Es geht um die Kindheit während des Zweiten Weltkriegs, die Klimakatastrophe, die globale Antibiotika-Krise, die Seidenstraße Chinas und Beratungsfirmen. Die fünf nominierten Dokumentationen beim Deutschen Fernsehpreis sind völlig unterschiedlich und zeigen, wie vielfältig die Branche ist. DWDL.de hat mit den Machen der einzelnen Produktionen über die Filme selbst, aber auch über die Nominierungen und die Branche an sich gesprochen. 

Leopold Hoesch© Broadview
Leopold Hoesch (Foto rechts) von Broadview Pictures zeichnete etwa verantwortlich für die Doku "Resistance Fighters - Die globale Antibiotika-Krise". Inhaltlich geht es darum, dass Antibiotika bei immer mehr Menschen nicht mehr wirken - ein Thema, das in der regulären medialen Berichterstattung oft nicht vorkommt. Hoesch sagt im Gespräch mit DWDL.de, die Finanzierung sei die größte Herausforderung gewesen. Produziert wurde der Film für Arte und ZDF. "Am Ende haben wir einen erheblichen Anteil des Budgets über einen Bankkredit und Referenzmittel der Film- und Medienstiftung NRW finanziert, für den Rest waren wir Arte und der Hessischen Filmförderung sehr dankbar", sagt Hoesch. Redaktionell ging es vor allem darum, gute und relevante Gesprächspartner zu erhalten sowie "Bewegung in die Geschichte zu bekommen". Hoesch: "Forscher beim forschen und einer Krise in Zeitlupe einfach zuzuschauen trägt nicht 90 Minuten."

Der Broadview-Chef zollt auch der Jury des Fernsehpreises Respekt. Die musste ja aufgrund der Neuaufstellung nicht nur die Werke eines Jahres bewerten, sondern noch die einiger Monate mehr. "Schon in normalen Jahrgängen ist das Sichtungs-Volumen der relevanten Programme kaum zu bewältigen. In einem 150 Prozent Jahrgang wie diesem ist es wirklich eine Herkulesaufgabe und ich bin sicher, die Kollegen standen vor irre schweren Entscheidungen." Mit der Nominierung hofft Hoesch zudem, zusätzliche Aufmerksamkeit auf das Thema der globalen Antibiotika-Krise richten zu können. 


Thomas Aders© SWR/Studio Kairo
Ebenfalls ein globales Thema ist die Doku "Die Story im Ersten: Klimafluch und Klimaflucht", die von SWR-Journalist Thomas Aders (Foto links) umgesetzt wurde. Er ging darin der Frage auf den Grund, wie sich das Klima in den nächsten Jahren bis 2050 verändern wird und welche Veränderungen das auf die Menschheit haben wird - inklusive bereits akuter Fluchtsituationen. "Ich hatte ein bisschen was gelesen, war anfangs aber definitiv kein Spezialist und hatte nicht so viel Ahnung von dem Thema", sagt Aders gegenüber DWDL.de. Und so hat er eineinhalb Jahre an der Umsetzung gearbeitet, dafür war er unter anderem bei der Klimakonferenz in Bonn und führte dort Interviews. Ein Jahr später, die Doku hatte gerade ihre Premiere bei Arte gefeiert, wurde er eingeladen, um den Film bei der Klimakonferenz in Katowice vorzustellen - inklusive Podiumsdiskussion. Das sei eine ganz besondere Ehrung gewesen, sagt er. 

Gedreht wurde unter anderem auch im Tschad, Indonesien und Russland. Auf allen drei Reisen habe man mit großen Problemen zu kämpfen gehabt, sagt Aders. "In Indonesien und vor allem dann in Russland gab es große Probleme mit der jeweiligen Regierung." In beiden Ländern sei man in Sachen Visa und Sicherheit lange hingehalten worden, der russische Geheimdienst sagte den geplanten Dreh eine Woche vor dem Start überraschend ab. Und dennoch ist ein Film entstanden, der die Auswirkungen der Klimakatastrophe, die teilweise schon heute sehr sichtbar sind, sehr anschaulich zeigt. "Die Klimaerwärmung bringt schon jetzt Opfer hervor, das ist keine Zukunftsprognose. Es war mir überhaupt nicht bewusst, wie stark die Folgen jetzt schon sind", sagt er im Rückblick auf den Film. 

