Sagenhafte 14 Emmys hat "Shōgun" in den Creative Arts-Kategorien am vergangenen Wochenende schon gewonnen - und damit bereits vor der Vergabe in den Schlüsselkategorien in der großen TV-Gala am Sonntagabend (hierzulande in der Nacht zu Montag ab 2 Uhr nachts live bei Magenta TV zu sehen) einen neuen Allzeit-Rekord aufgestellt. Noch in keinem der 75 Emmy-Jahre zuvor hat eine Serie in einem Jahr so viele Emmys gewonnen, der bisherige Rekord lag bei zwölf und wurde 2015, 2016 und 2019 gleich drei Mal von "Game of Thrones" aufgestellt.
Die Frage ist nun also: Was kann "Shōgun" am letzten Abend noch drauf packen? Wie viel deutlicher kann also der alte Rekord noch übertroffen werden? An den Creative-Arts-Abenden hat "Shōgun" von 16 theoretisch möglichen Preisen schon 14 abgeräumt. In der TV-Gala verteilen sich nun noch acht ausstehende Nominierungen auf sechs Kategorien - im Höchstfall könnten am Ende also bis zu 20 Emmys stehen. Neben der Königskategorie "Beste Dramaserie" sind hier noch Preise Hiroyuki Sanada und Anna Sawai in ihren Hauptrollen möglich, Tadanobu Asano und Takehiro Hira machen sich als beste Nebendarsteller gegenseitig Konkurrenz, auch für Regie und Autorenteams sind Emmys möglich.
Das starke Abschneiden ist schon deshalb um so bemerkenswerter, weil die Serie nicht besonders einfach zu konsumieren ist - werden die Dialoge doch zu 90 Prozent auf japanisch geführt und sind somit für alle Nicht-Japanisch-Kundigen nur mit Untertiteln zu verstehen. Sie fordert also die voll Aufmerksamkeit - und belohnt ihr Publikum damit, in eine Welt einzutauchen, die selbst den allermeisten Geschichtsinteressierten aus dem Westen bislang wohl meist verborgen blieb. Die Serie spielt im Japan des 17. Jahrhunderts, in dem der britische Navigator John Blackthorne gemeinsam mit seiner Crew in einem japanischen Dorf strandet, wo er zunächst gefangen genommen und dann nach Osaka gebracht wird, wo er einen der fünf Regenten treffen soll. Der erkennt bald, wie nützlich ihm Blackthorne im Konflikt darüber, wer künftig über Japan herrschen wird, sein könnte. Als Publikum erfährt man so nebenbei viel über die damalige japanische Kultur, über Samurai, über die Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen England und Portugal.
Die "Shōgun" in den Creative-Arts-Kategorien so stark abräumte führte natürlich im Gegenzug dazu, dass das Preis-Konto der Konkurrenz noch vergleichsweise leer ist. "The Crown", "Mr. & Mrs. Smith" und "The Morning Show" haben bislang jeweils zwei Emmys gewinnen können, die anderen als beste Drama-Serie Nominierten stehen noch bei Null. Dass sie an die Gesamtzahl von "Shōgun" herankommen, ist freilich nicht mehr möglich, chancenlos sind sie in den Schlüsselkategorien aber keineswegs. Bei "The Morning Show" etwa sind elf der insgesamt 16 Nominierungen sogar noch ausstehend - sie verteilen sich allerdings auf nur fünf Kategorien.
Diese ungewöhnliche Ballung erklärt sich damit, dass die Mitglieder der Television Academy das gesamte Ensemble für so gut befanden, dass sie fast alle nominiert haben. Und so sind mit Reese Witherspoon und Jennifer Aniston nicht nur beide Hauptdarstellerinnen nominiert, mit Nicole Behari, Greta Lee, Karen Pittman und Holland Taylor kommen auch vier von sieben nominierten Nebendarstellerinnen von "The Morning Show" - und auch bei den Männern sind es mit Billy Crudup, Mark Duplass und Jon Hamm drei von sieben. In dieser regelrechten Schwemme an Schauspiel-Nominierungen spiegelt sich wohl auch die Tatsache wieder, dass die Serie mit dem Serien-Tod der männlichen Hauptfigur und damit dem Ende des ursprünglichen Erzählstrangs notwendigerweise stärker zur Ensemble-Serie weiterentwickelt werden musste. Wenn "The Morning Show" angesichts der Menge an Nominierungen in den Schauspiel-Kategorien letztlich leer ausgehen sollte, dann wäre das schon eine Überraschung.
Die theoretische Chance auf die meisten Emmys während der TV-Gala hat aber weder "Shōgun" noch "The Morning Show", sondern "The Crown" - denn sie ist gleich in sieben Kategorien noch im Rennen. Eine Auszeichnung als beste Drama-Serie käme hier wohl der Würdigung des Gesamt-Werkes gleich, das über sechs Staffeln die Geschichte der Regentschaft von Elisabeth II. erzählt hat - mit dem Tod Dianas und den Folgen als Abschluss. Je näher die Serie an die Gegenwart rückte, desto lauter wurden allerdings auch kritische Stimmen, ein zweiter Emmy als beste Drama-Serie nach 2021 ist also alles andere als ein Selbstläufer. Doch Imelda Staunton als Queen, Dominic West als Prinz Charles, Elizabeth Debicki als Prinzessin Diana, Lesley Manville als Prinzessin Margaret oder Jonathan Pryce als Prinz Philip haben durchaus mehr als nur Außenseiterchancen auf einen Emmy-Gewinn.
