Die Gemütslage einer ganzen Generation lässt sich normalerweise nicht im Gesicht einer Person daraus zum Ausdruck bringen. Falls doch, drängt sich aber zügig das von Marie Bloching in der hellsichtigsten Serie unserer zappendusteren Zeit auf. Wie sie die Mimik des vergewaltigten Zimmermädchens Amelie darin von emotionaler Leere über entfesselte Wut bis hin zu einer Art unbekümmertem Fatalismus schlingern lässt und der Gegenwart dabei Raum für jedes noch so bizarre Zukunftsszenario gibt – das bringt die Laune ihrer krisenzermürbten, krisengestählten Alterskohorte besser auf den Punkt als jede Shell-Studie.
Obwohl sie als Kind der Neunziger noch haarscharf zu den Millennials zählt, verleiht Marie Bloching der „Zoomer“ genannten Generation Z demnach Körper, Geist und Seele. Gemeinsam können alle drei zwar ebenso auf dem Asphalt kleben, wie AfD wählen oder Fornite zocken. Eins aber haben die jungen Leute unter 35 mehrheitlich gemeinsam: mit Theorie und Praxis vermeintlich geordneterer Zeiten, hierzulande als „freiheitlich demokratische Grundordnung“ verherrlicht, kommt man irgendwie nicht mehr so recht weiter. Umso interessanter, dass Marie Bloching genau damit ziemlich weit gekommen ist.
Zumindest nach urbaner Lesart wirkt ihr Gesicht (sorry fürs männliche Judging) nämlich nicht nur auf sperrige Art schön; es kann auch ungeheuer authentisch von entzückend auf abgefuckt und zurückschalten. Oder wie es die eingangs erwähnte RTL+-Serie im Titel trägt: „Angemessen Angry“ versöhnen. Wobei genau das in ihrer verblüffend langen Karriere nicht durchweg zu erwarten war. Später ausgebildet an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule, hat sie zwar bereits mit 14 erste Kurzfilmauftritte. Die aber qualifizieren sie offenbar zunächst nur für tragende Nebenrollen leichter, tendenziell seichter Krimi- und Romanzenstoffe.
Titel wie „Lügen haben schöne Beine“ oder „Junggesellenabschied“ sind zunächst ein Stück weit entfernt von jener subtilen Tragikomik, die sie mit annähernd 30 perfektioniert hat. Genauer: seit 2021. Damals lotst Christian Ulmen die 25-Jährige von den Münchner Kammerspielen in die Mockumentary einer popkulturellen Rasselbande aus Hamburg namens „Kleine Brüder“, deren Heimat seinerzeit zur Bühne einer Art Mash-Up aus „Superstore“ und „Stromberg“ wurde.
In Emil und Oskar Beltons Prime-Video-Serie „Die Discounter“, die sie wie nahezu alles im Leben mit ihrem Sandkastenkumpel Bruno Alexander machen, findet Marie Bloching scheinbar den Sinn des Schauspiellebens. Ihre Supermarktkassiererin prokrastiniert den eintönigen Alltag bei „Feinkost Kolinski“ auch in vierter (und letzter) Staffel schließlich nicht nur mit pfiffiger Lethargie weg; sie leiht dem nihilistischen Hedonismus ihrer Altersklasse obendrein eine Stimme von kindlicher Tiefgründigkeit, die nochmals lauter wird, weil das Drehbuch praktisch keine Textvorgaben macht. Muss es auch gar nicht.
Wenn Lia mit „Make me laugh 2 Euro“ um den Hals die Arbeit verweigert, bedarf es schließlich keiner Worte, um dem Wunsch gleichaltriger Frauen nach selbstwirksamer Sichtbarkeit Gehör zu verschaffen – zwei Hauptanliegen vieler Figuren der vergangenen vier Jahre. In Sarah Miro Fischers Vergewaltigungsdrama „Blaue Flecken“ zum Beispiel kämpft sie demnächst ebenso um beides wie in Elsa van Damkes „Angemessen Angry“ oder parallel dazu dem WDR-Thriller „Helix“ ums soziale Sprengstoffthema Kinderwunsch.
Der moderne Feminismus, den Marie Bloching dort jeweils verkörpert, ist mindestens so facettenreich wie die Beharrungskräfte der patriarchalen Gesellschaft ringsum. Wenn ihre Superantiheldin Amelie dafür sexuell gewalttätige Machos foltern muss oder deren Männerbünde in „Die Discounter“ angemessen erbost als „eklige fette Geschwüre“ bezeichnet, macht sie ihr allerdings glaubhaft Dampf. Der rauen Realität so lässig in die Eier zu treten: das muss m/w/d erstmal derart hinreißend hinkriegen wie Marie Bloching 2024. Hoffen wir mal, dass sie 2025 noch viel, viel öfter zutritt.