Der 21. April 2024 wird als der Tag in die deutsche Fernsehgeschichte eingehen, an dem ProSieben mit der unkommentierten Live-Schalte zu Antilopen an einem Wasserloch in Namibia zur Mittagszeit rund 600.000 Zuschauerinnen und Zuschauer und einen Marktanteil von 17,7 Prozent in der Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreichte. Und an dem man vor Augen geführt bekam, was in diesem linearen Fernsehen noch für Leben steckt, wenn die einen es wollen und die anderen es zulassen.
Was war geschehen? Nachdem Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in den letzten Jahren schon vielfach unter Beweis gestellt hatten, wie kreativ sie 15 im Rahmen von „Joko & Klaas gegen ProSieben“ gewonnene Minuten Sendezeit mal für Nonsens und mal für unbequeme Themen und wichtige Botschaften einsetzen können, hatte ProSieben anlässlich der 50. Folge des Formats einen besonderen Preis ausgelobt und gleich einen ganzen Sendetag als Hauptgewinn zur Verfügung gestellt. Viel zu verlieren gab es für einen Sender, der Sonntage ja eh meist großflächig mit Wiederholungen bestückt, nicht.
Einen Programmablauf, an dem das Publikum sich orientieren könnte oder den man bewerben könnte, gab’s nicht im engeren Sinn, lediglich ein handschriftlicher „Programmzettel“ mit einem groben Plan wurde im Vorfeld veröffentlicht mit so verheißungsvollen Punkten wie „Das gescheitertste TV-Experiment aller Zeiten“, „LIVE: Ouvertüre bis Konfitüre – Starten in den Tag mit Joko & Klaas“ oder „Spielenachmittag!!! (für Jung & Alt!)“. Wer wissen wollte, was sich wirklich dahinter verbarg, musste also wirklich einschalten und dran bleiben, am besten über Stunden.
Wer es tat, bekam beispielsweise zu sehen, wie Klaas den Tag dramatisch mit ein bisschen Pyro inszeniert auf dem Dach von Florida Entertainment den Sender übernahm. Oder wie die beiden ein Indoor-Feuerwerk in einem Keller zündeten und danach mit E-Roller und Boombox einen nächtlichen Streifzug durch Berlin unternahmen und dort auf Partyvolk trafen. Wie die beiden das Sat.1-"Frühstücksfernsehen" kaperten, einen Live-Flohmarkt veranstalteten und zwischenzeitlich parallel auf zwei Sendern - Joko auf ProSieben, Klaas auf Sat.1 - zu sehen waren. Und natürlich, wie sie in der absurd großen Kulisse des Berliner Olympiastadions eine Partie Uno, Verzeihung, Bruno spielten. Dazwischen moderierte ein Alpaka, es lief eine komplette Sendung rückwärts, es gab eine reihe der peinlichsten ProSieben-Sendungen zu sehen (ganz vorne: Das "Ochsenrennen", an dem Klaas einst tatsächlich selbst teilgenommen hatte) und auch Steven Gätjens "taff"-Einstand gab's nochmal zu bewundern.
Das abendliche Highlight war dann aber "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)". Den Tag über hatten die beiden immer wieder dazu aufgerufen, dass jeder abends zum Studio kommen könne, um die Chance auf 100.000 Euro zu haben - die dann auch in Scharen kamen, ohne zu wissen, worauf sie sich einlassen würden. Und ohne dass eine Produktion im Vorfeld einen Casting-Auswahlprozess gestartet hätte. Sie waren dann plötzlich Teil eines Quizes, bei dem drei Kandidaten zu einem Buzzer-Quiz antraten, bei dem jeweils alle drei weiter kamen wenn einer richtig antwortete. War die Antwort falsch, flog nur diese eine Person raus - doch antwortete niemand, mussten alle gehen.
Eine pfiffige Grundidee, der es allerdings noch gehörig an Feinschliff fehlte, was schon dadurch deutlich wurde, dass man zwischenzeitlich die Regeln anpassen musste. Und die zudem stark in die Länge gezogen wurde, weil Joko und Klaas vor allem damit beschäftigt waren, Tempo aus der Sendung zu nehmen - schließlich musste die gewonnene Sendezeit ja irgendwie gefüllt werden. ProSieben-Chef Hannes Hiller kündigte per Telefonanruf in einem Anflug von Euphorie trotzdem noch live in der Sendung an, das Format in Serie schicken zu wollen. Und die Quoten? Die fielen mit einem Marktanteil von fast 21 Prozent in der Zielgruppe hervorragend aus, insgesamt schauten 1,7 Millionen zu.
Am Ende erzielte ProSieben mit dem Tag, an dem man die Gestaltung des Programms vollkommen aus der Hand gegeben hatte, den höchsten Tagesmarktanteil des Senders beim jungen Publikum seit dreieinhalb Jahren - was die Frage aufwirft, was man nun aus diesem Tag lernen kann? Denn natürlich taugt es nicht wirklich zum Vorbild, unausgereifte Formate um 20:15 Uhr auf Sendung zu schicken, Menschen in übergroße Kulissen zu setzen, um sie ein Kartenspiel spielen zu lassen oder gar regelmäßig von einem namibischen Wasserloch zu senden. Zumal all das natürlich nur dann seine Wirkung entfaltet, wenn es als Ausnahme in einem ansonsten geordneten Regel-Programm auftaucht.
Doch was das Publikum bei all dem Leerlauf, den es in diesen 24 Stunden ohne Frage gab, trotzdem am Bildschirm gehalten hat, war das Wissen, dass hier jederzeit alles passieren kann - und dass den beiden Haupt-Protagonisten auch alles zuzutrauen ist. Dass man hier wirklich etwas verpassen könnte, über das am Tag danach alle reden werden. Das lässt sich in dieser Form nicht wiederholen, aber man sollte überlegen, wie man ähnliche Situationen in anderer Form herstellen kann. Joko und Klaas haben jedenfalls am 21. April den Beweis erbracht, dass ein bisschen Anarchie eine Möglichkeit ist, dem linearen Fernsehen mit Live-Momenten in einer Streaming-Welt weiter eine Daseinsberechtigung zu geben. Das macht sie für uns zu zwei Bildschirmhelden 2024.