteht komplexe Sachverhalte zu ergründen und so aufzubereiten, dass sie möglichst viele Rezipientinnen und Rezipienten verstehen, dann machen wir auch irgendwie Journalismus. Aber ich sitze einfach wahnsinnig gerne mit offenem Hemd auf einer Schaukel und verkleide mich als Florian Silbereisen zur Belustigung aller. Deswegen bleiben wir lieber dabei: Wir machen Kunst oder Quatsch und gehen all in - inklusive der eigenen Person, Würde und Ehre. Clown sein ist entlastend und frei. Wir füllen jede Lücke, die die, die etwas gelten wollen, uns lassen. 

Welche wären das?

Es gibt viele deutlich seriöser aufgestellte journalistische Redaktionen, in denen nicht so viel gelacht wird. Die können auch mal eben den Bundeskanzler anrufen. Okay, wir können den auch anrufen. Geht halt nur keiner dran. Vielleicht entdecken wir manchmal Themen, wo andere keine Themen sehen. Aber es geht ja nicht nur um Inhalte, man muss seine Gedanken auch in die Manege bringen. Und wir achten sehr penibel darauf, dass wir nicht anfangen den Drachen zu jagen.

Was meinen sie damit?

Ich finde, man darf nicht einem vermeintlichen Erfolg hinterherlaufen und mit hohem Puls danach suchen, maximalen Impact zu erreichen oder Sendungen herstellen, von denen man zu wissen glaubt, dass sie "funktionieren". 

Aber mit weitgehend monothematischen Sendungen brauchen Themen heute eine höhere Fallhöhe als früher. Das kann Ansporn aber auch Hürde sein…

Wir wollen nicht jede Woche einen gigantischen Skandal aufdecken, sondern beschäftigen uns manchmal auch mit Themen, die niemand auf dem Schirm hatte. Revision sozusagen. Aber am Ende müssen wir auch unsere Ambivalenz zulassen. Eine gute Sendung ist eine Mischung aus gut dosiertem Erkenntnisgewinn und  geilen Gags. Das Leben und die Welt sind unterm Strich nicht ernst zu nehmen, darum machen wir Unterhaltung - und das filtert gewisse Themen heraus. Über sexualisierte Gewalt könnte man ganze Sendungen füllen, aber Gags möchte ich mir dazu nicht ausdenken müssen.

Zu Krieg in Europa auch nicht unbedingt, denke ich mal. Da wurde es eine besondere Sendung mit einem weitgehend ratlosen Jan Böhmermann, der ob des unwirklichen Ereignisses stammelte...

Der Ansatz war: Hier passiert was, was wir noch gar nicht überblicken können und müssen so ehrlich zu uns selber sein, dass wir da nichts Erkenntnisreicheres beizutragen haben, als unsere Ratlosigkeit auszustellen. Das war, noch mehr als sonst, dann bis zuletzt ein Ringen und Abwägen um jede Formulierung, um jedes Wort in der Sendung. Herausgekommen ist dann ein 30-minütiges Stammeln. Ich würde sagen: angemessen. So sah es bei Kriegsbeginn eben in der UE GmbH aus in den Köpfen von U und E.

 

"Ich will kein Fabrikbesitzer sein und in die Reproduktion rutschen"

 

Stichwort UE: Als Sie sich von der btf getrennt haben, um mit der ZDF-Tochter Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld zu produzieren, haben Sie sich auf mehr Unabhängigkeit gefreut. Wovon eigentlich?

Ich bin eines Morgens 2019 aufgewacht und habe festgestellt: Ich glaube, ich bin gar kein Content Creator, weil mir der Inhalt dafür zu wichtig ist. (überlegt) Ich will kein Fabrikbesitzer sein und in die Reproduktion rutschen, ich will mir lieber weiter Quatsch ausdenken. Darum habe ich mich Anfang Januar 2020 verabschiedet. Wenn man die Konsequenz, die man bei der Arbeit an den Tag legt, auch bei den Bedingungen in denen man arbeitet, anlegt, dann muss man, wenn es nicht anders geht, eben raus aus der Struktur. Das war nicht nur mein Gefühl, sondern auch das von den langjährigen Kolleginnen und Kollegen, die mit mir ins Freie gekommen sind.

