Die Inhalte – vor allem im Nicht-Fiktionalen – drängen mehr und mehr ins Subjektive. In einem lesenswerten Artikel in der aktuellen Ausgabe der "Zeit" schreibt Christiane Florin, Redaktionsleiterin der Beilage "Christ und Welt" über ihrer Erfahrungen mit Studierenden, die sie im Fach Politische Wissenschaft unterrichtet. Darin schreibt sie: "Ihr wollt nichts von Emotionalisierung und Personalisierung hören. Ihr wollt fühlen".
Und genau das ist es, was zum Beispiel Programme wie "Herr Eppert sucht…" und "Wild Germany" bei ZDFneo ihrem Publikum geben. Neue Reportage-Formate erzählen radikal subjektiv, berichten davon wie sich etwas anfühlt. Wo das klassische Fernsehen sich in seinen Dokumentationen und Reportagen noch oft den Anspruch des vermeintlich Objektiven gibt, sprechen hier die Reporter deutlich aus, was sie in dieser oder jener Situation empfinden.
Die Perspektive des Publikums verändert sich. "Es langweilt euch, Menschen und Ideen beim Mächtigwerden zuzusehen. Politik begreift ihr als ständige Selbstbeobachtung", schreibt Florin in der "Zeit". "Ihr lest nicht das Interview mit der Bundesfamilienministerin, sondern die Neon-Titelgeschichte 'Wann möchtest du ein Kind?' Ihr geht nicht zur Gewerkschaftskundgebung für den Mindestlohn, aber vielleicht zum Flashmob 'Stürmt die nächste McDonald’s-Filiale'".
Auch die vermeintlich politkfernen Jugendlichen in prekären Lebensverhältnissen sind mehr an politischen Zusammenhängen interessiert, als man zunächst meinen mag. Allerdings anders als bislang. "Der Begriff der Politikferne greift nur, wenn man ihn auf das politische System beschränkt: auf Parteien, Regierung, den Staat mit seinen Institutionen", erklärte Arne Busse, der sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung um den Fachbereich Politikferne Zielgruppen kümmert, kürzlich in der "Berliner Zeitung".
Das Interesse an den Inhalten, mit denen sich die Politik auseinandersetzt, sei hingegen groß: Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt und Integration seien im prekären Alltag stets präsent und daher von Bedeutung. "Vielen ist nicht bewusst, dass sie politisch interessiert sind, weil sie Themen wie Religion und Umweltschutz ausschließlich im privaten Lebensbereich verorten", so Busse.
Die Wahrnehmung von Politik und Gesellschaft ist offenbar im Wandel. Es ist klar, dass es jetzt nicht darum geht, die "Tagesschau" zum Gefühlserlebnis abseits der Fakten zu machen. Doch dem Fernsehen bieten sich mit den neuen technischen Möglichkeiten, den neuen Plattformen und Erzähltechniken hervorragende Möglichkeiten, diesem Bedürfnis nach Echtheit und vor allem dem Bezug zum echten Leben zu begegnen.
Schließlich ist die 45-Minütige Dokumentation nicht mehr zwingend ein Einzelstück, das im luftleeren Raum ein Thema abschließend erörtern muss. Sinnvoll – ich betone: sinnvoll – mit dem so genannten Second Screen verknüpft, kann es seine Stärken ausspielen: Beobachten, zeigen, Emotionales sicht- und erlebbar zu machen, neugierig machen für ein Thema – um es schließlich ohne größere Zugangsbarriere oder Bruch an anderer Stelle zu vertiefen. Das reicht von Reportagen im oben beschriebenen Stil, bis hin zu großen Projekten wie dem transmedialen Filmerlebnis "Collapsus", das die brisante Thematik des weltweiten Blackouts als Film, Doku und Spiel gleichzeitig vermittelt.