Im Sommer 2023 schockte Sky Deutschland während dem Filmfest München mit der Ankündigung, die Auftragsproduktion deutscher Serien und Filme einzustellen und im Januar 2024 folgte Paramount+ mit dem Rückzug aus der fiktionalen Auftragsproduktion in Deutschland. Zwei harte Schläge für die deutsche Kreativwirtschaft, vom unwürdigen Warten auf eine neue Filmförderung mal abgesehen. Andere Streamingdienste haben parallel ihre Strategie neu justiert, setzen mehr auf Mainstream. 

Mit ein bisschen Abstand lässt sich das große Bild erkennen: Gut zehn Jahre nach dem Eintritt der Streamingdienste hat sich das Blatt vollends gewendet. Damals war die deutsche Fiktion weniger vielfältig in Genre, Story und Charakteren. Mit Highend-Serien gar kaum vertraut. Insbesondere das Feuilleton jubelte deshalb als die globalen Streamer kamen. Es wurde als Ohrfeige für die langweilige deutsche Fiktion feiert, wenn sich Streamer in Nischen trauten die niemand zuvor besetzte.

Heute sieht das anders aus: Manche Anbieter ziehen sich zurück, andere schwenken um auf die Wirtschaftlichkeit des Mainstreams - und für die größte deutsche Serienvielfalt in diesem Jahr sorgte: Die ARD. Genauer gesagt, die Truppe der ARD Degeto Film aus Frankfurt, unter redaktioneller Führung von Christoph Pellander. Ein Rettungsanker für die deutsche Fiktion angesichts rauer See. Und was war 2024 für ein Triumph der ARD-Fiktion: Zum Jahresauftakt das Wagnis „Oderbruch“, die erste öffentlich-rechtliche Vampir-Serie des Jahres und ein enormer Erfolg in der Mediathek. Dann das Familienporträt „Die Zweiflers“, die bei fast allen Preisverleihungen des Jahres groß abgeräumt haben.

Pellander & Schreiber: Schlagkräftiges Duo

ARD Degeto © ARD / Petra Stadler
Dazwischen immer wieder junge Serien wie „Testo“, „Sexuell verfügbar“, „Made in Germany“ oder „Schwarze Früchte“. Nach dem Sommer kam mit „Herrhausen - Der Herr des Geldes“ und gerade eben „Finsteres Herz - Die Toten von Marnow 2“ klassischer Thriller-Stoff, stark umgesetzt. In Kooproduktion folgt zu Weihnachten „Ronja Räubertochter“, zum Jahreswechsel "Levi Strauss und der Stoff der Träume“ und zum Start ins neue Jahr das vielversprechende „A better place“, eine kreative Zukunftsvision um die Frage: Wäre eine Welt ohne Gefängnisse besser? Was unter Christine Strobl mit "Babylon Berlin" begann, setzte sich unter redaktioneller Führung von Christoph Pellander fort, der zusammen mit Geschäftsführer Thomas Schreiber den Umbau der ARD Degeto Film beschleunigt hat.

Wenn gleich verantwortlich für eine neue deutsche Serienvielfalt in der ARD Mediathek, ist Christoph Pellander in seiner vergleichsweise schnöde formulierten Position des Redaktionsleiters bei der ARD Degeto Film auch ein leidenschaftlicher Verfechter des Einzelfilms. Im Unternehmen wie bei ihm persönlich entfällt jenes Entweder-Oder-Denken, das mit dem vor gut zehn Jahren ausgebrochenen Serien-Hype zwischenzeitlich entstand. Bei Netflix beispielsweise liegen Verantwortung für Serien und Filme in getrennten Händen. Doch nicht nur Serien und Filmen laufen bei Pellander in einer Hand zusammen, auch bei den Programmfarben von herzlich bis tödlich - was wiederum ein Unterscheidungskriterium zum ZDF darstellt.

