Die Szenerie: Herbst 2021. Viele von uns sitzen daheim. Die Pandemie läuft sich mit immer neuen Varianten für die bisher größte Ansteckungswelle warm. Im fernen Los Angeles aber hat Helen Höhne eine ganz andere Aufgabe. Die gebürtige Hamburgerin muss einen der weltweit meistbeachteten Filmpreise durch die schwerste Krise seiner Geschichte führen: die Golden Globes. Die waren lange vor allem dafür berühmt, dass die Dankesreden dank großzügigem Alkoholausschank auf den Dinner-Tischen im Laufe des Abends immer witziger und unvorhersehbarer werden. Von 2020 aber folgt eine Katastrophe auf die nächste.
Am 21. Februar 2021 veröffentlicht die Los Angeles Times einen Bericht, der die Hollywood Foreign Press Association (HFPA) hart angeht. Die Gruppe von Auslandsjournalisten, die über die Globes bestimmt, habe weniger als 90 Mitglieder, nicht eine abstimmenden Person sei schwarz und beim Annehmen von Geschenken und großzügigen Einladungen seien viele von ihnen auch nicht so genau, heißt es in dem Artikel. Ein Jahr zuvor stürzte die Pandemie die gesamte Kinobranche in eine Riesenkrise, lange ist sogar unklar, wie Kinos überleben werden. Die Globes halten an ihrem Konzept fest, aber ohne Kinozuschauer, die für ihre Lieblingsfilme mitfiebern, ist das Interesse an Awardshows gering. 2021 hat die Ausstrahlung auf NBC weniger als sieben Millionen US-Zuschauer. Es ist der niedrigste Wert, seitdem die Verleihung Mitte der 90er Jahre übertragen wurde. Im September 2021 übernimmt Höhne den Vorsitz der umstrittenen HFPA. Schließlich die Hiobsbotschaft: NBC zieht sich aus der Übertragung zurück, so dass 2022 die Preisträger in einer beinahe bizarren Form per Tweet verkündet wurden. "Die Globes haben in mancherlei Hinsicht festgesteckt", sagt Höhne heute über diese Krise. "Wir mussten sie neu erfinden – und ich glaube, wir haben das erfolgreich getan."
Trotz Dauerkrise: Aufgeben war keine Option
Es war also sicher keine einfache Zeit für die deutsche Journalistin an der Spitze der HFPA, aber ans Aufgeben dachte sie nach eigenen Angaben trotzdem nie. "Als ich übernommen habe, steckte die Industrie immer noch mitten in der Pandemie", sagt Höhne, die auch heute noch für deutsche Printmedien und TV-Sender über die Filmbranche berichtet. "Es gab keine Pressevorführungen, keine Konferenzen. Für mich hat es sich beinahe wie ein Zeichen angefühlt, dass ich diese neue Aufgabe annehme. Ich konnte mich vollständig auf ein Comeback der Globes konzentrieren."
Anderthalb Jahre später ist sie bei einer Zwischenbilanz zufrieden. "Wir haben sehr hart daran gearbeitet, die Golden Globes zu verändern. Wir haben die Zahl der Abstimmungsberechtigten verdreifacht. Statt um die 90 Abstimmenden sind wir jetzt bei 310 Personen, die 76 Länder auf der ganzen Welt repräsentieren", sagt Höhne. Die Mitglieder der HFPA müssten sich jedes Jahr neu akkreditieren lassen, neue Abstimmende kämen weiter stetig hinzu. Außerdem gebe es ein neues Trainingsprogramm und man arbeite ausdrücklich an Diversity- und Teilhabe-Initiativen, sagt sie. Sexuelle Belästigung, LGBTQ+ und Vielfalt seien wichtige Themen geworden. "Wir machen die Globes zum vielfältigsten Abstimmungsorgan in der Branche", formuliert Höhne das Ziel.
Dieses Jahr lief die Show wieder auf NBC und dank warmherziger Dankesreden und charmanter Moderation des schwarzen Comedians Jerrod Carmichael inklusive Seitenhieb auf die vielen weißen Abstimmenden hat sich der Abend beinahe wie früher angefühlt. Auch wenn die Quoten noch einmal ein wenig schlechter waren scheint es so, als habe die HFPA die akute Krise erst einmal überwunden. Die 49-Jährige war bereits im August als Vorsitzende bestätigt worden. Diese sehr öffentliche Rolle war nicht immer abzusehen, denn ihr Karriereplan war eigentlich ein anderer. In die Vereinigten Staaten kam sie 1994.
Aus einer kurzen Abitur-Reise wurden Jahrzehnte
"Ursprünglich wollte ich das Land nur besuchen. Ich hatte mein Abitur in Hamburg absolviert und wollte eine Auszeit nehmen, um zu reisen", erzählt die heute 49-Jährige. "Ich bin in Newport Beach gelandet, ein wunderschöner Fleck in Kalifornien, besser als das verregnete Hamburg, auch wenn ich dorthin eigentlich immer zurückkehren wollte. Dann aber habe ich meine Eltern überredet, dass ich bleiben würde, um zu studieren", sagt sie – in den USA mit oft zehntausenden Dollar Studiengebühren sei das auch finanziell ein nicht ganz einfacher Schritt gewesen. Schließlich ging es für die junge Hamburgerin an die UC Irvine und sie begann ein Bachelor-Studium in Psychologie.
