Wir leben in einer Zeit, in der es mehr Kommunikationsmöglichkeiten denn je gibt. Und in der es um die Kommunikationskultur trotzdem so schlecht bestellt zu sein scheint wie selten zuvor. Die Polarisierung der Gesellschaft hat längst beängstigende Züge angenommen. Und weil Diskussionen immer schneller eskalieren, macht man es sich liebsten in der eigenen Blase bequem. Doch das verstärkt die eigenen Echokammern nur und vertieft die Spaltung der Bevölkerung.
In diesem Umfeld setzte der Hessische Rundfunk im Herbst einen wohltuenden Kontrapunkt zu dieser permanenten Aufgeregtheit. Entscheidenden Anteil daran hatte Nina Pater, in der Programmdirektion des Hessischen Rundfunks (HR) seit 2023 für "medienübergreifenden Journalismus" zuständig. Die damalige Programmdirektorin Gabriele Holzner gab ihr als Fragestellung mit auf den Weg: "Wie gewährleisten wir Meinungsvielfalt, und wie gestalten wir Dialog?" Und Pater selbst erklärte schon vor ihrem Amtsantritt: "Die Welt ist mehr als Schwarz oder Weiß. Unser Job ist es, die Grautöne zu erklären."
Was der Hessische Rundfunk auf all seinen Kanälen dann in diesem Herbst als "Was bewegt euch, Hessen?" sendete, war eine geradezu mustergültige Lösung dieser Aufgabe und führte beispielhaft vor Augen, dass es gelingen kann, echten Dialog zwischen Fremden mit unterschiedlichen Meinungen und Hintergründen wieder in Gang zu bringen. Die Entstehungsgeschichte des ganzen Projekts ist dabei ungewöhnlich - denn die Idee entstand ursprünglich bei der Agentur David + Martin, die sich 2023 den Etat des HR für die Entwicklung einer neuen Kommunikationsstrategie gesichert hatte. Schon damals hieß es, dass man auch an einer Kampagne arbeite, mit der die Rundfunkanstalt stärker in den Dialog mit den Menschen treten solle.
Am Ende stand das langfristig angelegte Projekt "Weil Hessen mehr verbindet" mit dem Experiment "Was bewegt euch, Hessen?" im Zentrum. Dafür hat man knapp 40 Personen, die sich vorher nicht kannten und die in etwa einen Querschnitt der hessischen Bevölkerung darstellten, an einem Wochenende in einem Raum versammelt, um sie dort über all die Themen sprechen zu lassen, die sie bewegen. Dass man es - anders als etwa bei "Die 100" - nicht auf ein Thema zuspitzt, ist dabei der Clou des Formats. Schließlich ist die Erkenntnis, dass einen Mensch viel mehr als eine Meinung zu einem Thema ausmacht, ganz zentral zum Versuch, mehr Verständnis füreinander zu wecken.
Denn auch wenn man bei einem Thema diametral anderer Meinung ist als das Gegenüber, ist das einen Themenkomplex weiter vielleicht schon wieder ganz anders. "Der HR möchte der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen zu gesellschaftlichen Themen Raum geben und gleichzeitig für einen respektvollen Dialog sensibilisieren. Denn beides ist möglich: Unterschiedliche Haltungen und wertschätzender Umgang. Im Zuhören Gemeinsamkeiten finden und Verständnis für andere Positionen entwickeln", erläuterte es der HR.
"Was bewegt euch, Hessen?" ist es gelungen, genau das zu demonstrieren, denn das Experiment ist gelungen, wie die lebhafte und engagierte, aber jederzeit zivilisiert ablaufende Diskussion zeigt. Die Umsetzung überzeugte dabei nicht nur wegen der ungewöhnlichen Optik, sondern auch durch die Tatsache, dass es nicht nur das einstündigen Kondensat des zweitägigen Treffens gab, bei dem es Regisseur Sergej Moya schon erstaunlich gut gelungen ist, die Vielfalt der Debatten und Standpunkte trotz der Verdichtung zu erhalten. Doch daneben wurde auch das Rohmaterial online gestellt und die Herausforderungen des Projekts wie auch die Bedenken vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer offen thematisiert. Die Ausspielung über alle Kanäle des HR hinweg über mehrere Tage, war ebenfalls beachtlich.
Dass sich durch ein solches Experiment die Debattenkultur in Deutschland nun generell verbessert, ist freilich etwas zu viel erwartet. Doch es steht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr gut zu Gesicht, zu zeigen, wie echter Dialog gelingen kann. Das macht Nina Pater und das gesamte Team hinter "Was bewegt euch, Hessen?" für uns zu Bildschirmheldinnen und -helden 2024.