Zurück zum Inhalt: Was hat Sie diesen Sommer eigentlich mehr aufgeregt: Layla, Winnetou oder Schlesinger?

Mich hat diesen Sommer gar nichts aufgeregt, weil ich den schönsten Urlaub seit zehn Jahren hinter mir habe. 

Aufpassen was Sie jetzt sagen, die People-Presse könnte es ausschlachten…

Das ist mir scheißegal. Ich werd doch noch einen schönen Urlaub haben dürfen. Ich bin einfach mal für sechs Wochen mit dem Elektroauto durch Europa gefahren. Keine Sorge, meinen Urlaub habe ich nicht vom ZDF-Honorar bezahlt, sondern von meiner privatwirtschaftlichen Spotify-Kohle. Mit dem Auto durch Europa, das ist natürlich Luxus pur, muss man sich leisten können – wobei das in diesem Jahr eher gegolten hätte, wenn ich einen Benziner genommen hätte. Ich habe Twitter ausgemacht und nur ab und zu mal was gelesen. Mich haben diese vermeintlichen Aufregerthemen einfach gar nicht berührt. Das Sommerloch einfach mal ignorieren - kann ich sehr empfehlen.

Im Sinne auch des Service-Gedanken dieses Gesprächs: Wie waren die Erfahrungen mit dem Elektroauto in Europa? Welches Land hat positiv überrascht?

Deutschland in jedem Fall nicht. Holland ist fantastisch, an nahezu jeder Autobahn-Raststätte gibt es solarbetriebene Fastned-Power-Ladestationen, die auch alle immer funktioniert haben. Sowohl per RFID-Karten aller Anbieter als auch per App. In Deutschland muss man - ganz wichtig - Ladesäulen meiden, die von irgendeinem Ministerium gefördert sind, weil sich da meist ein Wespennest im CCS-Stecker versteckt oder man nen Stromschlag bekommt, wenn man sich dem Ding nur nähert. Frankreich ist auch fantastisch fürs Aufladen, aber die Autobahnen leider sehr teuer. Kann Christian Lindner da nicht mal was machen? Und Portugal ist so weit vorne, elektromäßig, dass sie schon das ganze Land mit Ladestationen überzogen haben, bevor man sich in Europa auf einen Standard geeignet hatte. Darum ist Portugal natürlich jetzt nicht kompatibel sind mit dem Rest des Kontinents. Also nochmal ne eigene App registrieren. Aber hat trotzdem großen Spaß gemacht und nicht nur ich hatte einen sehr entspannten Sommer. Auch bei uns im Team hörte ich, dass alle mal richtig entspannen konnten, weil wir uns nicht mehr darum sorgen mussten, ob wir mit Produktionsausfällen aus dem Sommer kommen. Alle sind stabil und erholt und happy wieder dran an der Sendung.

Als jemand, der das ZDF quasi durchgespielt hat: Legen Sie die Hand ins Feuer für Ihren Lieblingssender, dass dieser solider arbeitet als Frau Schlesinger beim RBB?

Ich komme ja von Radio Bremen, ein in Finanzsachen relativ erfrischend skandalfreier Sender ohne Dienstwagenprivileg für die Intendantin. In Bremen braucht man keine Dienstwagen. 

Gut, in Bremen kann man auch fast alles mit dem Fahrrad erledigen.

Das könnte man in Berlin auch!

Aber beim RBB gehört natürlich auch Brandenburg dazu.

Aber Sie glauben doch nicht, dass man als RBB-Intendantin freiwillig nach Brandenburg fahren würde, wenn in London eine geile Charity-Veranstaltung ruft. Da muss man schon Prioritäten setzen. Nein, aber um die Frage von eben zu beantworten: Ich bin hauptsächlich sehr dankbar beim erfolgreichsten deutschen Fernsehsender zu arbeiten.

Wie lange eigentlich noch? Vertragsverhandlungen waren ja in der Vergangenheit auch schon mal knifflig...

Da verwechseln Sie mich sicher mit Jörg Pilawa. Solange das ZDF keinen Scheiß baut, der schlecht für mein Saubermann-Image ist, steht unserer eingespielten Private-Public Partnership in den nächsten Jahren wenig entgegen. 

