"Ich erwache jeden Morgen mit dem Gedanken: Welcher Teil von mir wird heute nicht funktionieren?!". Dies merkt der 86-jährige Oscarpreisträger Alan Arkin als Norman Newlander in der Auftaktstaffel von "The Kominsky Method" gegenüber dem 75-jährigen Michael Douglas als Sandy Kominsky resigniert an. Die für Netflix von Chuck Lorre produzierte Comedy-Serie macht genau das zum Thema: alte weiße Männer und ihre Alltagsprobleme. Sie fokussiert also primär eine Zeit, in der man dem Lebensende näher ist als der Lebensmitte. Dem Duo Kominsky/Newlander das Adjektiv "alt" zuzuweisen, dürfte dabei nicht zum Tod durch Blitzschlag führen – oder zu einem Shitstorm - denn immerhin bezeichnen sie sich selbst so: "Halb so alt wie du ist immer noch alt".
Und so geht es als Teil des gesellschaftlichen Lebens im Alter von einer Beerdigung zur nächsten. Was durchaus nichts Schlechtes sein muss, denn immerhin trifft man dort auf alte Bekannte, woraus sich als Nebeneffekt des traurigen Anlass' eine schöne Liasion entwickeln kann. Schwarzhumorig negativ ist also nicht alles bei "The Kominsky Method", auch wenn eine vergrößerte Prostata nichts Gutes bedeuten wird. Nachdem das Konzept "Früher war alles anders" – und anders meint hierbei tendenziell eher besser, oder zumindest leichter – bereits im letzten Jahr bei den Emmys mit drei Nominierungen bedacht worden war, geht es im Corona-Jahr 2020 genau so weiter. Neben einer Nominierung als beste Comedy-Serie sind auch die beiden Herren für die beste schauspielerische Leistung in der Haupt- und Nebenkategorie nominiert.
Gewinnen konnte die Netflix-Serie im letzten Jahr jedoch nichts. Gar nicht im Teilnehmerfeld war dahingegen die semi-autobiographische HBO-Comedy "Curb Your Enthusiasm" von und mit Larry David. Sie wurde aber nicht etwa verschmäht, sondern lief einfach nicht im entsprechenden Zeitraum. Die Serie selbst kann durchaus als Dauerläufer bezeichnet werden, denn immerhin war sie bereits vor 19 Jahren das erste Mal nominiert. Das Vorbild zur deutschen Serie "Pastewka" ist nicht nur die älteste unter allen acht nominierten Comedys, sie zählt mit insgesamt 47 in der Emmy eigenen Geschichte zugleich am meisten Nominierungen im Vergleich zur Konkurrenz. Und auch der Protagonist ist mit 73 Jahren...nicht mehr der Allerjüngste.
Larry David hat sich meiner Meinung nach in zehn Staffeln optisch kaum verändert – und ähnlich sieht es auch mit dem Aufbau der Folgen aus. Der in positivster Hinsicht irgendwie immer gleich alt gebliebene David hat nach wie vor nicht ganz so gut gemeinte Tipps auf Lager. Zudem hat er sich seine Streitsüchtigkeit über all die Jahre bewahrt und ist nach wie vor Opfer seines selbst herbeigeführten Dilemmas. So erhält die Geschichte über einen Faux-Pas, über einen Faux-Pas, über einen Faux-Pas (usw.) in diesem Jahr vier Nominierungen, wobei der F-Wort-Liebhaber selbst nicht als bester Schauspieler nominiert ist.
Auch wenn David im Sozialen immer zu scheitern droht, so ganz geht es doch nicht bergab mit ihm. Irgendwie fängt er sich immer wieder und das Ganze beginnt erneut von vorne. Die Figur aus "The Marvelous Mrs. Maisel" Miriam "Midge" Maisel würde darüber vielleicht urteilen: "Männer wachsen, wenn sie scheitern – Frauen schrumpfen". Diese Weisheit in Bezug auf die Unterschiede der Geschlechter artikuliert sie nach einem missglückten Stand-Up-Auftritt in Las Vegas. Denn die Figur der Amazon-Serie geht in der dritten Staffel als Vorprogramm einer Swingband auf Tournee und sieht ihr Schicksal zum ersten Mal in ihrem Leben noch selbstbestimmter in der eigenen Hand.
Die märchenhaft inszenierte Serie der "Gilmore Girls"-Macher Sherman-Palladino/Palladino über die Emanzipation von der Hausfrau und Mutter Maisel zur von einem Ehemann unabhängigen Künstlerin in den 50er und 60er Jahren zählt auch in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Nominierungen. Nach "Watchmen" ist es gar die am zweithäufigsten nominierte Produktion im gesamten Tableau. Neben vielen Nominierungen in den Werkskategorien finden sich aber auch Nominierungen in allen Kategorien, die die schauspielerischen Leistungen berücksichtigen. Mit einer Ausnahme: die des männlichen Hauptdarstellers.
