Bekanntlich wählen bei den Primetime Emmys die Mitglieder der Television Academy die Gewinner. Wer schon einmal im Frühjahr oder Sommer in Los Angeles oder New York war, kennt möglicherweise auch die großflächigen Billboard-Werbungen für Fernsehserien, meist mit dem Zusatz „FYC“ versehen. For your consideration - diese Millionen-schweren Werbekampagnen haben hauptsächlich ein Ziel: Die Wähler der Television Academy zu beeindrucken bei Nominierungsprozess und letztlich der Wahl der Gewinner. Willkommen bei den Emmys, dem jährlich größten Wahlkampf der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Die Academy Awards der Filmwelt sind aufgrund der geringeren Anzahl von Filmen dagegen inzwischen bescheiden geworden.
Aber wie nimmt man den Emmy-Wahnsinn als Academy-Mitglied wahr? Wir haben in den USA mit einem deutschen Fernsehmacher gesprochen, der das aus erster Hand erzählen kann: Er ist Academy-Mitglied und darf wählen. Weil die Television Academy empfindlich auf zu viel Einblicke reagiert, bleibt er anonym. Die Müllabfuhr könnte ihn hingegen identifizieren: Er ist in seiner Nachbarschaft der mit den Unmengen DVDs, die jeden Sommer entsorgt werden müssen. Mag am Ende auch eine glanzvolle Preisverleihungen stehen, die rund um den Globus von Serienfans mit Neugier verfolgt wird - am Anfang stehen der Postbote und ganz viele Pakete. Aber lassen wir unser Academy-Mitglied erzählen…
„Alle Studios und Sender bekommen Deine Anschrift und die pflastern dich mit DVDs zu. Die Academy reguliert nicht wirklich, was die Studios und Sender an Marketing in welcher Form ausgeben. So wird man Teil einer nicht enden wollenden Materialschlacht aus DVD-Boxen, Flyern und Memorysticks mit den nominierten Shows. Du siehst schon eindeutig, wer richtig viel Geld ausgibt und wer nicht. Die schönsten Boxen waren im letzten Jahr von Netflix. Schon skurril, dass es die Onliner sind, die das meiste DVD-Material verschicken“, erzählt er. „Und ganz ehrlich, es bricht mir das Herz, aber die alten ehrwürdigen Networks sehen echt alt aus in der Materialschlacht.“
„Du bekommst derart viel Zeug, dass die zweite Frage in den Membership FAQ der Academy tatsächlich ist: ‚Wie werde ich den ganzen Plunder wieder los?‘ Antwort: Das Akademiebüro nimmt während der Öffnungszeiten gerne DVDs entgegen. Die vierte Frage in den FAQ ist übrigens, ob es die Möglichkeit zum Opt Out gibt, um keine Screener geschickt zu bekommen. Ich habe kurz überlegt, ob ich das machen soll. Dann hat die Eitelkeit gesiegt. Hallo? Ich bin Academy Member, ich will wie alle in dem Zeug ersaufen und mich dann überall lauthals darüber beschweren können. Viel schlimmer als zu viel geschickt zu bekommen, ist ja wohl eindeutig gar nichts geschickt zu bekommen! Und alle die so billig waren und mir nur einen Flyer geschickt haben, die sind natürlich von mir komplett ignoriert worden!“
Er lacht laut. „Nur ein Scherz! Oder vielleicht doch nicht?“ Dieser Wahlkampf, von dessen Werbeanzeigen auch US-Branchendienste monatelang gut leben, beeinflusst vielleicht nicht jeden und nicht vordergründig. Aber er ist schon so etwas wie die Achillesferse der Emmys. „Es muss sich noch erweisen, ob die ganzen Marketingausgaben auch wirklich Sinn machen und die Serien, die am meisten beworben wurden auch gewinnen. Ich bin wirklich gespannt wie Amazon und Netflix, die am meisten ausgeben, den Erfolg ihrer Kampagnen bewerten und ob kleinere Programme auch Erfolg haben.“ Und dann ergänzt er mit einem Grinsen im Gesicht: „Die Nominierung von ‚This Is Us‘ deutet zumindest darauf hin, dass auch kleine Underdog-Networks noch Chancen haben.“
Derart umsorgt bzw. versorgt zu werden, schmeichelt. Aber kann offenbar auch zu familiären Konflikten führen: „Meine Frau wurde unwirsch ob der Materialverschwendung. Ich hatte alle Screener im Gästezimmer zwischengelagert, das irgendwann überquoll ob dem ganzen Material. Da ich die Screener nicht verschenken und schon gar veräußern darf, hat die Müllabfuhr von New York jetzt wahrscheinlich was zu gucken an ihrem Fernsehabend.“ Der Emmy-Wahlkampf kommt aber nicht nur per Post nach Hause. Sender und Studios laden auch ein. Es wird hemmungslos geworben, nur in diesem Jahr nicht um unser Academy-Mitglied.