"Die ganze Zeit war so aufregend für mich. Die Sprache lernen, die Gepflogenheiten, einen für mich komplett neuen Lifestyle." Nach dem ersten Studium entscheidet sie sich für einen Ortswechsel, Los Angeles im Norden lockt. An der Pepperdine University studiert sie auch im Master noch Psychologie und hat immer noch den Plan, auf diesem Gebiet hinterher einen Job zu finden. Doch die Traumstadt mit all den zufälligen Begegnungen mit Regisseuren, Drehbuchautoren und Schauspielern fasziniert Höhne, so dass sie auch noch einige Jahre lang Journalismus studiert und für die Bauer Gruppe in Deutschland anfängt, über Filme zu schreiben. "Einer meiner Chefs dort war Mitglied in der HFPA und obwohl ich daheim die Globes verfolgt hatte, wusste ich nicht genau, wer hinter der Gruppe steckt. Nach ein paar Jahren meinte mein Chef aber, dass ich mich auch um eine Mitgliedschaft bewerben solle. Das ist jetzt 20 Jahre her – und here we are."
Hollywood wird international
In diesen zwei Jahrzehnten habe die Branche sich klar verändert, findet Höhne. Insgesamt sei Hollywood viel internationaler geworden und auch deutsche Produktionen bekämen mehr Aufmerksamkeit als früher. "Wir haben gerade ja ein großartiges Beispiel mit den vier Oscars und dem Riesenerfolg von 'Im Westen nichts Neues'. Ich hoffe, das sorgt dafür, dass mehr deutsche Filme gemacht werden."
Es habe sie überrascht, wie das Weltkriegs-Drama außerhalb der etablierten deutschen Förderstrukturen entstanden sei. "Ich denke, in Zukunft wird ein solcher Film bei Streamern wie Netflix oder Amazon mehr Begeisterung auslösen und vielleicht dafür sorgen, dass sie mehr in deutsche Filme investieren."
Aber auch über den Heimatmarkt hinaus interessieren Höhne internationale Filme aus anderen Kulturen und mit vielfältigen Hintergründen. "Es ist einfach faszinierend zu sehen, wie sich die Schönheit dieser Kunst und des Geschichtenerzählens über Sprachbarrieren hinwegsetzt." Besonders Produktionen aus Südkorea hätten es ihr in den vergangenen Jahren angetan.
Auch dafür, dass sie generell immer noch so sehr vom Medium Film fasziniert sei, hat sie eine Theorie. "Ich denke, das ist ein bisschen Eskapismus", sagt sie. "Du gehst in diesen dunklen Saal, sitzt da mit einem Publikum und es ist einfach schön, die Reaktionen zu sehen und sie zu fühlen." Zuletzt sei ihr das beim South-by-Southwest-Festival in Austin bei der Premiere von Ben Afflecks neuem Film "Air" über den Basketballer Michael Jordan so gegangen. "Die Atmosphäre war elektrisch. Die Leute haben geklatscht, laut gelacht, geschrien. Die Energie war großartig und ich liebe es einfach, dass ein Film eine solche Wirkung auf Menschen haben kann", findet sie. "Es ist doch faszinierend, dass die Leute so aufgeregt sind, wenn sie etwas auf einer Leinwand sehen."
Typisch deutsche Tugenden
Auch im Privaten mag Höhne es, in mehreren Kulturen daheim zu sein. "Inzwischen sind die USA schon so lange meine Heimat, ich habe nicht nur großartige Freunde und eine Familie hier gefunden. Ich habe inzwischen die US-Staatsbürgerschaft, aber auch meine deutsche Staatsbürgerschaft behalten", sagt sie. "Ich bin jetzt 'Dual Citizen' und ich finde, das beschreibt mein Leben ganz gut. Ich liebe es, wie ich großgeworden bin und zurückzukehren – und ich liebe es, hier zu wohnen." Ihre Mutter wohne weiter in Hamburg, ihr Bruder in Berlin und mindestens zwei Mal im Jahr sei sie daheim, um Freunde und Familie zu treffen. "Und ich liebe es, zurückzukommen und Bundesliga zu schauen", sagt Höhne. "Wenn die Leute mich hier beschreiben, dann reden sie über bestimmte Charaktereigenschaften, die man den Deutschen nachsagt: Wir tun, was wir sagen, wir sind bekannt dafür, hart zu arbeiten und Dinge auch zu erledigen. Meiner Meinung nach sind das alles gute Dinge."
Einzig auf das Hamburger Wetter zu verzichten, falle nicht schwer, sagt sie lachend. Und doch sei da manchmal diese Frage, wie ihr Leben verlaufen wäre, wäre sie in Deutschland geblieben. "Aber das weiß man ja am Ende nie, stimmt’s? Ich habe mich jedenfalls jetzt für diesen Weg entschieden. No regrets", zieht sie eine Bilanz. "Ich bin sehr dankbar für mein Leben hier, dieses Land verschafft einem so viele Möglichkeiten. Die Antwort hier ist in den allermeisten Fällen mehr 'Ja' als 'Nein'. Und ich liebe es, mehr 'Ja' als 'Nein' zu hören."