Dass die Story den Academy-Mitgliedern zusagt, sieht man auch an sage und schreibe 16 Siegen in den letzten beiden Jahren – absoluter Highscore im Feld der Nominierten. Und natürlich ist die alles überstrahlende Protagonistin wieder als beste Hauptdarstellerin nominiert. Rachel Brosnahan hofft nach dem Sieg im Vorjahr wieder auf die Trophäe. Tony Shaloub, Sterling K. Brown, Alex Borstein, Marin Hinkle, Luke Kirby und Wanda Sykes komplettieren das Maisel-Feld in anderen Kategorien.
"Die Maisel" könnte also wieder auf die Pole Position zurückkehren und sich den Platz zurückerkämpfen. Ein Blick in die jüngste Emmy-Geschichte zeigt gar, dass es die Männer im Bereich der besten Comedy-Serie nicht mehr einfach haben. Nachdem sowohl im letzten als auch im vorletzten Jahr das Comedy-Segment mit Protagonistinnen glänzte und diese zugleich auch jeweils den Emmy für die beste schauspielerische Leistung ergattern konnten ("Fleabag" und Phoebe Waller-Bridge 2019, sowie "The Marvelous Mrs. Maisel" und Rachel Brosnahan 2018), verrät ein Blick noch weiter zurück, dass dies gar schon länger der Fall ist und mit "Veep" begann. Immer wenn die HBO-Produktion "Veep" in den drei Jahren zuvor diese Kategorie gewann, ging auch Julia Louis-Dreyfus als Siegerin hervor. Seit fünf Jahren bedeutet die Auszeichnung für die beste Comedy also auch, dass die dazugehörige Protagonistin den Emmy bekam.
Im letzten Jahr zeichneten die Academy-Mitglieder eine britische Produktion aus und prämierten bekanntlich die zweite – und vermutlich letzte – "Fleabag"-Staffel. Das war angesichts der Vorliebe für die amerikanischen Abstimmungsberechtigten für amerikanische Produktionen überraschend. Angesichts der Stärke der Serie allerdings wiederum auch nicht. Vielleicht hat "Insecure" ähnliches Glück und wird nun von dem Kreis entdeckt? Immerhin zählt "Insecure" von und mit Issa Rae mit bereits vier Staffeln zu einem von zwei Frischlingen in der Runde. Mit 8 Nominierungen und damit fast 3 Mal so vielen wie in allen Vorjahren zusammen, zeigt sie sich außerdem recht dominant.
Auch das passt zum Inhalt der HBO-Serie. Diese basiert lose auf der Webserie "Awkward Black Girls" und führt das Leben zweier Freundinnen in Los Angeles vor: zwei nach außen hin sehr starke, schwarze Frauen, die in ihrer Freizeit gerne tanzen, rappen und daten. Auch wenn Issa Rae es in einem bekifften Zustand sagt, gilt für sie zumindest temporär: "Kein Job, kein Mann. Das klingt alles schlimm, aber in Wirklichkeit ist es gut."
Keine Männer mehr haben auch die beiden Protagonistinnen bei der von Will Ferrell produzierten Serie "Dead To Me". Einer verliert sein Leben durch einen Autounfall – der andere findet sein Ende mehr oder weniger in einem Swimmingpool. Die Frauen haben dabei ihre Finger im Spiel. Die Netflix-Produktion ist nicht nur als "Beste Comedy-Serie" nominiert, Christina Applegate und Linda Cardellini treten sogar gegeneinander im Haupdarstellerinnen-Fach an.
Komplettiert wird der Reigen in der Kategorie der besten Comedy-Serie zudem von den beiden bereits beendeten Serien "Schitt's Creek" (Pop TV) und Michael Schurs "The Good Place" (NBC), sowie dem Neuling "What We Do In The Shadows" (FX Networks). Überraschend ist dabei vor allem, dass die Serie kanadischen Ursprungs, "Schitt's Creek", über die ersten vier Jahre hinweg überhaupt nicht bedacht wurde und zum Abschied mit gewaltigen 15 Nominierungen ins Rennen geht. Sollte die Fish-Out-of-Water-Geschichte über den Abstieg der weißen, einst reichen und privilegierten Familie Rose als Sieger aus der zweiten Reihe hervorgehen, wäre nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera gar eine Familie der Gewinner. Eines gilt nach Alan Arkin, bzw. Norman Newlander, für Männer wie für Frauen und damit auch für alle Familienmitglieder in jedem Fall: "Wir sind Passagiere auf Booten, die langsam sinken." Recht hat er.