Mit zwei Serien ist HBO in diesem Jahr prominent im Emmy-Rennen vertreten: Einerseits ist da "Succession" in den Drama-Kategorien und andererseits eben "Watchmen" bei den Limited Series. Die beiden Serien könnten unterschiedlicher nicht sein. Einerseits ein vergleichsweise konventionell aber makellos erzählter Poker um Macht im New Yorker Mediengeschäft, andererseits eine visuell atemberaubende, manchmal sperrige Comicbuch-Realverfilmung. "Watchmen" ist der Inbegriff von serieller Avantgarde. Zum Glück aber zahlt sich die investierte Zeit bei der von Damon Lindelof umgesetzten Serienadaption des Stoffs aber aus. Eine wichtige Entwarnung für alle, die bei Lindelof noch das "Lost"-Desaster in Erinnerung haben.



"Watchmen" wurde mit der HBO-Serie nicht zum ersten Mal verfilmt. Vor gut zehn Jahren gab es schon einen Hollywood-Blockbuster, der aber formbedingt nicht so tief eintauchen konnte in die originär in den 80ern erschienene Graphic Novel von Alan Moore und Dave Gibbons - und inhaltlich flach blieb. Kein Vergleich zur Serie: Die neue Adaption ist laut Schöpfer Lindelof auch eher als Remix der Comic-Serie zu verstehen, orientiert sich zwar am damals geschaffenen Universum, aber spielt 34 Jahre später und versteht sich mit dem Fokus auf dem höchstaktuellen Thema des Rassismus in den USA als Fortsetzung jener "Watchmen"-Welt, in der Superhelden mit unterschiedlichsten Absichten existieren.

Die Besonderheit dieser Serie: "Watchmen" schürt auf Anhieb scheinbar unerreichbare Erwartungen, verspricht schon in der Auftaktfolge das ganz große Rad zu drehen - und schafft es dann sogar alles noch zu übertreffen. Am Ende der Staffel wird alles eingelöst, was zuvor aufgebaut wurde. Inhaltlich ergibt alles einen Sinn, die Zusammenhänge erschließen sich - eine heute leider zu selten gewordene Genugtuung. Unsere Serienkolumnistin Ulrike Klode sagt: "Ich war von Anfang bis Ende begeistert von den Hauptfiguren, allen voran die bewundernswerte Angela Abar - großartig gespielt von Regina King -, von den starken Geschichten und der gesellschaftlichen Relevanz, den Denkanstößen."

Man kann nicht viel über die Serie erzählen ohne zu viel zu erzählen. Aber es ist nicht nur die Story, die "Watchmen" dieses Jahr in den Emmy-Olymp beförderte. Auch visuell setzt die Serie Maßstäbe, überrascht mit jeder Folge. Entweder, weil neue spannende Figuren oder unerwartete Wendungen eingeführt wurden. Oder, weil man ungewöhnliche Erzähltechniken gewählt hat. Oder, weil aus ungewöhnlichen Perspektiven erzählt wurde. So wurde eine Geschichte, die für sich genommen übersichtlich ist, zu einem spannenden, herausforderndem Gewirr, das sich vor den Augen des Publikums höchst ästhetisch entwirrt wurde. "Wie unerreichbar gut ist bitte Folge 8?!?", merkt unsere Kollegin Klode an. "Ich wünschte, ich hätte die Zeit, die komplette Serie noch einmal zu schauen. Dieses Mal aber am Stück."

Für HBO ist "Watchmen" ein wichtiges, lautstarkes Lebenszeichen. Im Frühjahr 2019 beschworen nicht wenige Branchenbeobachter theatralisch schon den Untergang von HBO, wenigstens aber eine Zäsur. Nach sechs Jahren an der Spitze von HBO und fast 28 Jahren bei Time Warner kündigte HBO-CEO Richard Plepler seinen Abschied an. Eine Entscheidung sicher auch im Zusammenhang mit den Umbauplänen von WarnerMedia. Doch nicht nur die Personalie an der Spitze sorgte für den Eindruck, dass ein HBO-Zeitalter enden könnte. Drei langjährige Säulen des HBO-Programms endeten 2019 nur wenige Wochen hintereinander mit ihren finalen Staffeln: Die Politsatire "Veep", die Comedy "Silicon Valley" und natürlich das Fantasy-Epos "Game of Thrones".

Doch noch während sich die Fans über die finalen Folgen der Story aus Westeros aufregten, landete HBO mit "Chernobyl" einen Überraschungserfolg, den vorher niemand auf dem Zettel hatte. Die Miniserie überzeugte gleichermaßen Publikum, Kritiker und die Mitglieder der Academy of Television Arts & Sciences beeindruckte. So waren die Emmys 2019 einerseits das große Abschiedsspektakel für HBO-Kultserien aber auch schon ein Beweis dafür, dass die Konkurrenz zwar immer stärker wird und Netflix inzwischen bekanntlich auch im Network-Ranking an HBO vorbeigezogen ist. Aber für allzu große Theatralik ist es zu früh. Mit der Vielzahl der Produktionen, die Netflix inzwischen dank der weitaus größeren Abonnentenbasis raushaut, mag HBO nicht mehr mithalten können. 26 Emmy-Nominierungen für "Watchmen" sind aber ein verdientes Ausrufezeichen für dieses Meisterwerk.