Aber nochmal ernsthaft: Wie sehr ärgert Sie der Skandal um Patricia Schlesinger im RBB?

Es wäre ja alles besser zu ertragen, wenn das Programm geil wäre. Wenn die ARD eine coole Programminnovation nach der anderen veröffentlicht und alle sagen würden „Hut ab, nicht schlecht“. Das ist doch das Bitterste an der ganzen Sache: Niemand kann sagen „Ja, aber…“ weil es da wenig gibt, womit man programmlich überzeugen könnte. Da hat man halt wenig Argumente für zwei Dienstwagen und Bonuszahlungen, wenn Deutschlands beste Journalistinnen und Journalisten lieber private Kollektive gründen als sich im öffentlich-rechtlichen Sender zuhause zu fühlen.

Aber es ist doch nicht alles schlecht bei der ARD...

Die Menschen, die in der ARD mit Restidealismus zur Arbeit gehen und im Rahmen der Möglichkeiten das Beste machen, also die Programmmacherinnen und -macher, klagen seit zwanzig Jahren über zu geringe finanzielle Ausstattung und Vertrauen. Und jetzt zeigt sich: Gespart wird am Programm, aber nicht bei der Wandbegrünung in der Repräsentationsetage. Ich hab echt Glück von Radio Bremen zu kommen, weil der Spardruck und die Existenzangst in Bremen zu einer professionellen Ernüchterung führen, die dir am ersten Arbeitstag gleich eingeflößt wird. Ich fand übrigens das Interview vom großen Intendanten des Westdeutschen Rundfunks, Tom Buhrow, ganz bemerkenswert, der zu Protokoll gab, dass er festgestellt habe, leider auch einen Dienstwagen mit Massagesitzen zu haben - die Betonung lag auf dem leider. Nur, weil ich als On-Air-Personality hier im Gewerbegebiet in Köln-Bickendorf meine Bürowand sündhaft teuer mit echten Korallen getäfelt habe, muss nicht jede dahergelaufene Intendant*in so viel Geld ausgeben.

Mit solcher Extravaganz an der Wand wird es aber nichts mehr mit der RBB-Intendanz…

(lacht) Da habe ich ich aktuell keine Ambitionen. Die nächsten beiden RBB-Intendant*innen sind wirklich nicht zu beneiden.

 

"Trost und Hoffnung schöpfe ich aus Olaf Scholz' mitreißender Rhetorik"

 

Lässt sich auch etwas Positives aus dem Skandal ableiten?

Ob nun der stellvertretende Chefredakteur eines großen Verlagshauses die Volontärin machtmissbräuchlich zum Geschlechtsverkehr überredet, ob ein CEO in seiner riesigen Villa Vulvas sammelt und auch sonst einen recht windigen Lebenswandel pflegt oder du als Intendant auf "Spiegel"-Nachfrage ganz plötzlich merkst, was in deinem 7er BMW so alles an Extras eingebaut ist - es ist am Ende toller Gossip, tolles Material, das ist für uns in der Sendung immer gut.

Versuchen wir positiv aus dem Gespräch zu gehen: Was stimmt Sie optimistisch in einem solchen Jahr?

Ich hab das leicht beleidigt wirkende Selbstbewusstsein von Bild TV mit Blick auf den Deutschen Fernsehpreis irgendwie als hoffnungsfroh empfunden. Mir gefällt das schnell rotierende Personalkarrusell im Büro des CDU-Parteivorsitzenden, die Setzungsrisse in der Regierungskoalition und immer Trost und Hoffnung schöpfe ich aus Olaf Scholz' mitreißender Rhetorik. Ich finde, in vielem ist Hoffnung drin, weil man doch derzeit jeden Morgen aufsteht und sich fragt, welches Schließfach wird jetzt geöffnet? Und welche Bargeldsummen in welcher Währung werden heute bei wem gefunden? Wie vergesslich darf ein der Kanzler sein? Ist es gar Alzheimer? Grüßen sich Olaf und Robert noch, wenn keine Kameras dabei sind? Und warum ist Lars Klingbeil ständig in Südamerika? Werden da schon Fluchtrouten ausgekundschaftet? Also wann immer ich das Internet aufmache, finde ich etwas, was Spaß und Hoffnung macht. 

Herr Böhmermann, herzlichen Dank für das Gespräch.