Florian Hartung© Februar Film
Bei der Vergabe des Deutschen Fernsehpreises in der kommenden Woche geht es für die Doku-Produzenten darum, wer die Nachfolge von "Kulenkampffs Schuhe" antritt, dieser Film gewann 2019 in der Kategorie Dokumentation/Reportage. Anders als im vergangenen Jahr sind 2020 aber nicht nur Produktionen von öffentlich-rechtlichen Sendern nominiert. Auch die Vox-Doku "Kindheit unterm Hakenkreuz - 80 Jahre 2. Weltkrieg" kann auf eine Auszeichnung hoffen. Produziert wurde der Film von Februar Film. Geschäftsführer Florian Hartung (Foto rechts) sagt gegenüber DWDL.de, dass man bereits mit dem Sender an dem Projekt gearbeitet habe, als sich plötzlich eine Zeitzeugin meldete, die ihre Geschichte erzählen wollte. "Das war die Initialzündung. Mit ihr sind wir dann nach Polen gefahren und haben gedreht. Anhand ihrer Geschichte haben wir die Form der Doku entwickelt."

Und die Form ist durchaus speziell: Die Zeitzeugen gingen für den Film an Orte zurück, die für sie während der Zeit des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Bedeutung hatten. Hinzu kamen junge Menschen der heutigen Enkel-Generation, die die Fragen stellten. "Wir wollten keine Experten, die sagen, wie es war. Die Zeitzeugen sollten einfach über ihre Erfahrungen erzählen." Man habe auch alles dabei gehabt: Menschen, die damals begeistert oder verängstigt waren, andere wurden verfolgt. Größte Herausforderung sei es gewesen, Leute zu finden, die mit auf Reisen gehen konnten und sich auch erinnern wollten und konnten. Hartung hofft nun unter anderem auch, dass die Nominierung mit dem Fernsehpreis zu möglichen weiteren Projekten führt. 

Normen Odenthal und Thomas Reichart© ZDF/Kerstin Bänsch/Rico Rossival
Für das ZDF haben Normen Odenthal und Thomas Reichart (Foto links) die Doku "Die neue Seidenstraße - Chinas Griff nach Westen" produziert. Die beiden Journalisten reisten dafür auf dem See- und Landweg entlang der neuen Seidenstraße und zeigten anhand dessen, wie China mit diesem riesigen Investitionsprogramm seinen weltweiten Einfluss weiter ausdehnen will. "Wir sind überwältigt von der Nominierung. Das ist großartig", so Reichart. Beide Journalisten sagen, es sei für sie die bislang anstrengendste Produktion in ihrer Karriere gewesen. "Die größte Herausforderung war, nicht die Nerven zu verlieren und weiter an die Umsetzung der Doku zu glauben – egal wie viele Rückschläge kamen", so Odenthal. Vor allem das Einholen von Genehmigungen und die Logistik sei aufwendig gewesen. "Türen sind eher zu als auf gegangen, aber am Ende haben wir doch Einblicke bekommen, die vor uns noch keiner hatte. Es hat sich absolut gelohnt."

Die beiden Journalisten haben mit ihrem Film wohl auch dazu beigetragen, dass viele Menschen hierzulande Asien im Allgemeinen und China im Speziellen besser verstehen als zuvor. "Manchmal scheint die deutsche oder die europäische Perspektive gönnerhaft, manchmal herablassend, oft misstrauisch. Angemessen ist sie selten", sagt Odenthal. Und Thomas Reichart ergänzt: "Wir neigen dazu, dass wir China und insgesamt Asien nach wie vor als etwas wahrnehmen, das weit weg ist. Das ist ein schwerer Fehler. Die neue Seidenstraße zeigt, dass China zu uns kommt – mit all seiner Macht, Stärke und seinem diktatorischen System." Es werde Zeit, dass Deutschland mehr in Richtung Osten schaue. 

