Die Geschichte beginnt mit dem Zugriff der Polizei in einer Tiefgarage. Sehen wir hier etwa, welches Schicksal den jungen Drogendealer Moritz Zimmermann ereilen wird? Nein, stattdessen durchbricht der Teenager lächelnd die "vierte Wand" und spricht in bester Frank-Underwood-Manier direkt zum Publikum: Auf keinen Fall solle man Fremden davon erzählen, wenn man große Mengen an Drogen über das Internet vertickt. "Es sei denn, Netflix meldet sich bei dir und will eine Serie über dein Leben machen", sagt Moritz – und imitiert alsdann das berühmte "Ba-dam", das zu Beginn jeder Netflix-Produktion ertönt.
Den ersten Lacher hat Moritz damit schon direkt auf seiner Seite. Es ist ein außergewöhnlich starker Start in eine ungewöhnliche Netflix-Serie, die dritte aus Deutschland und die erste überhaupt für die Kölner bildundtonfabrik, die hierzulande bislang mit dem "Neo Magazin Royale" oder "Kroymann" für Aufsehen sorgte und gerade erst mit drei Grimme-Preisen geehrt wurde. "How to sell Drugs online (fast)", so der gute Titel ihres Fiction-Aufschlags, kann auch als Bewerbung für Höheres gesehen werden: Seht her, wir können noch mehr.
Umso praktischer, dass die Produktion am Wochenende ihre Weltpremiere beim Serien-Festival Canneseries feierte und sich dort mit neun anderen Produktionen im Wettbewerb befindet. Die internationale Aufmerksamkeit ist der btf damit schon Wochen vor dem Serien-Start gewiss, wie schon alleine ein gerade erschienenes "Variety"-Interview mit Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann zeigt, die als Showrunner und Executive Producer tätig sind. Käßbohrer schrieb neben Sebastian Colley und Stefan Titze auch das auf wahren Begebenheiten beruhende Drehbuch – und das verspricht eine wahrlich ungewöhnliche Geschichte.
Erzählt wird die Geschichte eines Schülers, der gemeinsam mit seinem besten Freund von seinem Jugendzimmer aus mal eben Europas größten Online-Drogenhandel gründet – und das alles, um das Herz seiner Ex-Freundin zurückzuerobern. Verkörpert werden die beiden Kumpels von Maximilian Mundt und Danilo Kamperidis, denen man ihre Figuren in jeder Sekunde abnimmt. Dazu kommt der aus "Club der roten Bänder" bekannte Damian Hardung, der in der Rolle des fiesen Schönlings ebenfalls überzeugt. Und dann ist da auch noch Bjarne Mädel als zwielichtiger Drogenhändler – ohnehin immer und überall ein Selbstläufer.
Zu den Besonderheiten von "How to sell Drugs online (fast)" zählt ohne Zweifel aber in erster Linie die Inszenierung. Laut, schnell und bunt haben die Regisseure Lars Montag und Arne Feldhusen die Serie in Szene gesetzt und damit immer wieder den klaren Bruch zur deutschen Spießigkeit gewagt, die der Handlungsort mit sich bringt. Die Geschichte nimmt nämlich im 28.000-Einwohner-Städtchen Rinseln ihren Lauf, wo, wie wir erfahren, die meistgesuchten YouPorn-Begriffe "Deutsch", "German" und "Sex" lauten. Trotz aller Ungewöhnlichkeit hat die btf also doch eine typisch deutsche Serie gemacht, irgendwie.
Denn natürlich ist "How to sell Drugs online (fast)" ansonsten gar nicht typisch deutsch. In mitunter atemberaubender Geschwindigkeit fliegen Social-Media-Profile, Instagram-Bilder oder Messenger-Nachrichten durchs Bild, und vieles wirkt derart nerdig, dass die meisten vor 1990 Geborenen mitunter Probleme damit haben dürften, der Story in all ihren Details zu folgen. Und so manch erwachsener Zuschauer dürfte erst jetzt realisieren, dass Pornos im Netz noch die geringste Gefahr für den Nachwuchs darstellen.
Genau das macht die btf-Produktion aber zu einer wirklich guten Coming-of-Age-Serie – und man kann nur hoffen, dass die vier weiteren halbstündigen Folgen das Tempo ähnlich hochhalten wie die ersten beiden, die jetzt im Rahmen von Canneseries ihre Weltpremiere feierten.