In diesen Tagen begleitet ABC den Midseason-Start seiner Thriller-Serie "Quantico" mit einer von Lexus gesponserten VR-Verlängerung, mit der man als Nutzer die Rolle eines FBI-Rekruten annehmen kann. NBCUniversal International Networks lässt in Toronto gerade die Science-Fiction-Serie"Halcyon" drehen, die mit zehn Episoden auf den linearen Syfy-Kanälen weltweit und mit fünf VR-Episoden auf der Oculus-Rift-Plattform laufen soll. Die Handlung spielt im Jahr 2058, Virtual Reality ist so allgegenwärtig wie heutzutage Smartphones: Kommissarin Julie Dover von der VR-Crimes-Unit muss den ersten realen Mord aufklären, der in der virtuellen Realität begangen wurde.
"Die tollste Technologie ist nichts ohne fesselndes Storytelling", sagt Brian Seth Hurst, amerikanischer TV-Produzent und Gründer der Strategieberatung StoryTech, im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. "Das Filmemachen für VR ist etwas völlig anderes – buchstäblich eine neue Disziplin und ein neues Genre, das gerade recht spontan durch Trial & Error erlernt wird. Vergleichbar mit der Zeit, als Geschichtenerzähler den Ingenieuren die neu erfundene Filmkamera aus den Händen rissen und die Kunst des Kinos geboren wurde." In der Tat müssen Regisseure und Autoren umlernen. In Film und TV ist man es gewohnt, das zu drehen, was vor der Kamera stattfindet – bei einem VR-Dreh mit 360-Grad-Kamera ist alles drum herum auch davor. Der Regisseur ist nicht mehr derjenige, der entscheidet, wo der Zuschauer hinsieht und worauf er sich konzentriert.
Bislang hat vor allem Googles Cardboard dafür gesorgt, dass viele Menschen für wenig Geld in den Genuss von Virtual Reality gekommen sind. Über fünf Millionen Stück sind seit Juni 2015 nach Unternehmensangaben verkauft worden. Im Geschäft mit High-End-Headsets dürfte Gaming auf absehbare Zeit der wichtigste Treiber sein. Ähnlich wie einst bei den Spielekonsolen, so die Hoffnung vieler Film- und Fernsehverantwortlicher, könnten via Gaming dann auch andere Nutzungsszenarien hinzukommen, wenn Oculus Rift, HTC Vive, Samsung Gear oder PlayStation VR erst einmal im Haus sind. "Wir erwarten ein starkes Wachstum im VR-Endkundenmarkt", so ProSiebenSat.1-Manager Thomas Port. "Die Chancen zur Erschließung neuer Geschäftsmodelle im VR-Bereich waren nie besser als jetzt."
Die Marktorscher von Ovum prognostizieren bis Jahresende weltweit rund sechs Millionen verkaufte High-End-Headsets und 15 bis 20 Millionen Cardboards. Die Münchner Strategieberatung Nunatak geht davon aus, dass 2016 Hardware-Umsätze mit Brillen, Kameras und Controllern 3,9 Milliarden Euro und damit fast das komplette Marktvolumen mit Endkunden ausmachen werden. Bis 2020 würden dann allerdings auch die Umsätze mit Medieninhalten für VR-Plattformen auf 16,4 Milliarden Euro steigen und rund ein Drittel des Gesamtmarkts ausmachen. Eine Spur zaghafter sagt Futuresource aus Großbritannien 71 Millionen Euro an weltweiten Ausgaben für VR-Videos und -Games in diesem Jahr sowie 7,4 Milliarden für 2020 voraus.
Dabei ist durchaus ein typisches Henne-Ei-Problem festzustellen. Sender und Produzenten sind zumindest auf breiter Front noch zögerlich, in VR-Inhalte zu investieren, solange ihr Erlöspotenzial unklar ist. Umgekehrt wirkt sich ein Mangel an attraktiven Inhalten sicher nicht förderlich auf den Absatz der Headsets aus. Ein gemeinsamer Forschungsbericht der Technologiemesse CES und des TV-Programmmarkts NATPE legt die größten Hürden aus Sicht der Branche offen: "das Fehlen eines nachhaltigen Businessmodells für die Entwicklung und Produktion von Inhalten sowie eines klaren Weges zur Monetarisierung". Und weiter: "Es besteht die Sorge, dass es in Folge zu zaghafter Investitionen während der jetzigen Startphase an Qualitätsinhalten mangeln wird, wenn Konsumenten die Hardware in den Händen halten." Neben "Invisible", "Halcyon" & Co. braucht es also wohl noch ein paar mehr schlagende Argumente, damit die virtuelle Erfolgsstory real wird.