Während in Deutschland das Produktionsgeschäft schon längst wieder angelaufen ist, hat die Corona-Krise die US-Fernsehbranche erheblich stärker getroffen und über etwa ein halbes Jahr hinweg lahmgelegt. Erst in diesen Wochen laufen die ersten Produktionen nun wieder langsam an - unter strikten Quarantäne-Regeln. Dass es in diesem Moment kaum vorstellbar ist, die Top-Stars bei den Emmys wie üblich an einem Ort zu versammeln, um die herausragenden Leistungen des zurückliegenden TV-Jahres zu ehren, liegt auf der Hand. Stattfinden wird die Emmy-Verleihung trotzdem - doch statt des alljährlichen Konzepts auf Wiedervorlage mussten die Macher in diesem Jahr fast alles neu denken.
So gibt es diesmal eine komplette Emmy-Woche. Aufgrund der fast unüberschauber großen Anzahl an weit über 100 Kategorien für alle möglichen Gewerke wird ein Großteil der Preise wie üblich vorgelagert bei den "Creative Arts Emmys" verliehen. Statt an zwei Abenden am Wochenende vorher streckt man diese Verleihung nun gleich über fünf Abende. Die ersten vier Shows werden von Montag bis Donnerstag kommender Woche auf emmys.com übertragen, nach einer Pause am Freitag gibt's dann am Samstagabend noch einen Nachschlag, der dann auch im klassischen Fernsehen bei FXX läuft. Damit will man offenbar verhindern, dass die einzelnen Abende zu lang geraten.
Dafür, dass es zumindest in den Übergängen recht munter zugehen sollte, sorgt die Wahl der Moderatorin für die fünf Creative-Arts-Abende: Nicole Byers, bekannt u.a. aus der Netflix-Show "Nailed it", führt durch die Sendungen, in der natürlich neben den Laudatoren auch die Gewinner zu Wort kommen sollen. Und das führt zu einem ersten großen Kuriosum in diesem Jahr: Dass Nominierte ihre Dankesrede proben bevor sie sie dann Falle eines Sieges halten, ist nicht ungewöhnlich - da diesmal die Nominierten aber ja nicht vor Ort sind, haben die Produzenten alle gebeten, diese Dankesrede auch direkt voraufzuzeichnen und einzuschicken, so dass sie im Fall eines Sieges dann eingespielt werden kann. Was bei einer solchen, "kalt" gehaltenen Dankesrede fehlen wird: Emotionen. Die echte Freude über den gerade gewonnenen Award.
Das will man bei der großen Emmy-Gala am Sonntag kommender Woche (hierzulande in der Nacht zum Montag ab 2 Uhr, live bei TNT Serie) besser machen. Sie sollen so live wie irgendmöglich über die Bühne gehen. Auf dieser Bühne steht Jimmy Kimmel, der für ABC einmal mehr die Emmy-Verleihung moderieren wird. Und diese Bühne wiederum steht diesmal nicht im Microsoft Theater, sondern auf der anderen Straßenseite im Staples Center in Downtown L.A. Der Grund: Hier ist nicht nur deutlich mehr Platz, was den Mitarbeitern vor Ort ermöglichen soll, Abstände einzuhalten, weil die Arena sonst u.a. für Sportevents genutzt wird, sind dort auch die Voraussetzungen für die Übermittlung zahlreichere paralleler Live-Feeds besser. Und davon wird es eine Menge geben.
