Bosetti will reden – der Titel ihrer ZDF-Monologe allein klingt ja schon tröstlich in einer Zeit, die Sprechen durch Brüllen ersetzt und Empathie durch Empörung. Wenn Sarah, wie ihre Eltern sie 1984 in Aachen getauft haben, ihrem Willen Ausdruck verleiht und uns in der letzten Folge 2023 fragt, was das Jahr geprägt habe und mit Engelszungen „dasselbe wie jedes Jahr, also Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“ antwortet, dann spürt ihr Publikum: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold.
Und das will schon was heißen in der furchterregend hasserfüllten Echokammer allgegenwärtiger Wut. Ein Zirkus Maximus toxischer Männlichkeit, der kaum eine Frau häufiger durch seinen Staub hetzt als Sarah Bosetti. Zu dumm für Incels, Hater, Hasenfüße der digitalen Ära, dass die feministische Kabarettistin mit Master in Filmregie nicht schweigt wie vorgesehen, sondern zurückschlägt. Aber wie!
„Schöner und entlarvender“ als Sarah Bosetti, so hat die Jury des Salzburger Stiers vor drei Jahren den renommierten Kleinkunstpreis für die Deutsche begründet, nehme „niemand auf deutschen Bühnen den populistischen, lauten Stimmen den Wind aus den Segeln“. Schön und entlarvend: Das trifft es nahezu bei allem perfekt, was die Ausgezeichnete seit ihren Anfängen als Poetry-Slammerin Anfang der Nuller kennzeichnet.
Ihr humoristischer Vorschlaghammer ist schließlich das Florett gebrüllter Stille, messerscharf geschliffen mit dem barocken Instrument der Lyrik, denn – ja: Sarah Bosetti reimt ihre Attacken gegen Wutbürger, Sexisten, Patriarchat und alles, was davon auf die böse Seite der Macht gezogen wird. Wobei beileibe nicht alles auf Sarah Bosettis Youtube-Kanal gleichlautende Satzendungen hat. Ihre Dichtkunst steckt in einer tiefgründig perfiden Sprache, die sie nun sogar auf vermintem Gelände verwendet: Der Late Night Show.
Seit Anke Engelke einst nicht nur, aber auch wegen ihrer X-Chromosomen wie Harald Schmidts Hund vom Talkshowhof gejagt wurde, hat sich keine Komikerin an allzu prominenter Stelle mehr drauf gewagt. Sonderlich prominent ist auch der bei 3sat zwar nicht, wo seit Ende Oktober „Bosetti Late Night“ läuft. Im Multi-Channel-Kosmos aber ist Sendeplatz ungleich Einschaltquote, weshalb das Format auch in der dritten Folge heute Abend wieder für ein klein wenig Furore sorgen dürfte.
Formell formatübergreifend zwischen Stand-up, Reportage, Talkshow, Realitysoap angesiedelt, redet sie mit Leuten mit sehr unterschiedlichen Blickwinkeln wie Marlene Engelhorn und Tijen Onaran über Armut oder mit Luisa Neubauer und Lisa Paus übers Klima. In der zweiten Folge belegt Känguru-Dompteur Marc-Uwe Kling zwar, dass Sarah Bosetti auch Männer einlädt. Aber die weibliche Sicht schimmert selbst durch geschlechtsneutrale Zonen ihrer Late Night.
Kein Wunder: als hochpolitische Frau im Showgeschäft ist sie unablässig Objekt sexualisierter Herabwürdigungen, die sie entsprechend thematisiert. Ein Wunder ist allerdings, wie wenig Geifer sie anders als ältere Gleichberechtigungskämpferinnen à la Alice Schwarzer dafür verspritzt, wie ausgeglichen ihr Gefühlshaushalt im Angesicht der Raserei ringsum wirkt, wie wahnsinnig Sarah Bosetti zornerigierte Alpharüden damit macht, wie gut sie so allerdings die Vernunftbegabten erreicht und damit Erkenntnisprozesse einzuleiten vermag.
Saukomische Erkenntnisprozesse übrigens, die dorthin treten, wo Tritte respektabler sind als bei den Mario Barths unserer geschlechtsrevisionistischen Epoche: nach oben. Auch deshalb werde sie „nicht den neutralen Host spielen“, sagte Sarah Bosetti vor ihrem Debüt im DWDL-Interview. Das hätte zwar seine Berechtigung, „aber ich möchte ehrliche Unterhaltungen, in denen auch ich ehrlich sein darf“. Eine prima Umschreibung ihrer knüppelharten Arbeit, so leichtfüßig sie auch erscheint im Schützengraben verkrampfter Kollegen von Dieter Nuhr bis zur „Anstalt“, wo sie die Frauenquote einer sehr männlichen Branche ab und an mit geschlechtsneutralem Kabarett in den zweistelligen Bereich heben darf.
Denn auch das kann sie. Dank der ideologisch unscheinbaren Kraft ihrer blonden Blusenhaftigkeit. Vor allem aber dank ihrer Fähigkeit, Breitseiten in Poesie zu verpacken und Nadelstiche in Streicheleinheiten. „Ich hab‘ nichts gegen Frauen, du Schlampe“, zitiert sie in ihrem gleichnamigen Buch einen Netz-Kommentar. Sarah Bosetti würde „ich hab‘ nichts gegen Männer“ entgegnen und nichts hinzufügen. Wogegen sie echt was hat, sind billige Lacher.