Gleichzeitig macht so viel Verantwortung auch deutlich: Ohne ein starkes Team dahinter, natürlich zahlreiche Produktionspartner, Kreative und einem Geschäftsführer wie Thomas Schreiber, der den Weg bereitet hat, ist so viel Verantwortung auch für einen Workaholic wie Christoph Pellander nicht zu stemmen, der noch dazu den Hamburger Goldkehlchen seine Stimme leiht und in der knappen Freizeit zwischen Premieren und Preisverleihungen als Trabrennfahrer antritt. Hört man sich bei Produktionsfirmen und Kreativen um, fällt kein Wort häufiger als "leidenschaftlich" um Pellander zu beschreiben. Einer, der Lust hat. Was ja doch ganz praktisch ist, wenn man Budget nicht nur verwaltet sondern gestaltet.

Die Degeto ist sowohl der „Charta der Vielfalt“ als auch der „Charta der Inklusion“ beigetreten, hat ein Diversity Management geschaffen und auf Initiative von Pellander für alle Mitarbeitenden an Degeto-Produktionen eine anonyme Anlaufstelle geschaffen, um Diskriminierung jeglicher Art, jede Form von Mobbing, Rassismus oder rassistische Sprache und sexueller Belästigung jeglicher Art melden zu können. Eine Initiative mit Folgen: Kürzlich erst gehörte Die Degeto zu den Erstunterzeichnern des Respect Code Film, einer branchenweiten Initiative in gleicher Stoßrichtung. Bei der Besetzung von Regie-Posten hat man sich bei der ARD Degeto Film Parität auf die Fahne geschrieben und diese inzwischen fast erreicht.

Kürze wagen, Größe tragen

Neben solchen Initiativen für ein sicheres Arbeitsklima und Gleichberechtigung widmet sich die Degeto mit dem hauseigenen „Impuls Preis“ der Nachwuchsförderung, hat die Präsenz an Hochschulen ausgebaut. Aus gutem Grund: Hier finden sich neue Geschichten und insbesondere Perspektiven. Gerade die Mediathek öffnet die Türen für neue Ideen, weil diese nicht zwingend 90 Minuten nach der „Tagesschau“ tragen müssen. Gleichzeitig ist die ARD Degeto Film am anderen Ende der Budgets aber ebenso offener und mutiger geworden, um Großprojekte zu realisieren und das in unterschiedlichsten Partnerschaften. Eine Reise, die mit „Babylon Berlin“ begann. 

Christoph Pellander (seit 2019 bei der Degeto) und Thomas Schreiber (seit 2021 bei der Degeto) arbeiten neben der eigentlichen Programmarbeit spürbar Hand in Hand daran, Treiber einer neuen öffentlich-rechtlichen Produktionslandschaft zu sein, die sich durch mehr Sendungsbewusstsein und Verantwortung auszeichnet, weniger durch Seilschaften und Gewohnheiten. Ein progressiver Ansatz, der manchen (Gendern ist hier nicht nötig) irritiert. Dabei geht jedoch manchmal unter, dass auch weiterhin nicht alles jung und Mediathek ist. Der Donnerstagskrimi, zum Beispiel, gehört ja auch zum Degeto-Portfolio.

Aber fürs Netz, fürs junge Publikum, da muss man als ARD mehr trommeln um sie überhaup tnoch zu erreichen. Und das ist alternativlos, weil auch junge Menschen Rundfunkbeitrag zahlen. Deshalb gilt es, neben den populären Programmen für jene, die die ARD noch immer gut erreicht, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um neues Publikum für die ARD bzw. ARD Mediathek zu gewinnen. Das braucht mehr Anstrengungen, wird deshalb mitunter intensiver wahrgenommen als das Vertraute, was weniger Schlagzeilen macht.

Neben Geschäftsführer Thomas Schreiber ist der rund 20 Jahren jüngere Redaktionsleiter Christoph Pellander das Gesicht einer neuen ARD Degeto Film und ohne jeden Zweifel längst Kronprinz, auch wenn die Komplexität und Eitelkeiten der ARD in der Vergangenheit schon zu absurden Entscheidungen geführt haben. Nicht mehr zu nehmen ist Pellander die Wertschätzung der Kreativen und der Verdienst um eine neue Genre-, Story- und Charakter-Vielfalt im fiktionalen Angebot der ARD, was ihn - ganz ohne Zustimmungspflicht der Landesrundfunkanstalten - für DWDL.de zu einem Bildschirmheld 2024 macht.