Eigentlich ist ihr die Berufung schon qua Initialen in die Wiege gelegt. Also zumindest, wenn man sie vertauscht und "das Andersrum" kennen geneigte Hörerinnen und Hörer von ihrem werktäglichen Fußball-Podcast "MML Daily" mit dem oft zitierten "umgekehrten MML-Fluch" ja ganz gut. Cassel Lena, also C(hampions) L(eague), die Königsklasse im Fußball. Angesichts der nicht nur von ihrem Co-Host Maik Nöcker zugesprochenen Expertise ist es wenig überraschend, dass die 29-Jährige seit der letzten Champions-League-Saison ins Team von Prime Video stoßen und dort die Highlight-Show moderieren durfte. Dabei ist ihr Auftreten alles andere als bieder-aristokratisch, sondern ganz im Gegenteil anschlussfähig für die Generation Instagram. Cool, edgy, irgendwie Avantgarde. Mit viel Ausstrahlung und Humor. Seit dieser Bundesliga-Saison ist sie auch sonntags für DAZN im Einsatz, worüber sie selbst meinte: "Das ist Sportjournalismus 2.0. Jung, modern, vielseitig und anders. Das passt zu mir".
Ihre ersten Schritte machte die ehemalige Kickerin bei der "Sportschau", zunächst als Werkstudentin. Als Moderatorin bei HerthaTV und als Teil des "Mainzer Keller", dem montäglichen Fußballtalk mit Max-Jakob Ost und Tobias Escher des ZDF, begann die Marke Cassel Kontur zu erhalten – und das auch optisch. Das Fast-Schon-Markenzeichen des streng mittel gescheitelten, nach unten zum Zopf gebundenen, blond gefärbten Haares mit scheinbar gewolltem Kontrastansatz gibt so viel Konstanz wie das Level der Analysen in "100% Lena, Guten Morgen Maik und happy monday". Das ist die Unterkategorie von "MML Daily", bei der nochmals ausgewählte Partien des vergangenen Spieltags seziert werden. Emphatisch bewegt sie sich dort zwischen "Schienenspielern", betrachtet die Statistiken ebenso wie das "Angriffspressing", die "spielerische Identität" und "Resilienz" in den Teams der Bundesligen. Um es in den Worten von "Maik mit AI" zu sagen: "Die ganze Fußballgemeinde hier in Deutschland ist danach schlauer". Auch wenn es zum von ihr geforderten Bundesverdienstkreuz für diese Kategorie noch nicht reichte, springt nun wenigstens der Titel einer Bildschirmheldin 2023 raus.
In eben jenem Daily-Podcast, dem Spinoff zum wöchentlichen "Fußball MML", entfaltet sich das Fußballfachwissen der Wahl-Kreuzköllnerin ganz besonders. Klar wird auch, dass sich ihre Kenntnis keineswegs nur auf die deutschen Ligen begrenzt, sondern wie es sich für einen Host einer Champions-League-Show gehört, auch international gefestigt ist und zwar im Männer-, wie im Frauenfußball. Neben der auditiven Präsenz, scheinbar aus dem Ärmel geschüttelten, detailreichen Aufarbeitungen, Prognosen und Einschätzungen, kommt auch das klare Wort nicht zu kurz. Wer nun an "Klartext"-Stanzen à la Boulevardmedien denkt, irrt.
Denn sie schafft es, keine Scheu vor meinungsstarker Positionierung zu haben. Diese kann weh tun, aber ist dann immerhin individuell zugeschnitten, kommt auch mal mit Fußall fernen Referenzen im Verbund und nicht selten humorvoll vorgetragen. Finger in die Wunden der Vereine und Verbände zu legen, scheint gar eine Kernkompetenz der Sportjournalistin, Podcasterin und Moderatorin, die wiederum damit rechnen muss, dass sie den Kritisierten im Rahmen der DAZN-Moderation Fragen stellend am Spielfeldrand begegnet. Und genau dort zeigt sich erneut die Hybrid-Eigenschaft aus Expertin und Moderatorin, die sie auszeichnet und einen USP darstellt. Es dürfte wohl eher seltenen Charakters sein, dass man der Moderatorin bei der DAZN'schen Bauchbindeneinblendung attestiert, dass sie ebensogut auf der anderen Seite mit Untertitel "Expertin" auftreten könnte. Gut tut dies den Gesprächen in jedem Fall, denn die Augenhöhe ist spürbar und so beschrieb sie Florian König bei ihrem Besuch im "Doppelpass" von Sport1 als "aufstrebende Moderatorin im Sportfernsehen".
Genau dort war sie im Februar gelandet und konnte mit der Phrase "Offensive gewinnt Spiele" ihr erstes Geld in der bekanntlich Männer dominierten Runde im Phrasenschwein los werden. Dass sie schon häufig für die Live-Sendung am Sonntagmorgen angefragt wurde, aber oftmals abgesagt hatte, kann man in der Ausgabe von "Und was machst du am Wochenende?" der Zeit hören, wo sie die Begründung direkt mitlieferte. So sei die Ausrichtung und Zielgruppe eigentlich zu weit weg von dem, was sie sich vorstelle: heteronormativ, männlich, weiß, anstatt – wie sie beispielsweise dem Frauenfußball zuschreibt – zeitgemäß, bunt und laut. Ziel solle es sein, dass der Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, also alles zwischen Straßenkickern und Schwiegermutters Liebling abdeckt, was der Männerfußball immer weniger liefere. Doch die Einladung für die Sendung am 12. Februar nahm sie an und so fand sie sich neben Stefan Effenberg, Alfred Draxler oder auch Max Kruse in einer Runde wieder. Denn wie sie auch sagt: die homogene Blase lässt sich nicht auflösen, wenn alle weiblichen Gäste immer nur absagen. Auch wenn das bedeutet, dass dadurch eine besondere Drucksituation für die ehemalige Stürmerin entsteht. Challenge? Accepted!
Apropos Frauen im Fußball. Mit "Aus dem Mittelkreis" entstand in Zusammenarbeit mit Google Pixel - unter anderem Namenspartner der Frauenbundesliga - und dem Modemagazin "Vogue" diesen Sommer eine sechsteilige Interviewserie, in der sie namhafte Spielerinnen begleitete und befragte. Wenn die "Vogue" mit involviert ist, wäre es sonderbar, wenn nicht auch das Äußere in Form speziell ausgewählter Looks eine Rolle spielen würde. Und so zeigt gerade dieses Projekt ihre Verbindung aus dem Kampf für mehr Sichtbarkeit und Gleichheit im Frauenfußball - eine ihrer Herzensangelegenheiten - und ihrer spielerischen Freude an Mode. In die und ihr breites Sonnenbrillen-Sortiment lässt sich übrigens auch wunderbar via "casselberger" auf Instagram eintauchen.
Die Typendiskussion im Fußball wirkt so alt wie das Abseits und Lena Cassel kann als einer bezeichnet werden. Eine Frau, die sich mit Auftritten bei "Deutschland3000", "Markus Lanz", "Studio Schmitt" oder dem Podcast "Playing Dirty" vermehrt breiter aufstellt und auch mit ihrer Wandelbarkeit - laut Eigenbeschreibung "immer irgendwas zwischen Adam Sandler und Pete Doherty" - eine Marke schafft, die in die Zeit passt. Ein wenig mehr Crémant in Markthalle 9 als Weißbier am Stammtisch. #Gönniberger 2.0 halt, oder wie Christoph Amend von der Zeit konstatierte: "Die coolste deutsche Fußballexpertin".