(Eine Übersicht aller Gewinner der 69th Primetime Emmys
in kompakter Listenform finden Sie am Ende des Artikels)
Merken Sie sich diese Serie: „The Handmaid’s Tale“ hat am Sonntagabend in Los Angeles bei den 69th Primetime Emmy Awards jeden einzelnen Preis gewonnen, den die Produktion des US-SVoD-Portals Hulu überhaupt nur hätte gewinnen können. Die Serie erzählt von einer nahen Zukunft, in der ein brutales Regime die Macht in den USA übernimmt und zum Zweck der gezielten Fortpflanzung in Zeiten von weit verbreiteter Unfruchtbarkeit, Frauen zum Eigentum des Staates erklärt. In Deutschland startet die Serie am 4. Oktober zunächst exklusiv bei Entertain TV Serien, dem neuen VoD-Angebot der Telekom.
In Los Angeles gab es in der Nacht insgesamt fünf Emmys für die herausragende Produktion, darunter den Preis in der Königskategorie als beste Serie des Jahres aus den Händen von Laudatorin Oprah Winfrey. Es ist die erste Serie eines Streaming-Anbieters in der Königsklasse. Zuvor gewann schon Elisabeth Moss - in ihrer Karriere bislang schon acht Mal von der Television Academy übergangen worden - mehr als verdient für die Hauptrolle in „The Handmaid’s Tale“. Regisseurin Reed Morano wurde für die Arbeit an der Pilotfolge der Serie ausgezeichnet; Bruce Miller für das adaptierte Drehbuch. Ann Dowd macht den Fünferpack komplett: Sie wurde für ihre Nebenrolle einer dominanten System-Verteidigerin ausgezeichnet und bot mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen die rührendste Dankesrede des Abends.
Bei so viel Academy-Liebe für „The Handmaid’s Tale“ blieben nicht viele Emmys für andere Serien übrig. Gleich zu Beginn des Abends holte John Lithgow den Emmy für seine Rolle des Winston Churchill in „The Crown“ (Netflix). Und kurz vor dem Finale gewann unter großem Applaus des Fachpublikums im Microsoft Theater Sterling K. Brown den Emmy für seine Hauptrolle in der NBC-Überraschung „This is us“, die damit immerhin einen Emmy ergattern konnte und dabei gleichzeitig den einzigen fiktionalen Emmy für eine Network-Produktion darstellte. Der unglaubliche Siegeszug von „The Handmaid’s Tale“ hinterlässt auch klare Emmy-Verlierer: Weder „Stranger Things“ (Netflix), noch „Westworld“ (HBO) - beides im Vorfeld große Favoriten - gewannen am Sonntagabend während der TV-Verleihung nicht einen einzigen Emmy.
Holte den Emmy für seine Hauptrolle in "This is us": Sterling K. Brown
So gibt es im Network-Ranking auch eine große Überraschung, wenn auch nicht an erster Stelle. Da steht einmal mehr HBO mit zehn gewonnenen Emmys. Dahinter folgt aber mit NBC ein werbefinanziertes Traditions-Network mit sechs Emmys und dann Hulu mit fünf Auszeichnungen vor Konkurrent Netflix mit vier Preisen. Trost für Netflix: Amazon ging völlig leer aus. „Danken Sie jedem, der es möglich gemacht hat, dass sie heute gewinnen konnten. In erster Linie ‚Game of Thrones‘ dafür, dieses Jahr nicht wählbar zu sein“, so Stephen Colbert in seinem Opening der 69. Primetime Emmy Awards, das nach einer Einspieler-Reise durch viele der diesjährigen Nominierten und einer Musical-Nummer mit knapp bekleideten Männern in „The Handmaid’s Tale“-Kostümen zuallererst schon auf eine sehr politische Verleihung einstimmte.