Ähnlich sieht es bei Maya Erskine und Donald Glover aus, die es als Mr. und Mrs. Smith schafften, der Geschichte so viel mehr Tiefgang zu verleihen als es die Film-Vorbilder Angelina Jolie und Brad Pitt einst vermochten - was natürlich auch an den Büchern lag, für die Donald Glover übrigens gleich nochmal nominiert ist. Insgesmt ist die Serie noch fünf Mal im Rennen, in der Kategorie Beste Drama-Serie wäre ein Preis aber schon eine faustdicke Überraschung - ähnlich wie beim Rest des Feldes, das nach den Creative-Arts-Abenden ja noch völlig ohne Preis dasteht.
Die Netflix-Science-Fiction "3 Body Problem", in der sich die Menschheit auf die Ankunft außerirdischer Invasoren in einigen Hundert Jahren einstellen muss, hat überhaupt nur noch einen Schuss übrig, und zwar in der Königskategorie Beste Drama-Serie. Das aus "Game of Thrones"-Zeiten so preisverwöhnte Duo David Benioff und D.B. Weiss kann das Emmy-Jahr 2024 daher gedanklich wohl schon abhaken. Dass die Apokalypse-Serie "Fallout" von 13 Emmy-Chancen bislang 0 verwandelt hat, ist auch eher kein gutes Zeichen, zumal der Serie eher in Creative-Arts-Kategorien wie Production Design oder Make-Up oder Stunts Chancen zugerechnet worden waren. Nun stehen noch drei Kategorien aus, darunter auch eine Nominierung für Walton Goggins als bester Hauptdarsteller.
Und dann wären da noch zwei Serien aus der Rubrik "Bislang zu unrecht (weitgehend) übersehen". Zum Einen ist das "The Gilded Age" - also die Serie von Julian Fellowes, die unübersehbar an seinen anderen großen Erfolg "Downton Abbey" erinnert, nun aber im "Gilded Age" der 1880er in New York spielt. Die erste Staffel flog mit einer einzigen Nominierung noch völlig unterm Radar, diesmal reichte es immerhin für sechs, von denen drei auch noch nicht vergeben sind: Carrie Coon als beste Hauptdarstellerin, Christine Baranski als beste Nebendarstellerin - und eben die Königskategorie der besten Drama-Serie. Baransky ist schon ein Emmy-Veteran, es ist in ihrer Karriere schon die 16. Nominierung als Schauspielerin. Siegreich war sie nur bei der allerersten im Jahr 1995 in der - heute etwas in Vergessenheit geratenen - Sitcom "Cybill".
Die andere ist "Slow Horses", der Spionage-Thriller von Apple TV+, der zwei Staffeln lang komplett unterm Radar lief und erst mit Staffel 3 plötzlich auf der Emmy-Liste aufploppte. Noch ist das Emmy-Konto zwar leer, doch fünf von neun möglichen Kategorien wurden ja auch noch gar nicht vergeben. Klar, eine Auszeichnung als Beste Drama-Serie aus dem Nichts heraus käme schon einer Sensation gleich - doch warum nicht ein Preis für Gary Oldman für seine Rolle des heruntergekommenen aber weiter genialen Leiter des "Slough House", wohin der MI-5 jene Agenten abschiebt, die entweder unfähig oder sonstwie in Ungnade gefallen sind? Denkbar ist das ebenso wie ein Emmy für Jack Lowden als bester Nebendarsteller, auch für Regie, Autorenleistung ist die Serie noch im Rennen.
Erst am frühen Montagmorgen werden wir endgültig wissen, wozu die besonderen Bedingungen dieses Emmy-Jahres nach dem großen Hollywood-Streik geführt haben. Denn weil ein halbes Jahr nicht produziert werden konnten, war das Feld der möglichen Emmy-Preisträger in diesem Jahr im Vergleich zu früheren Jahren erheblich ausgedünnt. Das führte dazu, dass unerwartete Serien auf der Nominierungsliste auftauchten. Nun wird sich zeigen, ob es bei den Preisträgern zu einer noch stärkeren Konzentration auf die dominierende Serie führt - der schon vorab gebrochene Rekord durch "Shogun" deutet stark darauf hin - oder ob auch hier noch Überraschungen drin sind.
Die Verleihung der Emmys ist aufgrund der Zeitverschiebung hierzulande zu nächtlicher Stunde zu sehen. Magenta TV überträgt die Verleihung in der Nacht vom 15. auf den 16. September ab 2 Uhr live auf #dabeiTV, zuvor gibt's ab 0:30 Uhr schon Vorberichterstattung und Bilder vom Roten Teppich.