Petra Nagel© WDR/Bettina Fürst-Fastré
Mit "Die unheimliche Macht der Berater" ist zudem eine weitere Doku des Labels "Die Story im Ersten" nominiert. Hinter diesem Film steht das Recherchebündnis bestehend aus WDR, NDR und "SZ". Stellvertretend für die verantwortlichen Autoren Michael Wech, Georg Wellmann, Massimo Bognanni, Petra Blum, Lena Kampf und Katja Riedel antwortet Petra Nagel (Foto rechts) auf einige DWDL.de-Fragen. Sie sagt, man sei schon bei früheren Recherchen immer wieder auf die zentrale Rolle der Beraterbranche gestoßen. "Dabei fiel auf, dass die Beratungsfirmen auf allen Seiten großen Einfluss haben: Sie prüfen die Bilanzen der multinationalen Konzerne, beraten sie, wie man Steuerschlupflöcher nutzen kann und beraten die Politik, wie man Gesetze macht, um Steuerschlupflöcher zu stopfen. Es lag auf der Hand, diese auffällige Rolle mit einer gesonderten Recherche zu vertiefen und in einer Fernsehdokumentation umzusetzen."

Rund ein Jahr lang hat man sich intensiv mit den Firmen beschäftigt und recherchiert. Kompliziert sei bei der Umsetzung unter anderem gewesen, komplexe und finanzpolitische Sachverhalte in eine "verständliche, spannende und in sich geschlossene filmische Erzählung" zu bringen, so Nagel. "Wir haben uns riesig über die Nominierung gefreut. Und bei einem der wichtigsten Fernsehpreise in Deutschland gilt für uns: Auch wenn wir natürlich der endgültigen Entscheidung der Jury entgegenfiebern - allein die Nominierung empfinden wir bereits als große Auszeichnung."

Kommt eine Doku-Offensive? 

Und wie steht es nun fernab der nominierten Produktionen generell um die Doku-Branche? Immer weniger Geld und Sendeplätze wurden in der Vergangenheit unter anderen kritisiert. Leopold Hoesch von Broadview Pictures ist jedoch optimistisch. Man habe bessere Karten als alle anderen, um die derzeitige Coronakrise zu bewältigen, weil man viele Geschichten weiterdrehen könne, sagt er. "Bei den Sendern werden Sport-Sendeplätze en masse frei, Spielfilme können nicht produziert werden und die öffentlich-rechtlichen Sender haben gleich viel Gebührengeld." Hinzu kämen die höheren Reichweiten im Fernsehen und das erhöhte Informationsbedürfnis der Zuschauer. Hoesch: "Wenn jetzt keine Dokumentarfilmoffensive kommt, wird eine riesige Chance auf allen Seiten vertan." 

Grundsätzlich bezeichnet der Chef von Broadview Pictures es als "Privileg", in Deutschland zu leben und Dokumentarfilme zu machen. Dieser Meinung ist auch Florian Hartung von Februar Film. "Wir haben ein unglaublich breites Angebot an Sendeplätzen für Dokus, auch darüber hinaus bei Plattformen. Das ist toll. Wenn wir in einer Konferenz über Themen sprechen, gibt es eigentlich immer einen Ort, wo wir das unterbringen könnten. Das ist nicht selbstverständlich." Dennoch sollen sich Sender und Produktionsfirmen mehr trauen. "Sowohl in der Dramaturgie, den Erzählformen und der visuellen Umsetzung. Da sind wir zu brav und redundant. Ich glaube, dass das zu Abnutzungserscheinungen führen wird." Andere Länder seien da bereits weiter. Außerdem wünscht sich Hartung mehr Geld für die Entwicklung von neuen Inhalten. "Im Endeffekt bleibt für die Produktionsfirmen wenig Luft zum atmen."