In der Comedy gibt es eine neue Rekordhalterin: Zum sechsten Mal gewann Julia Louis-Dreyfus den Emmy für die beste weibliche Hauptrolle in einer Comedyserie. Keiner anderen Künstlerin und keinem anderen Künstler ist es in der Geschichte der Emmys gelungen, mehr Auszeichnungen für die gleiche Rolle zu bekommen. Doch nicht nur das: Auch „Veep“ selbst gewann erneut als beste Comedyserie des Jahres - wie schon in den vergangenen beiden Jahren. Gegen die Dominanz der HBO-Politcomedy hatten auch die beiden jüngeren Herausforderer „Master of None“ (Netflix) und „Atlanta“ (FX) keine Chance. Immerhin: Donald Glover konnte sich über zwei persönliche Emmys für seine FX-Comedy „Atlanta“ freuen: Einmal als bester Hauptdarsteller in einer Comedyserie und für seine Regie bei der Serie. Und für das beste Drehbuch einer Comedyserie wurden unter größten Jubel und spontanen Standing Ovations Aziz Ansari und eben Lena Waithe - und damit die erste schwarze Frau - für das Schreiben einer Comedyserie ausgezeichnet.
Im Late-Night-Wettbewerb wiederum ließ John Oliver seinen Mitbewerbern erneut keine Chance: Der Emmy für die Autoren und der Emmy als beste Variety Talk Series gingen an „Last Week Tonight with John Oliver“. Im Vorfeld waren Emmy-Gastgeber Stephen Colbert und auch Samantha Bee durchaus gute Chancen eingeräumt worden. Doch John Oliver hat einfach einen Lauf und dominiert zusammen mit der NBC-Sketchshow „Saturday Night Live“ den Humor am späten Abend. „SNL“ räumte am Abend vier von fünf möglichen Emmys ab und stützt damit NBC als den Retter der Network-Ehre fast im Alleingang. Die „SNL“-Emmys gingen völlig verdient an Kate McKinnon (spielte u.a. Hillary Clinton) und Alec Baldwin (für seine Darstellung von Donald Trump), den Regisseur der Show Don Roy King und die Show selbst als beste Variety Sketch Series.
In den Kategorien des Segments Limited Series/TV-Movie war HBO auch am finalen Emmy-Abend ungeschlagen: Und das in erster Linie dank des klaren Favoriten „Big Little Lies“, das ebenso wie „The Handmaid’s Tale“ fünf Emmys abräumte. Die Produktion holt sich die Auszeichnung als beste Miniserie. Nicole Kidman gewann den Emmy für ihre Hauptrolle, Laura Dern und Alexander Skarsgard wurden für ihre Nebenrolle und Jean-Marc Vallee für seine Regie-Arbeit ausgezeichnet. Der Emmy für das beste Drehbuch in diesem Segment (von Charlie Brooker) sowie die Auszeichnung als bester Fernsehfilm gingen an „Black Mirror: San Junipero“ (Netflix). Kein Grund zur Traurigkeit bei HBO: Der Emmy für die beste männliche Hauptrolle holte sich wiederum Riz Ahmed für die Miniserie „The Night Of“ des Premium-Kabelsenders ab.
"Big Little Lies": Alexander Skarsgard, Nicole Kidman und Reese Witherspoon
Die Emmy-Verleihung lag in diesem Jahr in den Händen von CBS. Man wollte modern wirken, doch hat dabei leider den Glamour einer solchen Veranstaltung beschnitten: Albern wirkte das einem Studiogelände nachempfundene Bühnenbild inklusive Fotografen im Bühnenhintergrund, die bei einem angedeuteten roten Teppich nur Sekunden nach den Dankesreden den Zirkus des roten Teppichs auf die Bühne des Microsoft Theater brachten. Unnötig hektisch bei einer ohnehin schon hektischen Jagd durch die Kategorien. Überzeugen konnte dafür, wie erwartet, Gastgeber Stephen Colbert mit seinem Opening sowie starken Einspielern, etwa als eingelieferter Moderationsroboter mit Fehlfunktion in der Zentrale von „Westworld“ oder im Interview mit der Emmy-Statue selbst - gespielt von RuPaul.
Doch auffallender und wichtiger als die komischen Momente der Preisverleihung waren in diesem Jahr die politischen Anmerkungen auf der Bühne und bei den Interviews vor und nach der Verleihung, wie Christian Fahrenbach notiert hat.