Denn außer Jimmy Kimmel, einigen Laudatoren und der Crew wird niemand im Staples Center sein, auch keine Nominierten. Stattdessen will man in einem logistischen Kraftakt eine Kamera zu jedem Nominierten bringen, der dann im Moment der Verkündung des Siegers auch live zu sehen sein soll - und dann von wo auch immer live seine Dankesrede halten kann. Man könnte sich das im Videochat-Zeitalter natürlich einfach machen - doch dass sich die Nominierten selbst mit der Handy- oder Laptopkamera filmen, soll keine Option sein. "Wir versuchen, die Emmys zu produzieren und nicht die Zoomies", kommentierte Ian Stewart von der verantwortlichen Produktionsfirma Done+Dusted das kürzlich gegenüber "Variety". Man muss also versuchen, nicht nur professionelles Kamera-Equipment zu jedem Nominierten zu bringen, sondern auch noch jemanden, der es bedienen kann. Und das ist schon deswegen gar nicht so einfach, weil sich viele Schauspieler aktuell in strikter Quarantäne befinden, um dann demnächst wieder mit den Dreharbeiten loslegen zu können. Hier hofft man beispielsweise auf fähige Familienmitglieder - Lösungen müssen hier in jedem Einzelfall gefunden werden.
Apropos Einzelfall: Nach Schema F wird bei den diesjährigen Emmys wohl ohnehin nichts ablaufen können. So stellt sich ja auch die Frage, wie man den Preisträgern die Emmy-Statue eigentlich überreichen will. In L.A. ließe sich das teils noch arrangieren, manche Nominierte wohnen aber teils in ganz anderen Ländern, zugeschaltet werden können sie von überall. Und so wird sich die Zeremonie von Kategorie zu Kategorie unterscheiden. "Wir werden viel Variation und Experimentelles in der Show haben", so Stewart. Spannend wird ohnehin, wie und von wo sich die Nominierten melden. Die Produzenten machen da keine Vorschriften: Ob aus dem eigenen Haus, aus dem Garten oder von der Straße, ob im Abendkleid oder im Pyjama - erlaubt ist, was gefällt. Damit ist auf jeden Fall sicher: Es wird deutlich lockerer zugehen als in den vergangenen Jahren. Und es ermöglicht ja auch für die Preisträger selbst ganz neue Inszenierungen: "Viele widmeten in den letzten Jahren den Emmy ihren Kindern - diesmal können sie sich gleich aus dem Kinderzimmer melden", meinte Co-Produzent Reginald Hudlin in "Variety". Mehr denn je gefragt ist in diesem Jahr also auch die Kreativität der Preisträger.
Was ersatzlos entfällt: Der Gang über den Roten Teppich. Damit fällt allerdings auch ein erheblicher Teil der Berichterstattung in der Presse weg - und die Möglichkeit für Stars und Sternchen, sich zu präsentieren. Die Überlegung, einen virtuellen Ersatz zu schaffen, hat man schnell wieder verworfen - zu komplex schienen die Planungen, überhaupt eine Show auf die Beine zu stellen, als dass man sich auch damit noch hätte beschäftigen wollen. Doch auch für berichterstattende Medien hat man sich eine Lösung ausgedacht: Ein virtuelles Medien-Center. Akkreditierte Journalisten und Medien erhalten darüber die Möglichkeit, direkt mit den Gewinnern der einzelnen Emmy-Kategorien sprechen zu können, wenn schon der traditionelle "Winners Walk" ausfällt.
Klar ist: Alle Beteiligten - Produzenten, Nominierte, Preisträger und Medien - werden bei den Corona-Emmys vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Gehen die Pläne auf, könnte im besten Fall die überraschendste und abwechslungsreichste Show seit Jahren heraus kommen. Technische Probleme, fehlende Stimmung oder sonstige Unvorhersehbarkeiten könnten aber auch in einer recht penlichen Veranstaltung enden. Besonders spannend wird 72. Emmy-Verleihung in jedem Fall. Und DWDL.de wird auch in diesem Jahr wieder ausführlich davon berichten - zwar zum ersten Mal seit 2009 nicht von vor Ort aus Los Angeles, aber mit gewohnt ausführlichem Blick auf die Favoriten, Außenseiter, Gewinner und Verlierer. Mehr dazu ab sofort und in den kommenden Tagen in unserem Emmy-Special.